Soziokulturelles Zentrum in Rom soll geräumt werden

Wem gehört die Stadt?

Von David Cacchione/Melina Deymann

Mittagessen zugunsten der Antifaschistischen Karawane im Nuovo Cinema Palazzo

Mittagessen zugunsten der Antifaschistischen Karawane im Nuovo Cinema Palazzo

( Franco Dispari)

Sie kamen im Morgengrauen des 15. Oktober. Die Eigentümer des Palazzos an der Piazza dei Sanniti im römischen Stadtteil San Lorenzo hatten einen privaten Sicherheitsdienst beauftragt, die Türen des größten soziokulturellen Zentrums im Viertel zuzuschweißen und den Betreibern den Zugang zu verwehren.

2011 war das Gebäude von Genossinnen und Genossen und verschiedenen Vereinigungen aus San Lorenzo besetzt worden.

In den 70er Jahren war das Palazzo ein Kino, das wegen der Wirtschaftskrise geschlossen wurde, private Investoren verwandelten es in einen Billardraum, dann in eine Bingo-Halle. Dann besetzten einige Bewohnerinnen und Bewohner des Viertels es, um es zu einem kulturellen Zentrum zu machen, dem „Nuovo Cinema Palazzo“. San Lorenzo braucht keine Bingo-Halle, in der die Leute ihr Geld verlieren, sondern einen Ort, an dem die Menschen des Stadtteils zum Diskutieren, zu Musik und anderen kulturellen Veranstaltungen zusammen- kommmen können.

San Lorenzo, ein ehemaliges Arbeiterviertel, ist stärker als die meisten Viertel Roms von Gentrifizierung betroffen. Spekulation, hohe Mieten und Firmen wie Airbnb, die normale Wohnungen zu Ferienwohnungen machen, verdrängen nach und nach die ursprünglichen Bewohner. So kann man auf den einschlägigen Portalen direkt gegenüber dem Cinema Palazzo eine Dreizimmerwohnung mieten – für 1 800 bis 2 800 Euro im Monat, je nach Jahreszeit, und natürlich nur monatsweise.

Seit Jahren findet daher ein politischer Kampf um Gebäude wie das Cinema Palazzo statt. Der Kinopalast beherbergt heute verschiedene Verbände, darunter den Arbeitersportverein „Atletico San Lorenzo“, mit hunderten von Mitgliedern hat er neben einer im Viertel sehr beliebten Fußballmannschaft auch eine Basketballabteilung und ein gemischtes Volleyballteam. Auch politische Veranstaltungen finden regelmäßig im Cinema Palazzo statt, zuletzt zwei Tage vor der versuchten Räumung des Gebäudes. Mit ungefähr 200 Beteiligten fand ein „Pranzo antifascista“ statt, ein antifaschistisches Mittagessen zugunsten der antifaschistischen Karawane in den Donbass.

Die zugeschweißten Türen ihres Palazzo ließen sich die Bewohner von San Lorenzo nicht lange bieten. Bereits um zwölf Uhr waren die Türen wieder offen, das Soziokulturelle Zentrum hatte den Betrieb wieder aufgenommen. Aus ganz Rom kamen hunderte Genossen, um ihre Solidarität auszudrücken und das Cinema Palazzo vor weiteren Räumungsversuchen zu schützen. Das Zentrum ist nun auch nachts bewohnt, die Betreiberinnen und Betreiber schlafen in den Veranstaltungsräumen, um ihr Projekt zu schützen. Jeden Morgen um sieben findet ein Solidaritätsfrühstück statt.

Die Stadt Rom steht auf der Seite der Hauseigentümer, hat sich aber bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe der UZ nicht zu den Vorgängen geäußert. Polizei, Ordnungsamt oder andere offizielle Stellen waren aber nicht an dem Räumungsversuch beteiligt. Ob Rom die Räumung unterstützt, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Die Frage, wem die Stadt gehört, wird sich auch am Nuovo Cinema Palazzo entscheiden.

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Wem gehört die Stadt?", UZ vom 25. Oktober 2019



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