Die Sozialdemokraten haben es wieder einmal geschafft. 56 Prozent der Mitglieder beteiligten sich am SPD-Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag mit der Union. Rund 85 Prozent sollen mit „Ja“ gestimmt haben. Damit ist der Weg für eine schwarz-rote Regierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) frei, die die Kriegs-, Krisen- und Kahlschlagspolitik der Ampel fortsetzen und verschärfen will. Die Freude im SPD-Lager ist groß – besonders bei Lars Klingbeil, der kurz nach Bekanntgabe des Ergebnisses schon einmal als Vizekanzler und Finanzminister inthronisiert worden ist.
Wer die Berichterstattung über den Mitgliederentscheid verfolgt hat, erlebte eine endlose Runde sozialdemokratischen Bullshit-Bingos. „Es ist klar, dass es nicht das SPD-Programm pur ist, aber die Alternative Neuwahlen oder eine Minderheitsregierung von Merz würde ich weniger gut finden und deshalb werde ich jetzt zustimmen“, sagte ein 24-jähriges Parteimitglied gegenüber „Tagesschau.de“. Er stimme zwar nicht allen Inhalten des Koalitionsvertrages zu, „aber im Großen und Ganzen, aus staatspolitischer Verantwortung, finde ich es wichtig, dass man mit Ja stimmt.“ Im gleichen Beitrag adressierte eine 32-jährige Sozialdemokratin ihre mit „Nein“ stimmenden Genossen: „Kann man machen, aber am Ende hat man dann auch keine Möglichkeit, zu gestalten.“ Ein 14-Jähriger gab unumwunden zu, dass ihm der Koalitionsvertrag nicht so wichtig sei. Denn wenn es zu Neuwahlen komme, „dann ist die AfD stärkste Kraft nach Umfragen. Und das wollen wir verhindern.“
Und so weiter, und so weiter. Lediglich die Jusos hatten für ein „Nein“ geworben. Allerdings nicht, um die Kriegspolitik zu beenden, nicht um für Frieden und Diplomatie einzustehen oder um wenigstens gegen die Kanonen-statt-Butter-Hochrüstung auf die Straße zu gehen. Nein, eine „Staatskrise“ wollte auch Jugendverbandschef Philipp Türmer nicht riskieren. Stattdessen forderte er in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ Nachbesserungen an einem Vertrag, der in seinem Wesenskern gegen die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung gerichtet ist.
Nun ist es gekommen, wie es kommen musste. Rein wahltaktisch ist die Zustimmung zum Koalitionsvertrag ein Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Denn dass sich die SPD an der Seite von Merz aus ihrem Umfragetief befreien, oder auch nur halbwegs überzeugend auftreten kann, dürfte niemand glauben. Mit dem Verlust der letzten Reste von Glaubwürdigkeit geht aber auch die Integrationsfähigkeit der SPD den Bach runter. Folgerichtig wird Schwarz-Rot den reaktionären Staatsumbau beschleunigen und die Fortsetzung der Kriegspolitik durch verschärfte Repression, Einschränkungen der Meinungsfreiheit, neue Berufsverbote und das Ausspielen der rassistischen Karte absichern. Wer nicht einen kann, muss spalten. Und die SPD hat gezeigt, dass sie dem Rechtsruck nichts entgegenzusetzen hat – weder mit, noch ohne Kanzler.
Dass sich viele SPD-Mitglieder vor diesem Hintergrund nun auch noch besonders fortschrittlich und staatstragend, vielleicht sogar „antifaschistisch“ fühlen – schließlich hat man ja einen möglichen Wahlsieg der AfD aufgeschoben – zeigt die Verwüstungen, die die „Zeitenwende“-Politik in den Köpfen angerichtet hat. Im vermeintlichen „Kampf gegen rechts“ wird rechte Politik beklatscht, werden die Gewinne der Kriegs- und Finanzkonzerne gemehrt, werden Arbeiterrechte eingeschränkt. Vor lauter Sorge um die „Demokratie“ wird die politische Debatte verteufelt – und mit ihr jede Form von grundsätzlicher Opposition. Ein Geschenk für die AfD, die sich weiterhin völlig unberechtigt als Anti-Establishment-Partei verkaufen kann.
In der kommenden Woche will die SPD ihre restlichen Ministerinnen und Minister bekanntgeben. Als gesetzt gilt jetzt schon Kriegsminister Boris Pistorius. Auch das passt in diese Zeit.