Interview mit Orhan Gökdemır, dem Bürgermeisterkandidat der TKP für Istanbul

„Wenn sich die Türkei verdunkelt, wird sich auch Europa verdunkeln“

Osman Cutsay

Am 31. März finden in der Türkei Kommunalwahlen statt. In Istanbul kandidiert der Journalist und Schriftsteller Orhan Gökdemır für die Kommunistische Partei der Türkei (TKP). Osman Cutsay sprach mit ihm über die Lage des Landes und der Stadt, über die Rolle der TKP und sein Wirken.

UZ: Istanbul ist eine Megastadt. Sie sind Journalist und Schriftsteller und wurden von der TKP als Kandidat für das Amt des Bürgermeisters von Istanbul bei den Kommunalwahlen am 31. März nominiert. Lassen Sie uns zunächst diese Frage stellen: Warum und wie können Kommunisten in dieser Stadt intervenieren?

Orhan Gökdemır: Istanbul wird mehr als eine Megastadt sein. Wenn die AKP-Leute ihre Macht behalten und ihre Pläne verwirklichen können, werden sie Istanbul in eine „Ökumenopolis“ verwandeln. Das ist ein Plan zum Bau einer riesigen Stadt, die die gesamte Marmara-Region umfasst. Mit der Osmangazi-Brücke auf der Gebze-Seite am Ausgang von Istanbul und der Çanakkale-Brücke, die Thrakien mit Asien verbindet, haben sie einen ersten Schritt in diese Richtung getan. Die Izmir-Autobahn und die Çanakkale-Autobahn sind komplementäre Teile dieses Plans. Es wird ein Netz von Autobahnen und Brücken gebaut, das die Marmara-Region umgibt. Rund um diese Straße sind neue Industriezonen geplant. Außerdem gibt es große Wohnungsbauprojekte. Nimmt man das Monstrum namens Canal Istanbul (Istanbul-Kanal) hinzu, so entsteht eine „Regionalstadt“.

Die am meisten benachteiligten Menschen in diesem gigantischen Komplex sind die städtischen Armen. Man hatte sie in die Vororte der Stadt verdrängt. Jetzt schmiedet die AKP Pläne, um sie noch weiter zu vertreiben. Sie beschlagnahmen zum Beispiel die armen Viertel rund um den Canal Istanbul. Die beschlagnahmten Orte verwandeln sich bald in ein Meer von Bauten. Istanbul besteht jetzt aus Moscheen, reichen Wohnhäusern und Einkaufszentren. In diesem Raum ist kein Platz mehr für Kultur und Kunst und auch nicht für die Armen. Kultur und Kunst, säkularer Lebensstil und das historische Stadtgefüge sind einem schweren Angriff ausgesetzt. Das Tayyiban-Regime (das Regime der Tayyibisten beziehungsweise die Erdogan-Clique) ist dabei, das Gedächtnis der Stadt auszulöschen und an jeder Ecke islamische Symbole zu errichten. Die Moschee, die sie auf dem Taksim-Platz errichteten, und der Versuch, das Atatürk-Kulturzentrum abzureißen, geschahen aus diesem Grund. Überall ist das so. Die Küsten der Stadt, die sich zum Meer hin öffnen, sind von sehr reichen Profitjägern besetzt. Strände, die der Öffentlichkeit gehören, wurden für die Bebauung freigegeben, Wolkenkratzer haben die historische Stadt umzingelt.

Die ganze Baumobilisierung hat das Leben in Istanbul nicht einfacher gemacht. Im Gegenteil, es wird für die Armen immer unmöglicher, eine Wohnung zu finden. Die Miete für eine kleine Wohnung in einem beliebigen Viertel beträgt das Doppelte des Gehalts eines Rentners. Für einen Mindestlohnempfänger in dieser Stadt ist es unmöglich, selbst ein Haus zu mieten. All dies ist das Ergebnis davon, dass die grundlegendsten Bedürfnisse der Menschen dem Markt ausgeliefert sind. Das bringt natürlich auch andere Probleme mit sich. Der Verkehr ist unentwirrbar. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind unzureichend und auch im nationalen Vergleich sehr teuer.

