In Schleswig-Holstein wird der Krieg gegen Russland vorbereitet und die Beherrschung der Ostsee vorangetrieben

Stützpunkt für das „NATO-Meer“

Im Juni trafen sich Friedensaktive aus fünf Ostsee-Anrainerstaaten zu einer Online-Konferenz unter dem Titel „Die Ostsee – ein Meer des Friedens“. Wir dokumentieren an dieser Stelle den redaktionell leicht bearbeiteten und gekürzten Beitrag von Niki Müller (Zusammenarbeitsausschuss der Friedensbewegung Schleswig-Holstein und DKP-Friedenskommission).

In Schleswig-Holstein ist der militärisch-industrielle Komplex stark ausgeprägt. Besonders in den großen Städten Kiel und Flensburg. Durch die ansonsten magere Industriestruktur erfährt die Rüstungsindustrie eine intensive Förderung und Dominanz. Verstärkt wird das auch durch die anhaltende Werftenkrise. Rüstungsproduktion läuft als äußerst profitable Alternative zur dümpelnden Zivilproduktion auf Hochtouren. Rüstungskonversion ist out.

„Schleswig-Holstein zählt, gemeinsam mit der Region München, zu den Hotspots der Militärwirtschaft“, konstatiert der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), der wichtigste Lobbyverband der Kriegswirtschaft. Die Rüstungslobby freute sich über die 100-Milliarden-Schuldenaufnahme für das sogenannte „Sondervermögen“ der Bundeswehr, verlangt aber entschieden mehr und fordert eine deutlich schnellere Umsetzung.

Gewehr bei Fuß startete der hiesige Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) unverzüglich eine Initiative bei Kriegsminister Boris Pistorius (SPD) für die Schaffung eines maritimen Bundeswehr-Innovationszentrums. Madsen: „Aktuell entsteht bei München ein Innovationszentrum der Bundeswehr-Uni für Luft- und Weltraumprojekte“, es gehe darum, „zivile Technologien für das Militär nutzbar zu machen und umgekehrt. Genau dieses Ziel verfolgen wir hier in Schleswig-Holstein auch im maritimen Sektor.“ Flugs wurde die Kieler Initiative MAIN (Maritime Accelerator und Innovation Network) gegründet – mit dem Ziel, Innovationen zu beschleunigen, Synergien zu identifizieren und Anwendungen mit zivil-militärischem Doppelnutzen zu fördern.

Profitable Kriegsgüter

In Schleswig-Holstein gibt es rund 30 Rüstungsbetriebe. Wesentliche Hauptprofiteure des militärisch-industriellen Komplexes sind im hohen Norden die Flensburger Fahrzeugbau-Gesellschaft (FFG) sowie Rheinmetall. FFG war, so der ehemalige NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der wichtigste und größte europäische Lieferant von gepanzerten Fahrzeugen für die Ukraine. Ob „Leopard“, „Biber“ oder „Wisent“ – fast alle Fahrzeuge sind für die Frontlinie des Krieges bestimmt. FFG errichtet, wie auch Rheinmetall, eine Fabrik mit Reparatur-Servicezentrum in der Ukraine und plant für 2026 ein neues großes Panzerwerk nahe Flensburg.

Rheinmetall, sowohl größter deutscher Rüstungskonzern als auch größter europäischer Munitionsproduzent (unter anderem Panzermunition für Israel), ist in Schleswig-Holstein mit vier Standorten (Kiel, Flensburg, Wedel und Trittau) vertreten. Rheinmetall ist eine strategische Partnerschaft mit der Ukraine eingegangen und hat dort gleichfalls Anlagen errichtet.

Die Rüstungsschmiede Diehl Defense (zu den Gesellschaftern gehören unter anderem Rheinmetall und Rafael aus Israel) unterhält seit dem Jahr 2023 direkt auf dem Militärstützpunkt in Todendorf die Ausbildungsstätte für das neue Flugabwehrsystem IRIS-T SLM, ein modernes bodengestütztes mobiles Flugabwehrsystem, das Mach 3 erreicht und mit einem Splittergefechtskopf ausgestattet ist. Vor der systematischen Ausbildung von deutschen und anderen NATO-Kräften für den „European Sky Shield“ in Todendorf wurden zunächst ukrainische Soldaten in die Bedienung dieses Systems eingewiesen. 17 zusätzliche IRIS-Systeme sind verbindlich für die Ukraine geordert. Vorläufig.

Es sollte hier vielleicht auch erwähnt werden, dass in Deutschland bis zum Mai dieses Jahres über 20.000 ukrainische Soldaten ausgebildet wurden.

