Es ist wenig erstaunlich, dass die erste Regierungserklärung von Friedrich Merz als neuer Kanzler eine Kriegsrede war. Merz betonte darin die Entschlossenheit seiner Regierung, der Bundeswehr alle Mittel zur Verfügung zu stellen, „um konventionell zur stärksten Armee Europas“ zu werden. Er begründete dies nicht nur mit der Notwendigkeit, die Ukraine gegen Russland zu unterstützen. Er stellte dieses Ziel auch in den allgemeineren Zusammenhang, das sei „dem bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten Land Europas mehr als angemessen“.
Seit ihrem blutigen Sieg über Frankreich im Jahre 1871 summt die herrschende Klasse Deutschlands mal leiser, mal lauter dem Rest Europas und der Welt dieses Lied von der stärksten Militärmacht vor. Das entspreche seinem Rang als stärkstes Volk des Kontinents. Das war nach dem damaligen Sieg ab 1880 die Leimrute, auf der deutsche Heere 1914 mit Hurra gegen die Russen in die Schlacht von Tannenberg zogen. Das Gesumme dieses Mantras war auch enthalten in dem Refrain „ … und heute, da hört uns Deutschland und morgen die ganze Welt …“, mit dem die schwerbewaffneten Wehrmachtssoldaten nach Stalingrad zogen. Soll das nun erneut die Losung sein, mit der sich dieses Volk, Lemmingen gleich, zum dritten Mal in den Abgrund stürzt?
Ein innerer Zusammenhang besteht, anders als Merz unterschiebt, zwischen der wirtschaftlichen Macht oder Bevölkerungsstärke und dem Ziel, eine entsprechende militärische Stärke zu erreichen, nicht. Ökonomisch beweist das das deutsche „Wirtschaftswunder“ aus der armeelosen Zeit von 1949 bis 1956. Und im Gegenteil ist es so, dass die Völker, die 1945 mühsam dem deutschen Militarismus die Waffen aus der Hand geschlagen hatten, am 19. September 1990 in Moskau den Bestrebungen, erneut erste Militärmacht Europas zu werden, ein klares Stoppschild zeigten. Im Zwei-plus-vier-Vertrag verpflichtet sich dieses Land, das nur dadurch überhaupt seine Einheit wiederbekommen konnte, zu einer Begrenzung seiner Armee auf 370.000 Soldaten. Selbst wenn Merz all das, was er in Erdkunde mal in seiner mäßigen Schullaufbahn gelernt hat, vergessen hat und weder Russland noch die Türkei zu Europa zählt, liegt unter anderem die Armee der Ukraine in ihrer Stärke weit über dieser roten Linie von 370.000 Mann unter Waffen. Und wenn der Rest der EU wie geplant aufrüstet, werden das noch mehr werden.
Das ausgegebene Ziel ist also nur durch Aufhebung dieses Vertrages von Moskau zu erreichen. Der sieht aber kein Kündigungsrecht vor. Es bräuchte zu seiner Aufhebung die Zustimmung aller Vertragsparteien und damit – als Nachfolgestaat der damals unterzeichnenden Sowjetunion – der Russischen Föderation. Da dies durch den antirussischer Kurs der Bundesregierung in weiter Ferne liegt, bleibt nur der mehr oder weniger offene Vertragsbruch. Dazu hat die FAZ am 24. März bereits mit der famosen Begründung aufgerufen, durch Russlands „Vernichtungsfeldzug gegen die Ukraine“ gäbe es „gute Gründe, von einem Wegfall der Grundlage für den Zwei-plus-vier-Vertrag zu sprechen“. In einer solchen Logik sind alle Verträge, die zwischen Staaten jemals abgeschlossen wurden, Asche.
Das Misstrauen der Völker gegenüber dem Land, das Europa schon zweimal in Brand gesteckt hat, das durch die Feierlichkeiten am 9. Mai in Moskau erneut vor aller Welt dokumentiert wurde, ist mehr als berechtigt – im Bundestag sind Brandstifter am Werk.