Dietmar Daths „Stehsatz – Eine Schreiblehre“

Über Regeln, Helden und Geschenke

Anfang letzten Monats erschien Dietmar Daths neuestes Buch „Stehsatz – Eine Schreiblehre“. Eigentlich handelt es sich dabei aber um die erweiterte Variante einer Vorlesung, die Dath Anfang 2020 in Göttingen gehalten hat. Das Ganze soll, so betont Dath mehrmals, nicht eine fertige Poetologie sein, sondern vielmehr eine Auseinandersetzung und Reflexion seinerseits, mit seiner Art zu schreiben, und den Kritikern, die diese nicht gerne sehen. Was daraus entsteht, mutet ein wenig wie ein Rundumschlag an, im besten Sinne des Wortes.

Auf der einen Seite räumt der Autor der Kritik an seinem bisherigen Schaffen einigen Raum ein und setzt sich mit ihr auseinander, am Beispiel von Amazon-Rezensionen und den Kritiken aus bürgerlichem Feuilleton und linksliberalen Wohlfühlblättern. Wenig überraschend und doch ein wenig erschreckend unterscheidet die beiden Formate relativ wenig voneinander, denn beide sind nicht Willens, sich mit Sachverhalten und Büchern auseinanderzusetzen, die den eigenen Horizont überschreiten, und verlieren sich in nach außen getragener falscher Arroganz gegenüber großen Werken und Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die sie gerne als besserwisserisch beschimpfen und fortgeschmissen sehen wollen. Der Autor wäre jedoch nicht Dath, würde er bei dieser Symptomsichtung stehen bleiben, er erklärt auch den Grund für diesen offenen Hass der in großen Teilen siechenden kleinbürgerlichen Intelligenz. Ohne zuviel zu verraten, kann gesagt werden: Es hat etwas mit der Rolle des Kleinbürgertums und ihrer Kriecherei gegenüber der Bourgeoisie zu tun, die sie selbst dauernd in den Abgrund der Perspektiv- und Chancenlosigkeit im Kapitalismus zurückwirft, dass das, was sich als „Öffentlichkeit“ bezeichnet, vor allem in literarische Langeweile und Konservatismus verfällt.

Auf der anderen Seite sind da aber auch die persönlichen Anekdoten Daths über seinen literarischen Werdegang, die sich bei genauerer Betrachtung als entscheidend und stilbildend entpuppen. So berichtet der Autor etwa, wie er einmal auf der Suche nach einem Geschenk für eine Schulfreundin mangels Geld auf die Idee kam, ihr eine Geschichte zu schreiben. Das Besondere: Die Geschichte(n) spielten in einer Zukunft, in der die von ihm bewunderten Mitschülerinnen und Mitschüler allesamt aktive Heldenfiguren waren – Dath nickt dabei in Richtung „sozialistischer Realismus“ –, die „etwas Richtiges“ bewirken sollten. Mit dieser Geschichte meint er mehr als einfach nur eine persönliche Anekdote, er erklärt damit auch seine zweite Schreibregel – dazu gleich mehr – und sein frühes Verhältnis zum Publikum, das nicht nur Publikum, sondern auch Stofflieferant war und sich in allen literarischen Texten wiederfinden sollte.

Stichwort „Regeln“ – die definiert der Vortragende wie folgt: „Was Menschen Regeln nennen, sind Beziehungen von Momenten menschlicher Praxis zueinander, keine Objekte, die man in die Hand nehmen kann.“ Und so verfährt er auch mit ihnen: Er stellt im Buch beziehungsweise in den Vorlesungen seine Schreibregeln vor, die entgegen der allgemeinen Vorstellung gegenüber Regeln nicht einengend, sondern ungemein ordnend wirken. Auch hier liefert eine Anekdote den Ausgangspunkt und einen roten Faden durch das Buch, nämlich die genervte Antwort eines Lehrers auf eine gute Frage, die sich mit „Des isch halt so“ begnügte. Damit es nicht einfach „halt so isch“, schlussfolgert Dath, braucht es Regeln, die das erklären, was „so isch“.

Die 104 Seiten „Stehsatz“ enden mit den wunderschönen Sätzen: „Mag ja sein, dass es halt so ist. Aber so wird’s nicht bleiben.“ Und so ist das Ganze am Ende dann halt doch nicht „nur“ eine Schreiblehre, sondern ungemein politisch. Unbedingte Leseempfehlung, auch wenn man manchmal ein wenig verloren zwischen den Seiten steht. Gerade dann lohnt es sich aber weiterzulesen, damit man nicht wie die oben erwähnten Kritiker vor jeder Herausforderung des eigenen eingeübten Geschmacks zurückschreckend auf der Stelle stehen bleibt, sondern was mitnimmt.

Dietmar Dath: Stehsatz – Eine Schreiblehre. Wallstein Verlag, 108 Seiten, 18,- Euro

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"Über Regeln, Helden und Geschenke", UZ vom 6. November 2020



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