Weitere Schwergewichte der Rüstungsproduktion sind die an der Ostsee gelegenen Werften. Beim Kieler U-Boot-Bauer ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) sind die Auftragsbücher randvoll bis zum Jahr 2040. Dieser Konzern beliefert weltweit sowohl aktuell im Krieg befindliche (Israel) als auch potenziell „kriegstüchtige“ Staaten (geplant wird eine U-Boot-Produktion samt Entwicklung eines neuen Marinestützpunktes für die Philippinen zur Positionierung gegen China). Israel verstößt bekanntlich seit seiner Staatsgründung gegen die allgemeinen Menschenrechte und ist ein wegen fortgesetzten Völkermordes und andauernder Kriegsverbrechen von der Weltgemeinschaft geächteter und angeklagter Staat. Für die deutschen Rüstungskonzerne bleibt Israel dennoch ein profitabler Geschäftspartner. Die Bundesregierung liebäugelt seit Längerem an einer finanziellen Beteiligung an diesem profitablen Rüstungskonzern und wird dabei von der Gewerkschaft IG Metall unterstützt: Eine Staatsbeteiligung sei wichtig, wenn es um mögliche Zusammenschlüsse in der Branche gehe, wird Daniel Friedrich, Chef der IG Metall Küste, von „Reuters“ zitiert. Der Blick gehe dabei besonders Richtung Skandinavien.

Nicht nur das Schwergewicht TKMS in Kiel, auch die strauchelnden beziehungsweise insolventen Werften in Flensburg und Rendsburg sehen ihre Chance in dieser staatsmonopolistischen Rüstungsbranche. Die ökonomische Basis industrieller Produktion verlagert sich immer stärker in Richtung der beschleunigten Kriegsproduktion und forciert die Akkumulation und die Zentralisation des Kapitals. Die Gewinne von Rheinmetall und Konsorten explodieren. „Thyssenkrupp-Aktie: Ein Juwel für die Börse!“, jubelten die „Finanztrends“.

Baltic Sea: Expandierende Militärstandorte

Die NATO fokussiert auf die „Kampfzone Ostsee“. Dafür werden alle dort befindlichen militärischen Streitkräfte stärker gebündelt, verzahnt und neu justiert. Johann Wadephul (CDU), Deutschlands neuer Außenminister, erklärte bereits kurz nach seiner Ernennung, dass der gesamte baltische Raum in der Öffentlichkeit bisher zu wenig Aufmerksamkeit bekommen habe. Er möchte in seiner Amtszeit das Augenmerk mehr dort hinlenken. Er wird konkreter: „Es ist doch klar, dass Schleswig-Holstein eine strategische Bedeutung hat“, deswegen gebe es auch Überlegungen im Verteidigungsministerium, Bundeswehr-Standorte im Norden des Landes zu stärken.

Traditionell ist die Marine fest an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste verankert. Im „Zielbild Marine 2035+“ wird insbesondere der schnelle Ausbau und die Modernisierung der U-Boot-Flotte gefordert. Ergänzend sollen auch massenhaft Marinedrohnen angeschafft werden. Sie können im Schwarm operierend ihre Ziele angreifen. Bis 2029 soll diese unbemannte Flotte einsatzbereit sein. Am Kieler Ostufer liegt auch das einzige Munitionsdepot der Deutschen Marine in der Ostsee. Wie viel Munition dort genau lagert, unterliegt der Geheimhaltung.

Klein, aber sehr gefährlich ist das Kommando Spezialkräfte der Marine (KSM). Angesiedelt ist es bei der Marine in Eckernförde. Dort liegt der Stolz der Marine, das 1. U-Boot-Geschwader. Das KSM ist eine Einheit mit verschiedenen Spezialisierungen, die Kampfschwimmer bilden den Kern. Es ist die erfahrenste Eliteeinheit der Bundeswehr. Ihr Motto: „Lerne leiden ohne zu klagen“. Sie sind prädestiniert für Sabotageakte und die Zerstörung hochwertiger militärischer und auch infrastruktureller Ziele. Das KSM wurde umfassend neu aufgestellt und personell nahezu verdoppelt. Erwähnenswert ist auch die Stationierung von Teilen der GSG 9, also von paramilitärischen Polizeikräften an der Ostsee. Auch sie verfügen über Schnellboote und speziell geschulte Einsatztaucher.

Flieger und Raketen

Hoch im Norden, in Jagel/Schleswig, befindet sich das „Taktische Luftwaffengeschwader 51“. Dort finden derzeit umfangreiche räumliche und infrastrukturelle Erweiterungen statt. Wofür wohl? Drohnen und Großdrohnen vom Typ Heron TP aus israelischer Produktion, die sowohl für die Aufklärung als auch für bewaffnete Bodeneinsätze taugen, sind bereits stationiert. Wird dort auch eine der drei bundesdeutschen Abschussrampen für Arrow 3 stationiert? Arrow 3 wird als Teil der europäischen Raketenabwehr „Air Shield“ (eine Art unsichtbare Kuppel) eingerichtet. Damit sollen Langstreckenraketen in bis zu 100 Kilometern Höhe abgefangen werden. Bereits Ende dieses Jahres sollen sie einsatzbereit sein.