Die Antwort der TKP auf diese Frage ist eine öffentlich-soziale Wirtschaft, das heißt eine Wirtschaftspolitik für die arbeitenden Menschen, nicht für die reichen Profitjäger der Erdoganisten. Die TKP wendet sich gegen die Verwaltung der Gemeinden nach einer kapitalistischen Unternehmenslogik. Sie fordert die Öffnung der Verwaltungen für die Bürger. Der Weg dorthin führt über die Organisierung des Volkes. Die Fähigkeit öffentlicher Organisationen, Gewinne zu erzielen, ist der größte Erfolg der Marktgesellschaft. Die Kommunen liefern Wasser und Gas an die Bevölkerung zu Preisen, die unter Marktbedingungen gebildet wurden. Das Ergebnis ist tiefe Armut und weit verbreitetes Elend.

Die Antwort der etablierten Sozialordnung auf diese Frage sind Almosen. Die TKP hingegen fordert die sofortige Enteignung aller privatisierten Vermögenswerte, um dem Volk zu geben, was sowieso dem Volk gehört. Wir werden Plünderungen verhindern, wir werden abreißen, was geplündert wurde, wir werden zum Beispiel die Küsten dieser Stadt von Plünderern säubern. Wohnen ist ein grundlegendes Menschenrecht, das nicht der Gnade des Marktes überlassen werden darf. Der Ausgangspunkt all dessen wird die Rückgabe des beschlagnahmten beziehungsweise geplünderten Vermögens des Volkes an das Volk sein.

UZ: Als Team leisten Sie intensive Propagandaarbeit und informieren die Menschen über die Pläne der Kommunisten für diese Stadt, insbesondere aber für die arbeitenden Menschen. Könnten Sie dieses Programm für die fortschrittliche Öffentlichkeit in Europa skizzieren?

Orhan Gökdemır: Die Ordnungsparteien, die diese kapitalistische Ordnung verteidigen, sind eher eine Aktiengesellschaft als eine Partei. Die Propaganda-Aktivitäten aller Parteien außer uns werden von professionellen Unternehmen durchgeführt. Mit anderen Worten: Es gibt keine AKP-Organisation vor Ort, sondern AKP-nahe Unternehmen. Es gibt keine CHP-Organisation, es gibt professionelle Unternehmen, die vom Bürgermeister der Stadt, Ekrem Imamoglu, geleitet werden. Es gibt also einen Wettlauf der Unternehmen in diesem Bereich. Wir hingegen fahren, da wir keine eigenen Fahrzeuge haben, mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Stadt und sind sichtbar für alle. So haben wir beispielsweise Nachbarschaftshäuser in armen Vierteln eröffnet und versammeln uns dort. Wir besuchen Vereine und Berufsverbände. Wir treffen Arbeiter an den Toren von Fabriken. Wir veranstalten kleine Kundgebungen auf verschiedenen Plätzen.

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Wahlwerbung der TKP für Orhan Gökdemır

Das Wahlrennen in der Türkei ist ein ungleiches. Auf der einen Seite steht die Regierungspartei, die öffentliche Mittel unbegrenzt einsetzt. Vertreter der Regierungspartei reisen mit staatlichen Fahrzeugen und Flugzeugen, halten mit diesen Mitteln Kundgebungen ab und verteilen aus öffentlichen Mitteln verschiedene Bestechungsgelder an die Bevölkerung. Sie zwingen Beamte zur Teilnahme an ihren Kundgebungen. Der Staat hat sich bereits in einen Parteienstaat verwandelt. Einige der Staatsbediensteten sind direkte AKP-Aktivisten. Gouverneure, Bezirksgouverneure, Gendarmeriekommandeure agieren als AKP-Funktionäre vor Ort. Schulen und Moscheen fallen in den Bereich dieser Arbeit der Erdoganisten. Alle Organisationen, die wir vielleicht als „Presse“ bezeichnen könnten, stehen unter der Kontrolle der Regierung. Es gibt keine Grenzen für die Regierung.

Die derzeitige Opposition hingegen, die man als loyalen Gegner der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung und Macht bezeichnen kann, diese Opposition agiert mit den Mitteln der kommunalen Verwaltung. Sie ist zwar kleiner, verfügt aber ebenfalls über Fernsehsender und Zeitungen, die von dieser Verwaltung (CHP-geführtes Bürgermeisteramt; d. Red.) kontrolliert werden. Außerdem erhalten die im Parlament vertretenen Parteien umfangreiche finanzielle Unterstützung. Die gesamte Macht der TKP besteht aus den Spenden ihrer Mitglieder. Trotz dieser kolossalen finanziellen Ungleichheit und des Presseembargos marschieren wir in dieser Stadt. Wir haben ein Versprechen, wir machen es, so gut wir können. Wir rufen unser Volk auf, sich zu organisieren und Widerstand zu leisten gegen die schrecklichen politischen und wirtschaftlichen Angriffe, die nach den Wahlen kommen werden.

