Die Aufarbeitung der Zeit des Faschismus ist in den bundesdeutschen Regierungsministerien kein Tabu mehr. Es hat lange gedauert, bis es so weit war. Aktuell bedient die Studie „Das Kanzleramt: Bundesdeutsche Demokratie und NS-Vergangenheit“ dieses Thema. In der Wochenendausgabe der „Berliner Zeitung“ vom 21./22. Juni gab es dazu ein fast zweiseitiges Interview mit den beiden Historikern Jutta Braun und Thomas Schaarschmidt vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung an der Universität Potsdam. Schaarschmidt erklärt darin, warum in der Adenauer/Globke-Zeit die Karrieren überzeugter und belasteter Faschisten unproblematisch weitergingen. Er fasst deren Leitmotiv in einem Satz zusammen: „Egal, was wir vorher gemacht haben, jetzt sind wir Antikommunisten und stehen im antitotalitären Kampf auf der Seite des Westens.“
Gehlen wird BND-Präsident
Diese „personelle Kontinuität“ begann sofort nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Vom überall beschworenen „Nie wieder Krieg“ schlitterte die Welt nahtlos in den Kalten Krieg. Die Geheimdienste und ihre „privaten Gehilfen“ spielten dabei eine wichtige Rolle. Anfang 1946 gründete sich im Westen Deutschlands die Organisation Gehlen. An deren Spitze stand Reinhard Gehlen, Generalmajor a. D. und ehemaliger Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost der deutschen Wehrmacht. Für die USA, die das Geld gaben und die Dienstaufsicht hatten, war Gehlens nachrichtendienstliches Wissen über die Sowjetunion zu verlockend, um ihn wegen seiner NS-Vergangenheit näher unter die Lupe zu nehmen.
Rückblickend auf diese Zeit schreibt Gehlen 1971 in seinen Memoiren „Der Dienst“ auf den Seiten 122/123: „In einem Europa, das sich zur Verteidigung gegen den Kommunismus rüstete, konnte Deutschland wieder seinen Platz finden. Die zukünftige deutsche Politik würde daher Anlehnung an die westlichen Siegermächte suchen und zwei politische Ziele anstreben, nämlich die Abwehr des kommunistischen Zugriffs und die Wiedervereinigung mit den verlorengegangenen Teilen Deutschlands.“ 1956 half Gehlen auch sein Netzwerk mit Altnazis dabei, dass seine Organisation am 1. April als Bundesnachrichtendienst (BND) in den bundesdeutschen Staatsapparat übernommen wurde. Er wurde der erste Präsident.
Die „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“
Eine der ersten sowohl geheimdienstlich wie auch antikommunistisch agierenden privaten Organisationen war die im Frühjahr 1948 im Westteil Berlins gegründete „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ (KgU). Die KgU war kein harmloser und außerhalb der Strukturen agierender Verein. Anfänglich war ihr Tätigkeitsfeld ein Suchdienst für Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) in einem der dort bis 1950 bestehenden zehn Speziallager oder direkt in der Sowjetunion inhaftiert waren. Die Mehrheit von ihnen hatte sich während des Faschismus schuldig gemacht. Eine erste große Entlassungswelle gab es 1948. Vor allem die Erlebnisberichte der Entlassenen nutzte der Verein für den Aufbau eines zweiten Standbeines, die antikommunistische Propaganda. Unter den Gegebenheiten der Zweistaatlichkeit radikalisierte sich die KgU weiter. Neben den bisherigen Zielen – Suchdienst und Propaganda – wurden Spionage, Sabotage und zum Teil sogar terroristisches Handeln fester Bestandteil der Arbeit.
Finanziert wurde das Konstrukt, das ab Frühjahr 1951 als eingetragener Verein arbeitete, im Wesentlichen von US-amerikanischen Geheimdiensten, vorrangig von der CIA. Es beteiligten sich aber auch offizielle Stellen der späteren BRD und des Berliner Senates sowie Privatpersonen. Eine nicht unwesentliche Rolle spielte die private US-Stiftung „Ford Foundation“.