Der NATO-Flugplatz Jagel beherbergt außerdem den einzigen fliegenden Verband der Luftwaffe, der zur bemannten und unbemannten abbildenden und signalerfassenden luftgestützten Aufklärung befähigt ist. Dies ist wesentlich für die Zerstörung einer gegnerischen bodengebundenen Luftverteidigung. Schon im Jahr 2005 wurde das Geschwader mit der „Seekriegführung aus der Luft“ beauftragt.“

Ein besonders wichtiger Standort befindet sich zwischen Kiel und Fehmarn in Todendorf: An diesem einzigen deutschen Luftwaffenstandort mit Ostseeanbindung befindet sich die Flugabwehrraketengruppe 61. Pistorius: „Ausgerüstet mit dem modernsten Flugabwehrraketensystem seiner Reichweitenklasse“ werde der Standort zum „Zukunftsstandort der Flugabwehr“ und zentraler Bestandteil der europäischen Flug- und Raketenabwehr.

An der Westküste in Husum/Schwesing befindet sich ein weiterer wichtiger Stützpunkt des Flugabwehrraketengeschwader 1, des größten Verbandes der Luftwaffe. Aus Husum wurden auch Soldaten an die südöstliche Grenze Polens nach Rzeszow verlegt, ein wichtiger Versorgungspunkt für die ukrainische Kriegsführung. Außerdem werden in Husum seit Längerem ukrainische Soldaten ausgebildet.

Zum Schluss noch eine besondere Einrichtung: Die „EloKa – elektronische Kampfführungseinheit“ in Stadum/Bramstedt-Lund (Nordfriesland). Sie gehört zur vierten Teilstreitkraft, dem Cyber- und Informationsraum (CIR). Es gibt in Deutschland drei fest verbunkerte Bodenstationen der EloKa mit riesigen Antennenanlagen, eine davon befindet sich im Norden. Das Bataillon EloKa 911 in Stadum hilft bei der Einschätzung der Lage im Ukraine-Krieg und an der NATO-Ostflanke. Somit sind alle vier Teilstreitkräfte äußerst massiv in Schleswig-Holstein vertreten.

Friedlich nur ohne NATO

Schaut man auf die umfassenden Veränderungen im militärisch-ökonomischen Bereich sowie auf die quantitative Ausweitung und qualitative Neuausrichtung der militärischen Infrastruktur – wie hier am Beispiel Schleswig-Holsteins aufgezeigt –, lässt dies nur einen Schluss zu:

Es findet derzeit ein konzertierter Schwenk auf einen potenziellen Angriffskrieg gegen Russland statt. Im Kontext mit der für das Jahr 2026 vorgesehenen Stationierung der Angriffs- und Enthauptungswaffen in Deutschland, insbesondere „Dark Eagle“, wird die offensive Ausrichtung der aggressiven NATO-Streitkräfte noch enger verzahnt und optimiert.

Verschärfend hinzu kommt die nun wieder forcierte Modernisierung und Ausweitung der atomaren Angriffswaffen, unter anderem in Großbritannien, wo Dutzende neue atomare Angriffs-U-Boote geplant sind. (…)

Die aktive Kriegsvorbereitung und letztlich Realisierung eines Krieges gegen Russland bedarf, auch um den Rückhalt und die aktive Unterstützung der Bevölkerung zu erlangen, neben einer systematischen staatlichen Propaganda zur Schärfung des Feindbildes samt kontinuierlicher medialer Gehirnwäsche nach Möglichkeit auch einen konkreten Anlass (wie beispielsweise der fingierte Überfall auf den Sender Gleiwitz durch Nazi-Deutschland am 31. August 1939). Ein potenzielles Einfallstor ist das Ostseeszenario. Die NATO will die Ostsee zum umfassend beherrschten NATO-Meer machen. Derzeit wird die freie Schifffahrt Russlands eingeschnürt, attackiert und unterbunden. Die Oblast Kaliningrad ist verstärkt ein Ort der Begierde geworden und damit ein potenzielles Angriffsziel. Die EU-NATO steht dabei im Schulterschluss mit Revanchisten jener Staaten, für die der 8. Mai 1945 keine Befreiung, sondern eine Niederlage war.

Kriegsvorbereitende Manöver finden verstärkt im nordeuropäischen Raum und insbesondere in der „Baltic Sea“ (englisch für Ostsee) statt. In Vorbereitung sind: „Roll to Sea“ ab Mitte August, „Northern Coast“ ab Ende August und „Red Storm Bravo“ (mit Hamburg als Drehkreuz) Ende September.

Die Russland herausfordernden und unkalkulierbaren Provokationen nehmen kontinuierlich zu. Auf Dauer kann das nicht gut gehen. Schleswig-Holstein hat aufgrund seiner geografischen Lage und als hochgerüstetes Aufmarschgebiet in diesem kriegsvorbereitenden Szenario eine enorm wichtige strategische Bedeutung. Die Gefahr, sich damit auch eine Ladung Haselnusssträucher (Oreshniks) einzuhandeln, ob nun reaktiv oder präemptiv, ist sehr real. Dies müssen wir gemeinsam mit aller Kraft verhindern.

Den UZ-Bericht über die Friedenskonferenz und Hinweise zu den weiteren Redebeiträgen gibt es hier.

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"Stützpunkt für das „NATO-Meer“", UZ vom 18. Juli 2025



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