UZ: Die Türkei und insbesondere Istanbul stecken in einer großen Krise. Während sich der Zusammenbruch beschleunigt, verstärken sich die Bemühungen der herrschenden Klassen, die Gesellschaft zu islamisieren. Wie beobachten Sie das Tempo der Islamisierung in der Gesellschaft?

Orhan Gökdemır: Die Krise und die Islamisierung sind zwei Entwicklungen, die Hand in Hand gehen. Dies zeigte sich mit dem Staatsstreich vom 12. September. Um das Land für die neoliberale Politik zu öffnen, wurden alle Arten von Organisationen gewaltsam zerschlagen und es wurde versucht, die Gesellschaft durch den Staat zu islamisieren. Es ist ganz klar, dass die Islamisierung in der Türkei eine staatliche Politik ist, und es wäre falsch, dies als Erfolg von Sekten und reaktionären Parteien zu deuten. Hinter den Sekten und reaktionären Parteien steht die Staatsmacht. Es ist die Kapitalistenklasse des Landes, die diese Macht hinter der Reaktion auftürmt.

Mit dieser Zusammenarbeit haben sie alle Maßnahmen, die das Land mit der Republik von 1923 eingeführt hatte, zerstört und alle Errungenschaften zunichte gemacht. Jetzt reislamisieren sie das Bildungswesen, um es in die vorrevolutionäre Zeit, vor 1923, zurückzuversetzen. Sie wollen das Volk mit Hilfe von Sekten tyrannisieren, so wie es die Osmanen getan haben. Das ist ihr Plan. Sie rauben das Volk aus, und je ärmer das Volk wird, desto mehr Religion pumpen sie hinein. Diese Ordnung kann keinen Tag mehr ohne die Hilfe der Religion überleben.

Das ist ihr Plan und ihre Türkei. Aber es gibt noch eine andere Türkei, die sich wehrt und Zeichen der Rebellion zeigt. Die republikanisch-laizistischen Menschen, die die Hälfte der Gesellschaft ausmachen, haben sich diesem islamistischen Regime nicht unterworfen. Sie versuchen, seinen Angriff mit ihren eigenen Methoden abzuwehren. Der Ansturm auf die Privatschulen zum Beispiel ist ein Nebenprodukt des religiösen Angriffs auf die Bildung. Aber es gibt keine Möglichkeit mehr zu fliehen.

Der einzige Grund, warum die Armen keine Antwort auf die politische und wirtschaftliche Krise des Landes geben können, sind die anderen Parteien, die vorgeben, Opposition zu sein, sie jedoch nur äußerlich imitieren. Diese „Oppositionsparteien“ tun alles, was nötig ist, um die Menschen von der Straße fernzuhalten. Jede Wahl, bei der sie die Menschen aufforderten, sie zu wählen, um die AKP loszuwerden, endete mit einer großen Enttäuschung. So haben sie die letzte Hoffnung des Volkes zunichte gemacht. Nach den letzten Parlamentswahlen wurde das reaktionärste Parlament in der Geschichte der Republik gebildet. Das Parlament besteht nun aus der AKP und kleinen AKPs. Das bedeutet, dass das säkulare republikanische Volk nicht vertreten ist. Denn die Republikanische Volkspartei (CHP) hat die säkulare Republik auf dem Moscheehof zurückgelassen und ist weggelaufen. Das einzige, was sie jetzt vertritt, ist die „vernünftige AKP“.

