Am 19. August fanden sich rund 600 Menschen auf dem Vorplatz des Kasseler Hauptbahnhofs ein, die gegen Sozialkürzungen protestierten. Die Versammlung stand unter dem Motto: „Sparen? Nicht an uns!“
Bei den Demonstrierenden handelte es sich vor allem um gewerkschaftlich organisierte Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sowie ihre Klientinnen und Klienten. Unter ihnen war Freya Pillardy. Sie ist staatlich anerkannte Sozialarbeiterin, angestellt bei der Stadt Kassel, und ver.di-Vertrauensfrau. In ihrer Rede thematisierte Pillardy die von der hessischen Landesregierung geplante Änderung der staatlichen Anerkennung von Sozialarbeitenden. UZ sprach mit ihr über Inhalt und Folgen dieses Vorhabens.
UZ: Du kritisiert die Informationspolitik der hessischen Landesregierung im Zusammenhang mit der geplanten Änderung des sogenannten „Sozialberufeanerkennungsgesetzes“. Woher hast du davon erfahren?
Freya Pillardy: Aus dem BPS-Büro der Uni Kassel, das für die Praxisphase und Prüfung im Rahmen der staatlichen Anerkennung zuständig ist. Das alles auch noch kurz vor den Sommerferien. ver.di hätte sich erhofft, von der Regierung beziehungsweise den regierenden Parteien direkt über dieses Gesetz informiert zu werden. Vor allem von einer Regierung, bei der die SPD an Bord ist, hätte eine Gewerkschaft wie ver.di das erwartet. Die meisten Sozialarbeiterinnen, Sozialarbeiter und Studierenden der Sozialen Arbeit haben jedoch noch gar nichts von den geplanten Änderungen gehört. Kommt man aber darüber ins Gespräch, so sieht man, dass die Pläne auf wenig Zustimmung treffen.
UZ: Wozu berechtigt die staatliche Anerkennung und welche Änderungen sind vorgesehen?
Freya Pillardy: Der Gesetzentwurf sieht zunächst eine beträchtliche Kürzung der Praxisphase von 365 auf 100 Tage vor. Hinzu kommt, dass die staatliche Anerkennung nun auch für vergleichbare Studiengänge zugänglich wird und nicht mehr nur über ein abgeschlossenes Studium der Sozialen Arbeit. Welche Studiengänge das schlussendlich umfassen wird, ob Philosophie, Soziologie oder Lehramt, ist bisher noch unklar. Festgelegt wird das am Ende durch privatwirtschaftlich organisierte Akkreditierungsagenturen, die von den prüfenden Hochschulen bezahlt werden.
Was aber feststeht, ist, dass qualifizierte Soziale Arbeit eine umfassende Ausbildung benötigt. Die staatliche Anerkennung gibt einem die Befugnis, beispielsweise über die Inobhutnahme von Kindern oder Einweisungen in Psychiatrien zu entscheiden. Das sind Entscheidungen, die nicht leichtfertig oder unqualifiziert getroffen werden sollten.
Wird der Gesetzesentwurf durchgewinkt, so bedeutet das, dass an der Ausbildung gespart wird. Der Beruf des Sozialarbeitenden wird abgewertet. Eine Senkung des Werts der Ware Arbeitskraft. Das öffnet Tür und Tor, die ohnehin schon schlechten Arbeitsbedingungen noch weiter zu verschlechtern.
UZ: Der soziale Sektor ist stark unterbesetzt und benötigt dringend Fachkräfte. Kann die Gesetzesänderung in diesem Rahmen nicht entlastend wirken, wenn dadurch mehr Personal gewonnen werden kann?
Freya Pillardy: Der sogenannte Fachkräftemangel ist ein reales Problem im sozialen Bereich, das stimmt. Aktuell sind im Bereich Gesundheit und Soziales über 130.000 Stellen unbesetzt. Grund dafür ist aber nicht das mangelnde Interesse am Beruf oder die unüberbrückbaren Hürden der staatlichen Anerkennung. Vielmehr sind es die schlechten Arbeitsbedingungen, die die Menschen davon abhalten, einen Beruf in der Sozialen Arbeit zu ergreifen oder sie dazu bringen, wenn sie dort bereits tätig sind, sich beruflich umzuorientieren. Andere wiederum fallen aufgrund von Burn-out aus.
