Krankenhauskahlschlag und Militarisierung im Gesundheitswesen

„Unter Druck wie nie zuvor“

Vom 9. bis zum 11. Oktober fand in Göttingen das „Vernetzungstreffen für eine solidarische Gesundheitsversorgung“ statt. UZ hat mit zwei der Teilnehmenden, Achim Teusch und Thomas Zmrzly, über die aktuelle Situation im Gesundheitswesen und Ergebnisse des Vernetzungstreffens gesprochen. Achim Teusch ist Arzt, Mitglied des Vereins demokratischer Ärzt*innen (vdää) und Autor der Broschüre „Kein Bett zu viel“ zur Krankenhausplanung. Thomas ­Zmrzly ist Krankenpfleger am Universitätsklinikum Düsseldorf, Mitglied von ver.di und Aktivist im Bündnis für ein gemeinwohlorientiertes Gesundheitswesen.

UZ: Ihr seid beide seit langer Zeit im Gesundheitswesen aktiv und habt im Jahr 2022 maßgeblich die Volksinitiative „Gesunde Krankenhäuser in NRW – für alle!“ mitorganisiert. Wie hat sich die Situation in den Kliniken seitdem verändert?

Achim Teusch: Das sozialstaatliche Gesundheitswesen, in dem wir aufgewachsen sind und das wir fast alle beibehalten möchten, steht unter Druck wie nie zuvor. Die Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag und in den Landtagen glaubt und verbreitet, was die Bertelsmann-Stiftung 2019 auf den Punkt brachte und was Karl Lauterbach als Gesundheitsminister bei jeder Gelegenheit verkündete, nämlich dass die Qualität der Krankenhausbehandlung von der Größe des Krankenhauses abhängt.

Groß ist demnach gleichzusetzen mit gut, klein mit schlecht. Deswegen haben sie offenbar kein schlechtes Gewissen, wenn sie hunderte von Krankenhäusern am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Energiepreissteigerungen, Inflation, Lohnerhöhungen? Nach Jahren des Hinhaltens soll es ab dem 1. November 2025 bis zum 31. Oktober 2026 Zuschläge in einer Höhe von insgesamt 4 Milliarden Euro zum Ausgleich der Kostensteigerungen („Sofort-Transformationskosten“) geben. Doch bevor der erste Euro fließt, werden 1,8 Milliarden Euro durch neue Sparmaßnahmen wieder einkassiert.
Welcher „Plan“ liegt dem zugrunde? Es ist noch immer der alte Bertelsmann-Plan: Eine vielfältige, flächendeckende Krankenhauslandschaft aus circa 1.800 Krankenhäusern soll durch 400 einsame Krankenhauskolosse ersetzt werden, die weithin sichtbar über der Versorgungswüste thronen.

Dieser Plan gleicht einer tickenden Zeitbombe. Unseren Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern wird er zwar eine Menge Unannehmlichkeiten bereiten, aber ihre Arbeit bleibt ein knappes, unverzichtbares Gut. Politische Fehlentscheidungen verändern schließlich nicht die Zahl der Hilfesuchenden und ihre Erkrankungen. Die Hauptleidtragenden werden die Patientinnen und Patienten sein, die aber das Ticken der Bombe mehrheitlich noch nicht hören.

Thomas Zmrzly: Nur dort, wo kollektive – also gemeinschaftliche – Anstrengungen wie der Tarifvertrag Entlastung (TV-E) erstreikt wurden, konnten Verbesserungen erkämpft werden. In der Fläche der meist kirchlichen oder privaten Krankenhäuser ist diese Bewegung jedoch nicht angekommen und hat allenfalls mittelbaren Einfluss. Dort berichten die Kolleginnen und Kollegen von den leider üblichen Erscheinungen wie Überlastung, Ausbrennen und den Versuchen, vereinzelt Auswege zu finden, darunter Arbeitszeitreduzierung oder Berufsflucht. Ein Licht am Ende des Tunnels ist nicht in Sicht. Hier sind auch Häuserkämpfe um Tarifverträge dringend von Nöten.

UZ: In den letzten Jahren haben viele Bündnisse und Organisationen gegen diese Missstände gearbeitet und versucht, Druck für eine andere Krankenhauspolitik zu machen. Krankenhaus statt Fabrik, das Bündnis Klinikrettung und die Rosa-Luxemburg-Stiftung haben gemeinsam mit vielen örtlichen Bündnissen ein „Vernetzungstreffen solidarische Gesundheitspolitik“ durchgeführt. Ihr wart beide vor Ort. Was waren eure Eindrücke und die Hauptthemen?

