Tel Aviv beschleunigt Besetzung Gazas – Berlin prügelt Staatsräson durch

Völkermord für Großisrael

Israel kommen die Verbündeten abhanden. In einer gemeinsamen Erklärung teilten Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der britische Premier Keir Starmer und sein kanadischer Amtskollege Mark Carney mit, dass sie die Ausweitung der Angriffe auf Gaza entschieden ablehnen. Die drei kündigten an, mit „konkreten Maßnahmen“ zu reagieren, sollte Israel die erneute Militäroffensive nicht einstellen und die Beschränkungen der humanitären Hilfe nicht aufheben. Ob sie mit den „Maßnahmen“ auch auf eine Einstellung der Waffenlieferungen an Israel anspielten, ist nicht bekannt.

Und Berlin? Prügelt in Deutschland die Staatsräson durch. Massiv griff die Polizei am vergangenen Samstag die Demonstration in Erinnerung an die Nakba („Katastrophe“, das heißt die Vertreibung der Palästinenser) an – und behauptete hinterher, selbst das Opfer zu sein. Die Aufregung um angeblich verletzte Polizisten war groß, Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) ließ sich sogar zu der Aussage hinreißen, der angebliche Angriff auf den Polizisten sei „nur als Mordversuch zu deuten“. Die Polizei verkündet offiziell: „Mehrere Gewalttäter in der Menge des Versammlungsgeschehens griffen gezielt einen Polizeibeamten an, brachten ihn zu Boden und traten massiv auf ihn ein.“ Die Videos des Vorfalls zeigen anderes: Die Polizisten drängen unter massiver Gewaltanwendung in die Menge, um einen Demonstranten festzunehmen, um ihn herum haken sich die Protestierenden ein, die Polizisten schubsen und schlagen. Ein weiter im Inneren der Demo aufgenommenes Video zeigt den Polizisten, an dem es angeblich einen Mordversuch gab, in der Menschenmenge auf einem Demonstranten knien, ein weiterer Demonstrant wird von Polizisten auf ihn gedrückt, kurz ist der Polizist nicht mehr zu sehen. Wenige Momente später schlägt er mehrfach mit der Faust auf den Kopf eines Demonstranten.

Das hielt den Sprecher der Berliner Polizei, Florian Nath, nicht davon ab, an der Lüge von den gewalttätigen Demonstranten und den unschuldigen Polizisten festzuhalten. Wer braucht schon Beweise, wenn es gegen die Palästina-Solidariät geht? Schließlich sind die Teilnehmer einer solchen Demonstration schon durch ihre grundsätzliche Haltung zutiefst verdächtig – sicherlich werden auch die Lügen darüber, von wem auf der Nakba-Demo die Gewalt ausging, trotz deutlicher Beweislage als Argument für die weitere Einschränkung der Demonstrationsfreiheit genutzt werden.
Während man sich in Berlin also darüber aufregt, dass ein Polizist sich beim Einprügeln auf Demonstranten an der Hand verletzt, beschleunigt Israel den Völkermord in Gaza.

Am Freitag begann die sogenannte „Offensive Gideons Streitwagen“ – am Montagmorgen waren bereits über 300 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet worden. Zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe von UZ am Dienstag konzentrierten sich die Angriffe der Israelis unter anderem auf Dschabaliya im Norden Gazas. Gleichzeitig wurden die Menschen, die sich in Chan Junis im Süden des Küstenstreifens aufhalten, von den israelischen Besatzern angewiesen, die Stadt und benachbarte Orte zu verlassen – es stehe ein „beispielloser Angriff“ bevor, die Gegend sei ab Montag dieser Woche ein „gefährliches Kampfgebiet“. Bereits in der Nacht zum Montag hatte Israel mehr als 30 schwere Luftangriffe auf Chan Junis geflogen. Mit Evakuierungsanordnungen, Luftangriffen und Bodenoffensive vertreibt Israel die Palästinenser von Ort zu Ort. Im Norden Gazas gibt es kein funktionierendes Krankenhaus mehr, Ersthelfer kommen nicht mehr zu den Opfern der israelischen Angriffe durch, zu groß sind die Zerstörungen, die Israel angerichtet hat.

Die Ankündigung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, nun doch humanitäre Hilfe in den komplett abgeriegelten Küstenstreifen zu lassen, ist blanker Zynismus. Wenige Lkws mit Lebensmitteln sollen es sein. Damit müssen die Palästinenserinnen und Palästinenser weiter hungern.

Was mit der Vertreibung und Auslöschung des palästinensischen Volks bezweckt wird, erklärt unverblümt der rechtsextreme Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir: „Den Gazastreifen mit voller Kraft einnehmen, besetzen und besiedeln. Bloß keine humanitäre Hilfe reinlassen. Ich hoffe, wir gehen den ganzen Weg zum Sieg.“ Der Faschist Bezalel Smotrich, seines Zeichens Finanzminister in Israel, kündigte auf einer Pressekonferenz an, auf dem Weg der israelischen Armee werde „auch das, was vom Gazastreifen übriggeblieben ist, ausgelöscht“. Die Besatzerarmee werde die Palästinenser „aus den Kampfzonen bringen“. Vom Süden des Gazastreifens würden sie dann „mit Gottes Hilfe in Drittländer“ gebracht, wie es der Plan von US-Präsident Donald Trump vorsehe.

Damit wäre Israel dem zionistischen Traum eines Großisrael einen großen Schritt näher.

Doch weltweit gibt es Widerstand gegen Völkermord und Vertreibung. So demonstrierten am Samstag in Den Haag 100.000 Menschen zum Sitz des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), der sich schon seit einem halben Jahr mit einer Völkermordklage gegen Netanjahu beschäftigt. Alle waren in Rot gekleidet, um ihrer Regierung eine rote Linie zu zeigen – gleichzeitig forderten sie, Israel mit Konsequenzen zu drohen. Die Niederlande hatten die EU bereits zu einem härteren Kurs gegenüber Israel aufgefordert. Der neue Außenminister Caspar Veldkamp sagte, Israel verletze mit der Blockade von humanitärer Hilfe für die Menschen im Gazastreifen demokratische Prinzipien und Menschenrechte.

Bundeskanzler Friedrich Merz verkündete im Bundestag: „Wir stehen unverbrüchlich an der Seite Israels“. Völkermord ist in Deutschland offensichtlich egal. Vor allem der an den Palästinensern.

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"Völkermord für Großisrael", UZ vom 23. Mai 2025



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