Niedrige Gehälter, Schichtdienst, Unterbesetzung, Arbeitsverdichtung, Budgetkürzung, all das, gepaart mit sich zuspitzenden Problemlagen der Klientinnen und Klienten – das sind Faktoren, die den selbstgemachten Fachkräftemangel bedingen und weiter verschärfen. Die Antwort auf diese Probleme kann aber keine Abwertung der Ausbildung sein. Vielmehr müssen die Arbeitsbedingungen verbessert werden.
Der Gesetzentwurf der Landesregierung ist einzuordnen in den allgemeinen Sparkurs. Im sozialen Bereich wird ordentlich Geld eingespart, um dieses dann in Rüstung und Unternehmenssubventionen fließen zu lassen. Statt die Ausbildung abzuwerten, brauchen wir bessere Arbeitsbedingungen. Wenn Menschen, die in einem anderen Studienfach einen Abschluss haben, Sozialarbeiterin oder Sozialarbeiter werden wollen, dann sollte ein entsprechendes Studium durch den Staat hinreichend finanziert und auf Wunsch berufsbegleitend ermöglicht werden. Dafür muss man Geld in die Hand nehmen.
UZ: Viele Studierende müssen während ihres Praktikums mit wenig bis keiner Entlohnung zurechtkommen. Sie ersetzen aber oftmals vollwertige Arbeitskräfte statt zu lernen. Kann die Verkürzung der Praxisphase von 365 auf 100 Tage in diesem Zusammenhang nicht auch positiv gesehen werden?
Freya Pillardy: Die Prekarität, in die sich die meisten Studierenden während ihres Praktikums begeben müssen, ist ein tatsächlich ernsthaftes Problem. Die Wochenstundenzahl beträgt 30 bis 40 Stunden, nicht selten ersetzt man bereits nach wenigen Wochen eine Fachkraft, ohne entsprechend bezahlt zu werden. Kapazitäten für eine fachgerechte Anleitung sind meist nicht gegeben. Diese Bedingungen sind nicht hinzunehmen.
Doch auch hier kann wieder nicht die Antwort sein, die Qualifikationen zu senken, indem die Zeit der theoretisch begleiteten Praxis verkürzt wird. Die Antwort liegt in der Verbesserung der Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen, mit voll bezahlten Praktika, mit bedarfsgerechter Praxisanleitung und so weiter. Damit will ich nicht sagen, dass die bestehenden Studien- und Ausbildungsinhalte das Gelbe vom Ei sind. Wir sollten durchaus darüber nachdenken, welche Studien- und Ausbildungsinhalte wir brauchen, um Sozialarbeitende zu einer demokratischen Berufspraxis zu befähigen und ihnen zu ermöglichen, die gesellschaftlichen Verhältnisse und damit Rahmenbedingungen für ihre Arbeit kritisch zu hinterfragen sowie Klientinnen und Klienten dabei zu unterstützen, aktiv für ihre Interessen einzustehen.
UZ: Was kann man tun, wenn man gegen die Gesetzesänderung aktiv werden möchte?
Freya Pillardy: Den Kampf gegen die Gesetzesänderung müssen wir zusammen mit anderen politischen Kämpfen denken: mit dem Kampf gegen Aufrüstung, die Sparmaßnahmen im sozialen Bereich, mit dem Kampf um bessere Arbeitsbedingungen im Sozialen Bereich. Damit das gelingt, muss dies mit der Stärkung gewerkschaftlicher Strukturen in den Betrieben und ihrer Handlungsfähigkeit einhergehen.
Konkret wird es in der nächsten Zeit darum gehen, möglichst viele Beschäftigte und verschiedene Akteure aus Gewerkschaften, Berufsverbänden, Studierende und Lehrende der Sozialen Arbeit an einen Tisch zu bekommen und mit Aktionen Druck zu machen gegen das Gesetz. Wir haben mit einer Postkartenaktion begonnen, also dem Sammeln von Unterschriften unter Postkarten mit gegen das Gesetz gerichteten Forderungen, und es steht ein größeres Vernetzungstreffen an. Weitere Aktionen werden folgen.