Achim Teusch: Ich habe junge und ältere Menschen getroffen, Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte, Studierende, Menschen aus ganz unmedizinischen Zusammenhängen, die sich gemeinsam und gelegentlich kontrovers in einer angenehmen, solidarischen Arbeitsatmosphäre einen Überblick über Geschichte und Gegenwart der Krankenhauspolitik verschaffen wollen und sich auf die Suche nach Alternativen begeben haben. Gut besucht war die Podiumsdiskussion am Freitagabend, in der über aktuelle Themen der Gesundheitspolitik gesprochen wurde: Primärarztsystem, Ambulantisierung, Notfallreform, Militarisierung, gewerkschaftliche Positionen dazu. Besonders erwähnenswert und positiv finde ich, dass die Bündnisse „Krankenhaus statt Fabrik“ und „Bündnis Klinikrettung“ erstmals eine so wichtige Veranstaltung gemeinsam ausrichteten.

Fünf Themen haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Vernetzungstreffens als besonders bedeutsam herausgearbeitet: erstens Gewinnverbot in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) und Krankenhäusern, zweitens Einführung einer Bürgerversicherung, drittens der Militarisierung des Krankenhauswesens entgegentreten, viertens gesetzliche Personalbemessung für alle (Berufsgruppen im Krankenhaus) und fünftens gemeinnützige MVZ und Polikliniken stärken.

Thomas Zmrzly: Beim Vernetzungstreffen war das „Who-is-Who“ der Krankenhausbewegung der letzten Jahre. Alle politischen Strömungen der Linken waren vertreten. Es zeigte sich in weiten Teilen ein gemeinsames Verständnis für die Entwicklung im Gesundheitswesen.

Auffällig war aber, dass die Gewerkschaft der Beschäftigten im Gesundheitswesen fehlte – das ist ver.di. Zwar ist ein nicht geringer Teil derer, die teilgenommen haben, ver.di-Mitglied. Aber ein offizieller Vertreter der Gewerkschaft war nicht anwesend. Das spiegelt einerseits die bundespolitische Linie der Gewerkschaft wider, die faktisch abwesend ist, wenn es um den Kampf gegen die „Krankenhausreformen“ geht. Und andererseits zeigt es, dass die gewerkschaftliche Linke nicht in der Lage ist, politisch Einfluss zu nehmen. Ein konzertierter Versuch, dies zu ändern, steht noch aus.

UZ: Gerade in Bündnissen ist nach solchen Treffen ja immer die Frage: Wie geht es weiter? Welche Themen werden gemeinsam bearbeitet, oder gibt es eine Kampagne? Wie würdet ihr das Ergebnis der Konferenz zusammenfassen?

Achim Teusch: Eine klare Aktionsorientierung brachte die Konferenz nicht hervor. Ich denke aber, dass die Finanzierung des Gesundheitswesens in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation und militärischer Aufrüstung auf Platz eins der gesundheitspolitischen Themen vorrückt. Die öffentliche Aufmerksamkeit für Themen wie die Vermeidung eines weiteren Anstiegs der Zusatzbeiträge in der Krankenversicherung und der Eigenanteile der Menschen in stationärer Langzeitpflege zeigt das deutlich.

Wir sollten uns darauf vorbereiten, unsere Vorstellungen hierzu in die öffentliche Auseinandersetzung zu tragen. Dazu gehören die Forderungen nach einer solidarischen Bürgerversicherung, einer Pflegebürgervollversicherung, der Erhöhung der staatlichen Zuschüsse zu den Gesundheitsausgaben und der Umverteilung des Reichtums.

Thomas Zmrzly: Es wird auch weiter unsere Aufgabe sein, die fundamentale Kritik an der Krankenhausreform – ob auf Bundes- oder Landesebene – in die Betriebe zu tragen. Der gewerkschaftliche Apparat wird das nicht verhindern, aber auch nicht vorantreiben. Trotzdem ist eine Politisierung der tariflichen Kämpfe angesichts von Aufrüstung und weiterem angedrohten Sozialabbau dringend von Nöten. Wir stehen wahrscheinlich vor einer der größten tarifpolitischen Auseinandersetzungen der nächsten Jahre. Errungenschaften der Arbeiterbewegung müssen verteidigt werden: Dazu gehören Löhne, Tarifverträge und der Acht-Stunden-Tag, die auf der Agenda stehen. Neben der Kritik an der Gesundheitspolitik wird es nötig sein, eine Verbindung herzustellen zwischen der Aufrüstung einerseits und der Verteidigung sozialer Errungenschaften andererseits.

Wir müssen die Abwehrfront vergrößern – zum Beispiel mit dem Kampf um eine gesetzliche Personalbemessung für alle Berufsgruppen im Krankenhaus. Die Bündnisse müssen entwickelt und ausgebaut werden: In den Krankenhäusern selbst, über die Einzelgewerkschaften hinaus und in die Gesellschaft hinein. Da stehen wir noch ganz am Anfang.

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"„Unter Druck wie nie zuvor“", UZ vom 31. Oktober 2025



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