Enger Partner war von Beginn an der Radiosender RIAS. Neben regelmäßigen politischen Kommentaren des langjährigen KgU-Vorsitzenden Ernst Tillich strahlte er ab Mai 1949 bis zum Spätsommer 1953 bis zu fünf Mal pro Woche eine sogenannte „Spitzelsendung“ aus. Dort wurden die Namen von angeblichen „Spitzeln des SED-Regimes“ verlesen. Die als Warnung für die Bevölkerung gedachten Namen wurden von V-Leuten (in Spitzenzeiten bis zu 600) zusammengetragen und an die KgU-Zentrale weitergereicht. Dies hatte psychologische Wirkungen bei den öffentlich genannten „systemtreuen Bürgerinnen und Bürgern“. Eine Beeinflussung, die der Verein später mit der Verschickung von Drohbriefen noch weiter ausbaute. Eine der ersten großen Aktionen außerhalb Westberlins war die „F-Kampagne“. Sie startete am Vorabend des 20. Juli 1949, des fünften Jahrestages des gescheiterten Attentats auf Hitler, und war lange Zeit das erste Markenzeichen der KgU, denn sie erreichte eine beachtliche Resonanz. Der Buchstabe „F“ stand für Freiheit für die in Ostdeutschland lebenden Menschen.
Stinkbomben, Sprengstoff- und Brandanschläge
Nachdem sich solche Taten als zu gefährlich herausstellten, konzentrierte man sich auf die ebenfalls nicht gefahrlose Methode der Verteilung von Flugblättern durch die V-Leute, zum Beispiel in Hausbriefkästen. Sehr wirkungsvoll waren ab 1950 Flugblattaktionen mit Wetterballons, die mit Hilfe von Zeitzündern über dem Zielgebiet „Ost“ gezündet wurden. Mitte Juli 1958 kam es zum sogenannten „Ballon-Unfall“. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hatte durch technische Manipulation erreicht, dass die Ballons zu viel Gas enthielten und fast alle bereits über West-Berlin platzten. Das eigentliche Ziel der 300.000 Flugblätter war der zu diesem Zeitpunkt in Ost-Berlin tagende V. SED-Parteitag. Sie verunreinigten aber lediglich West-Berlin und verursachten dort Sachschäden. Eine Person wurde verletzt. Nach dieser Panne untersagte der CIA weitere „Ballon-Aktionen“.
Die KgU-Aktionen riskierten zum Teil auch das Leben Unschuldiger. Es gab versuchte oder missglückte Sprengstoff- und Brandanschläge, unter anderem gegen Überlandleitungen, Straßen- und Eisenbahnbrücken oder die im September 1951 rechtzeitig erkannten Brandanschläge auf zwei Leipziger Kaufhäuser. Zum „Repertoire“ gehörte auch das Auslegen von Stinkbomben mit Buttersäure. Wegen solcher „Aktionen“, der teilweise braunen Vergangenheit ihres „Personals“ und ihres radikalen Antikommunismus stand die KgU immer im Fadenkreuz der Sicherheitsbehörden, Justiz und Propaganda der DDR.

Im Mai 1952 fand in Ostberlin unter dem Vorsitz ihrer späteren Justizministerin Hilde Benjamin vor dem Obersten Gericht der DDR einer der ersten Prozesse statt. Angeklagt waren Johann Hans Burianek und sechs weitere Personen. Burianek gestand das Ausspionieren einer Eisenbahnbrücke bei Berlin-Spindlersfeld zur Vorbereitung der Zerstörung der Zugverbindung Berlin – Moskau („Blauer Express“) durch eine Sprengung. Die wurde aber nicht ausgeführt. Das Gericht „plante“ zunächst wegen der Nichtausführung der Tat eine Zuchthausstrafe von 15 Jahren. Dagegen intervenierte SED-Chef Walter Ulbricht. Letztendlich wurde Burianek zum Tode verurteilt und am 2. August 1952 in Dresden durch das Fallbeil hingerichtet. 2005 rehabilitierte ihn das Landgericht Berlin. Die KgU wurde 1959 wegen ihrer zunehmend negativen Wahrnehmung in der westdeutschen Öffentlichkeit, wie zum Beispiel Veröffentlichungen in „Stern“ und „Spiegel“ (vor allem in der Ausgabe 27/1958), aufgelöst. Seitdem hält sich das Gerücht, dass sich CIA und BND die Aktensammlung und die noch nicht enttarnten V-Leute „brüderlich“ geteilt hätten.
Der Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen
Ein weiterer Sammler von Informationen für Nachrichtendienste war im Oktober 1949 in Westberlin unter dem harmlos klingenden Namen „Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen“ (UfJ) gegründet worden. Auch er wurde in den ersten Jahren ausschließlich von der CIA finanziert. Ab 1960 war der alleinige Geldgeber das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen. Mit Horst Erdmann (Deckname Dr. Theo Friedenau) stand bis 1958 eine schillernde Figur an der Spitze des Vereines. Er hatte ebenfalls eine Nazi-Vergangenheit und wurde vom MfS als Lügner und Hochstapler enttarnt.