Die TKP ist die einzige Partei, die eine Antwort auf diese Krise geben kann. Sie sagt den Menschen, dass der Ausweg aus all dem nicht in der Rückkehr zur alten Republik liegt, sondern in der Errichtung einer neuen und egalitären Republik. Die Islamisierung ist der Plan des Staates und der Kapitalistenklasse. Unser Plan ist es, dass Laizisten, Säkularisten und Republikaner sich organisieren und aufstehen und eine starke Antwort auf diese Angriffe geben. Das gilt für die kommunalen Verwaltungen ebenso wie für die Zentralregierung. Wir werden den Staat wieder in einen Staat für sein Volk verwandeln. Wir werden eine neue Verfassung verkünden. Wir werden ein neues Parlament einrichten und es für das Volk öffnen. Die Versammlung der Volksvertreter der Türkei (Türkiye Halk Temsilcileri Meclisi – THTM), die wir neulich ausgerufen haben, ist eine Antwort auf diese Frage. Wir werden alles verstaatlichen, was sie dem Volk gestohlen haben. Die Menschen sehen jetzt, dass es ohne Laizismus auch kein Volk gibt.

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Orhan Gökdemır auf einer Wahlkampfveranstaltung der TKP (Foto: TKP)

UZ: Während Ihrer Kandidatur haben Sie ein neues Buch („Wörterbuch der Geschichte“) veröffentlicht. In diesem Buch rufen Sie zu einer neuen Aufklärung auf. Glauben Sie, dass die europäische Demokratie die republikanische, laizistische beziehungsweise antiimperialistische Aufklärung in der Türkei richtig verstehen kann?

Orhan Gökdemır: Wir sprechen über die Türkei, aber die Situation in Europa ist nicht besser als das, was hier beschrieben wird. Europa hat der Aufklärung, dem Produkt seiner eigenen Geschichte, den Rücken gekehrt. Es hat diesen erleuchteten Weg und den damit verbundenen Laizismus im Garten des Vatikans zurückgelassen und ist davongelaufen. Aufklärung, Revolution, Laizismus und sogar die Republik sind nun Waisenkinder. Hinter dieser reaktionären Entwicklung steht die Kapitalistenklasse in Europa. Überall will das Kapital die Massen mit Religion beherrschen. Denn es hat diesen Massen nichts mehr zu versprechen außer Armut. Also muss es das Licht verdunkeln.

In der jüngsten europäischen Krise, ich meine den russisch-ukrainischen Krieg, ist der Rassismus in Europa weit verbreitet. An die Stelle der Sympathie für die Revolution ist die Sympathie für den Faschismus getreten. Natürlich haben sie sich hinter die NATO gestellt und nehmen eine offensive Position ein. Das ist Wahnsinn. Die Völker Europas kennen die Folgen dieses Wahnsinns besser als wir. Diese Länder waren Schauplatz von zwei großen Kriegen. Europa wurde zweimal zerstört. Beim zweiten Mal wurde es dank der Sowjetunion vor der faschistischen Besatzung gerettet. Das haben sie uns vergessen lassen. Jetzt preisen sie die Nazis in der Ukraine.

Unter diesem Gesichtspunkt rechtfertigen die Herrschenden den Faschismus im Falle der Ukraine und den Zionismus im Falle des Gazastreifens. In den 1970er Jahren wurde jedoch in einer UN-Resolution anerkannt, dass der Zionismus auch eine Form des Rassismus ist. Jetzt versucht man, Kritik am Zionismus als „Antisemitismus“ zu bezeichnen. Denn die Zionisten, die Israel regieren, sind Blutsbrüder der europäischen Kapitalistenklasse.

Wenn der Faschismus-Zionismus der Wert des Kapitals ist, dann sind die Aufklärung und die Republik die Werte der großen Menschheitsfamilie. Wo immer sie entstanden sind, sind sie der gemeinsame Weg der Menschheit. Sie sind es, die uns letztendlich vereinen werden.

Wir haben ein Problem der „Aufklärung“ und wir suchen nach einem Weg, es zu lösen. Diejenigen, die diesen Weg finden werden, sind diejenigen, die das brennende Problem am meisten spüren.

Lassen Sie mich so viel sagen: Das europäische Kapital steckt hinter dieser Reaktion, dieser Islamisierung in der Türkei. Sie haben die islamistischen Faschisten unterstützt, um den Säkularismus/Laizismus zu zerschlagen, und das Ergebnis ist offensichtlich. Aber wir wissen, wenn die Türkei aufgeklärt wird, wird auch Europa aufgeklärt werden. Wenn sich die Türkei verdunkelt, wird sich auch Europa verdunkeln. Das ist es, was mein neuestes Buch „Tarih Sözlüüğü“ („Wörterbuch der Geschichte“) erörtert. Wir suchen nach einer neuen Sprache, einer neuen Geschichte und einer neuen Geographie. Wir wollen sie alle in Licht tauchen.

