Land soll übernehmen – 34 000 Lehrerinnen und Lehrer fehlen

ver.di verlangt kommunalen „Schuldenschnitt“

Von Uwe Koopmann

Städte, Gemeinden und Landkreise werden von ihren Schulden aufgefressen. Rechnerisch – weil die Ausgaben die Einnahmen übersteigen. Politisch – weil die Kommunen mit Aufgaben überfordert und mit sinkenden Steuereinahmen ausgeblutet werden. Die Folgen: Gebühren steigen, Kitas, Schwimmbäder und zu guter Letzt Grabstellen werden teurer. Und das alles trotz des ganz beachtlichen Booms in der Ökonomie mit zunehmenden Steuereinkommen des Fiskus.

Weder die Kanzlerin noch die Regierung wollen daran etwas ändern. Schon gar nicht die Banken, für die die Kommunen ein Selbstbedienungsladen mit Einnahmegarantie sind. Adminis­trative Folgen: Haushaltssicherungspläne müssen aufgelegt werden, die den kommunalen Spielraum allerdings noch weiter strangulieren.

Die Beratungsgesellschaft Ernst& Young ermittelte im vergangenen Jahr, dass es Schuldenverringerung und Schuldensteigerung gibt. Unterm Strich stieg der Schuldenberg der Kommunen mit mehr als 20000 Einwohnern auf 82,8 Mrd. Euro. Ein Viertel der Kommunen sieht sich dabei nicht mehr in der Lage, die Schulden zu tilgen. Fazit: Bei den Reichen läuft’s besser, bei den Armen wird’s schlimmer. Das „Handelsblatt“ bestätigt: „Es fehlt eine Perspektive, wie sie dem Teufelskreis aus Schulden, Leistungskürzungen und sinkender Attraktivität wieder entkommen können.“

Seit fast 50 Jahren stehen die kommunalpolitischen Positionen der DKP dagegen. Zinsmoratorium und Schuldenschnitt lauten die Forderungen. Nun gibt es auch von der Gewerkschaft ver.di mit dem „Kommunalfinanzbericht 2017“ eine erfreuliche Solidaritätserklärung für die Rathäuser: Schuldenschnitt für die Kommunen! Die Gewerkschaft hat allein für die Kassenkredite („Ausgleich kurzfristiger Liquiditätsschwankungen“) in NRW ein Haushaltsminus von fast 26,8 Mrd. Euro ermittelt.

Die von ver.di in Auftrag gegebene Untersuchung kommt ferner zu dem Schluss: „Auch die Beschäftigten müssen weiterhin mit einer Intensivierung der Arbeit und einem massiven Stellenabbau rechnen. Nicht nur die Stärkungspakt-Kommunen, sondern auch viele andere Kommunen streichen ihren Haushalt zusammen.“

Auch ver.di sieht „die bundes- und landespolitischen Unterstützungsmaßnahmen sowie die schmerzhaften Kürzungsmaßnahmen der Stärkungspakt-Kommunen nicht als Lösung der Finanzprobleme“ an. Der „Stärkungspakt“ des Landes ging über 5,76 Milliarden Euro, verlangte aber gleichzeitig massive Einschnitte der Kommunen bis zum Haushaltausgleich in 2021. Von 2012 bis 2021 sollen im Bereich der Kinder- Jugend- und Familienhilfe 574 Mio. Euro „eingespart“ werden. Von 2012 bis 2014 waren es bereits 112 Mio. Euro.

So könnte die Entlastung nach den ver.di-Vorstellungen laufen: Das Land nimmt einen Kredit „zu sehr günstigen Zinskonditionen“ auf, und ein „wesentlicher Teil der kommunalen Schulden würde übernommen.“ Statt kurzfristiger „Lösungen“ geht es darum, „die Finanzausstattung dauerhaft zu verbessern“. Der Wirtschaftswissenschaftler Achim Truger legt nach: „Grundsätzlich muss dazu das Konnexitätsprinzip ‚Wer bestellt, bezahlt’ durchgesetzt werden. Anders ausgedrückt: Wenn die Kanzlerin zum Beispiel die Flüchtlinge, was gut ist, begrüßt, dann kann sie die Kosten für diesen Clou nicht den Gemeinden aufdrücken. Dann muss die Bundesregierung auch dafür zahlen.

Der Vorschlag von ver.di geht allerdings nicht so weit, dass ein Moratorium beschlossen werden könnte, nach dem die Banken von den Kommunen nicht länger mit Zinsen und Zinseszins bedient werden. Eine solche Forderung wäre vermutlich „systemrelevant“.

Wie Sarkasmus mutet der Anspruch der neuen NRW-Landesregierung von CDU und FDP an, die keine Kredite, weniger Steuern und zugleich höhere Investitionen fordert. Durch diese Haushaltspolitik würden soziale Ungleichheit und Kinderarmut gefördert. Truger warnt zudem vor den Steuersenkungsabsichten der CDU-Mittelstandsvereinigung, die auf 2,1 Mrd. Euro bis 2021 hinauslaufen. Eine weitere Maßnahme zur Ausblutung der Kommunen. Ver.di richtet den Fokus anders aus: Höhere Einkommen stärker besteuern, keine Schonung der Kapitalerträge, Anhebung der Vermögens- und Erbschaftssteuer.

Und in der Zusammenfassung heißt es abschließend: „Der Bund sollte stärker als geplant die Finanzierung von (Teilen der) kommunalen Sozialausgaben übernehmen und einen Entschuldungsfonds für Länder und Kommunen einrichten sowie verstärkt kommunale Problemlagen im Rahmen des föderalen Finanzausgleichs angehen.“

Das Geld der Reichen wird also dringend benötigt. Einen Schreck mag da aktuell manchem Kämmerer sogar die Bertelsmann-Stiftung eingejagt haben. Sie ermittelte: 2030 fehlen bundesweit rund 30 000 Klassen. Die sollen ja Klassenräume bekommen, die die Kommunen bauen müssen. Und 43 000 Lehrerinnen und Lehrer müssten selbst bei gleichbleibend großen Klassen eingestellt werden. Das Problem fängt aber in NRW sofort an: Die neunjährige Schullaufbahn verlangt mehr Tische, Stühle und Kreide als die achtjährige Schülerbiografie.

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"ver.di verlangt kommunalen „Schuldenschnitt“", UZ vom 21. Juli 2017



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