Auch beim UfJ begann alles unter einem humanitären Markenzeichen, indem Unrechtshandlungen an Bürgern der DDR erfasst und in der UfJ-Zentrale in der Berliner Limastraße eine kostenlose Rechtsberatung für Besucher aus dem Osten angeboten wurde. Darüber hinaus führte er im Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde systematisch die Befragung von tausenden DDR-Flüchtlingen nach ihren Fluchtgründen und Fluchtrouten durch. Analog der KgU wurden von ihm Listen mutmaßlicher Spitzel der DDR-Sicherheitsdienste erstellt und im Anschluss in Sendungen des RIAS verlesen. Deckungsgleich war auch das Verschicken von Drohbriefen. Damit begnügte sich der „Untersuchungsausschuss“ aber nicht. Zu seinem Portfolio gehörte das Interesse an Großbaustellen, Flughäfen, Truppenübungsplätzen und Informationen aus der DDR-Industrie.
Der CIA schätzte Ende 1954 die aktiven UfJ-V-Leute auf rund 2.000. In den von Dr. Ronny Heidenreich 2023 herausgegebenen drei Bänden über den 17. Juni 1953 lassen sich eine Vielzahl von Berichten von V-Leuten und Bezügen zum UfJ finden. Auch diese Fußnote: „Gesichert ist, dass 1955 die Kartei der beim UfJ registrierten V-Leute als Sicherungskopie an den CIA abgegeben wurde und dort möglicherweise noch vorhanden ist“.
Der Walter-Linse-Preis
Allein in den ersten zehn Jahren erfasste der UfJ in einer sogenannten Belasteten- beziehungsweise Beurteilungsdatei rund 100.000 DDR-Bürger mit gesellschaftlichen Funktionen. Westdeutsche Behörden beauftragten auf dieser Grundlage den UfJ tausendfach mit der Erarbeitung von sogenannten Personalgutachten, eine „Überprüfung“ von DDR-Flüchtlingen, die sich für eine Arbeit im öffentlichen Dienst beworben hatten. Und das, obwohl es sich hier um eine private Organisation handelte und deren Informationsbeschaffung zum Teil durch „Anschwärzen“ entstand.
Das MfS stufte den UfJ als Diversions- und Spionageorganisation ein und bekämpfte ihn mit aller Härte. Einer der bekanntesten Fälle ist Walter Linse. Am 8. Juli 1952 entführte ihn das MfS mit Hilfe von angeworbenen Kriminellen nach Ost-Berlin und übergab ihn später dem KGB. Er wurde im Dezember 1953 in Moskau hingerichtet. In der Jelzin-Ära wurde er am 8. Mai 1996 als politisches Opfer rehabilitiert. Im Juli 2007 schrieb der Förderverein der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen einen mit 5.000 Euro ausgelobten „Walter-Linse-Preis“ aus. Gleichzeitig wurde seine Nazi-Vergangenheit als Beauftragter für die Arisierung von jüdischen Unternehmen bei der IHK Chemnitz öffentlich bekannt. Nach einer kontroversen und seine Verantwortung bei der Ausplünderung der Chemnitzer Juden verharmlosenden Diskussion wurde der Preis Ende 2007 in „Hohenschönhausen-Preis zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur“ umbenannt.
Der eigenständige Status des UfJ endete am 25. Juni 1969. Es erfolgte die Übernahme in das am 1. Juli 1969 neugegründete „Gesamtdeutsche Institut“ der Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben (BfgA). Unterstellt war es dem Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen. Die nun unter dem Dach einer Anstalt des öffentlichen Rechts gesammelten Informationen wurden bis zur wiedervereinigungsbedingten Auflösung des Institutes rege von westlichen Geheimdiensten angefragt.
Fazit: Die Mächtigen und ihre geheimen Dienste machten auch mit Faschisten Deals, wenn diese bei der Durchsetzung ihrer Machtinteressen hilfreich waren. Bis heute.
Unser Autor ist Diplomgesellschaftswissenschaftler und veröffentlichte in „Berliner Zeitung“, „junge Welt“ und „Leipziger Volkszeitung“
Literatur- und Filmhinweise
Enrico Heitzer: „Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) – Widerstand und Spionage im Kalten Krieg 1948 – 1959“, Böhlau Verlag
„Mit Bomben, Gift und Reifentötern – Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“, Dokumentarfilm von Erika Fehse, 1996. Der auf YouTube zu findende Film wurde für den WDR gedreht. Er zeigt nicht nur die ganze Bandbreite und Problematik des Wirkens der KgU, sondern es kommen auch damals noch lebende ehemalige KgU-V-Leute zu Wort, wie der Mediziner Walter Schöbe.
„Der 17. Juni 1953 – Berichte über den Volksaufstand aus Ostberlin und Bonn“, Ronny Heidenreich, 2023 – Eine PDF-Version ist im Bundesarchiv kostenlos abrufbar.