Baerbocks Afrika-Doktrin Kolumne von Jörg Kronauer

Stumpf an Militär­präsenz festhalten

Es kommt ja, mal ganz vorsichtig formuliert, nicht wirklich oft vor, dass man Verteidigungsministerin Christine Lambrecht Erfolg gewünscht hätte. In der vergangenen Woche ist einer dieser höchst seltenen Fälle tatsächlich eingetreten. Da fiel die Entscheidung, den Einsatz der Bundeswehr in Mali nicht mit dem Ende ihres derzeitigen Mandats im Mai 2023 einfach auslaufen zu lassen, wofür sich Lambrecht stark gemacht hatte. Der Einsatz ist, wie derjenige in Afghanistan, auf ganzer Linie gescheitert; die Militärregierung in Bamako lässt recht klar erkennen, dass ihr die Präsenz der westlichen Truppen nicht wirklich passt, die in dem Land lange Zeit – ganz nach Kolonialherrenart – eigenmächtig operierten. Frankreich, das die meisten Einheiten stellte, ist längst abgezogen, andere europäische Staaten auch; weitere bereiten sich darauf vor, Mali zu verlassen. Eine gute Gelegenheit, sich anzuschließen, um die eigenen Kräfte nicht völlig sinnlos zu verschleudern, meinte Lambrecht – und setzte sich dafür ein, die Bundeswehr ebenfalls heimzuholen, bis Mai kommenden Jahres.

Das ließ nun allerdings Außenministerin Annalena Baerbock nicht mit sich machen: Sie hat eine Verlängerung des Einsatzes um ein weiteres Jahr bis Mai 2024 durchgesetzt. Die Gründe dafür zeigen einmal mehr, was die militärischen Aktivitäten der Berliner Politik antreibt: Es geht um alles Mögliche, bloß nicht um das Einsatzland. Klar: Zum einen soll ein Teil des Sahel kon­trolliert werden, durch den wichtige Migrationsrouten aus den Regionen südlich der Sahara an die Mittelmeerküste und nach Möglichkeit weiter nach Europa verlaufen. Zum zweiten, so erläuterten Quellen im Auswärtigen Amt kürzlich der „FAZ“, lege man Wert darauf, noch ein Weilchen Soldaten für die UN-Operation MINUSMA zu stellen, weil Berlin in nicht allzu ferner Zukunft wieder als nichtständiges Mitglied in den UN-Sicherheitsrat gewählt werden wolle; da mache es sich gut, wenn man eigene Aktivitäten im UN-Rahmen vorweisen könne. Und drittens dürfe man, so die Baerbock-Doktrin, „Mali nicht Russland überlassen“. Für solche Ziele stationiert Berlin Soldaten in Afrika.

„Nicht Russland überlassen“ – die Parole zeigt, dass Deutschland und der Westen in Mali, ja in weiten Teilen des Sahel inzwischen aus dem letzten Loch pfeifen. Für die Mächte, die sich als Speerspitze des globalen Fortschritts – speziell auch als Retter Afrikas – inszenieren, haben nicht nur die Militärregierungen in Mali und in Burkina Faso nichts mehr übrig. Auch die Bevölkerung geht nicht für, sondern gegen sie auf die Straße, vor allem gegen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, und zu antiwestlichen Demonstrationen in Mali und in Burkina Faso kommen inzwischen auch solche in Niger hinzu. Nigers Regierung gilt als die vielleicht letzte Bastion des Westens im Sahel und weil die Proteste im Land zunehmen und sich auch in der politischen Szenerie in Niamey Unmut auszubreiten beginnt, ist die Zukunft selbst dieser Bastion nicht mehr sicher. Was bleibt? Stumpf an der Militärpräsenz festhalten – in der Hoffnung, dass man irgendwann wieder mehr Einfluss gewinnen kann: Das ist die praktische Konsequenz der Baerbock-Doktrin.

Erfolge bleiben freilich bislang aus – im Gegenteil: Moskau erzielt stets neue Punkte. Mitte des Monats teilte die Regierung Nigers – der vermeintlichen Bastion des Westens – mit, sie sei geneigt, die Militärkooperation mit Russland auszubauen, und zwar in Form von Ausbildung und Aufrüstung. Niger wäre nach Mali und Burkina Faso der dritte Sahelstaat, in dem Moskau seinen Einfluss spürbar stärken könnte. Hinzu kommen die Zen­tralafrikanische Republik und Algerien: Mitte November haben die russischen Streitkräfte ihr drittes Manöver mit Algerien in diesem Jahr und zugleich ihr erstes überhaupt auf algerischem Boden abgehalten – auch dies eine unmissverständliche Stellungnahme der algerischen Regierung zu Forderungen des Westens, Russland zu isolieren. Für Baerbock und ihre Doktrin läuft es zurzeit nicht wirklich rund.

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"Stumpf an Militär­präsenz festhalten", UZ vom 2. Dezember 2022



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