UZ: Wir führen dieses Interview, um es der linken Öffentlichkeit im deutschsprachigen Raum zu vermitteln. Leider wird in diesen Kreisen die Türkei seit 1923 als „Hölle des Völkermords“ dargestellt, als „Konzentrationslager“, das nichts mit historischer und humanistischer Progressivität zu tun hat. Man hält sie für eine Anomalie. Müssen wir diesen Kreisen die Geschichte und die Gegenwart des türkischen Progressivismus noch einmal erklären? Wie würden Sie den Europäern und den Fortschrittlichen, die sich bedingungslos der europäischen Demokratie unterwerfen, den türkischen sozial beziehungsweise sozialistisch orientierten Progressivismus und den kommunistischen Kampf erklären?

Orhan Gökdemır: Vor einem Jahrhundert wurde die Türkei als „europäische Türkei“ bezeichnet. Jetzt wird sie von Europa in den Nahen Osten gedrängt. Die Orientalisierung der Türkei ist ein westliches Projekt.

Natürlich haben sie die Republik kriminalisiert, um sich diesem Projekt anzupassen. Sie sind die „liberale Bande“, die von Europa unterstützt wird. Wenn man nach einem Verbrechen sucht, so findet man es in der Geschichte aller Länder, die versuchen, eine Nation zu werden. Schauen Sie sich die kolonialen Feldzüge Spaniens an. In der Geschichte Britanniens gibt es noch umfangreichere und geplante Verbrechen. Nur „naive“ Liberale glauben, dass Frankreich die Zivilisation nach Algerien gebracht hat. Wir können diese Beispiele vervielfältigen.

Man darf nicht vergessen, dass der Rassismus im 19. Jahrhundert in Europa erfunden wurde und der Kolonialismus dahinter steht. Wir können den Faschismus nicht getrennt vom Imperialismus betrachten. Auch die Türkei ist ein Überbleibsel eines Reiches, und es sind die imperialistischen Mächte, die das Reich, von dem die Türkei ein Überbleibsel ist, zerschlagen und seine Völker gegeneinander ausgespielt haben. Wir können die Deportation der Armenier nicht getrennt von den Plänen des deutschen Imperialismus betrachten. Wir können die griechische Migration aus Anatolien nicht vom Ersten Weltkrieg trennen, der ein Krieg der imperialistischen Teilung war.

Aber darüber hinaus hat die Türkei eine 200-jährige Geschichte des Kampfes um Aufklärung. Ihre Wurzeln reichen bis zum Tanzimat 1839 zurück. Sie umfasst die Erste und Zweite Verfassung, die den Versuch darstellten, eine verfassungsmäßige Ordnung zu schaffen, die Monarchie zu begrenzen und ein modernes Staatsbürgerrecht einzuführen. Die Freiheitserklärung von 1908 war eine große revolutionäre Initiative, und die Republik 1923 ist das Ergebnis dieser Initiative.

Natürlich kann nicht geleugnet werden, dass die Revolutionäre, die 1908 die „Hürriyet“ (Freiheit) ausgerufen haben, während des Großen Krieges (im Ersten Weltkrieg) einige Vergehen begangen haben. Diese entsprechen dem Wesen des Jahrhunderts, das wir durchleben. Die Republik Türkei wurde als revolutionäre Republik gegründet. Sie ist säkular und populistisch im Sinne einer auf die Interessen des Volkes gerichteten Politik. Sie wurde von der Großen Französischen Revolution inspiriert. Sie wurde durch die Unterstützung der Großen Oktoberrevolution möglich gemacht. Diejenigen, die das Gegenteil behaupten, sind Agenturen, die sich von unserem Volk abgewandt haben und die Türkei entvölkern und zerstückeln wollen. Unsere Wurzeln, die der TKP, liegen hier. Die Gründer der TKP haben mit Begeisterung an der Gründung der Republik mitgewirkt und dafür mit ihrem Leben bezahlt. Trotzdem hat die TKP keine „Blutfehde“ aus ihnen gemacht. Die gesamte fortschrittlich-aufklärerische Geschichte des Landes ist unsere. Wir werden die neue Türkei, die neue Republik auf der Grundlage dieser Geschichte aufbauen. Es gibt keinen anderen Weg.

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