Zehntausende beteiligten sich in Berlin am „Klima-streik“ von Fridays for Future

Am Scheideweg

Louis Himmer

Am Freitag, dem 23. September, folgten rund 30.000 Menschen dem Aufruf zum „Klimastreik“ von Fridays for Future Berlin. Bundesweit gingen tausende, meist junge Menschen für den Klimaschutz auf die Straße. Der „Klimastreik“ stand unter dem Motto „People not Profit“ und unter der Losung „100 Milliarden für das Klima“. Der Demonstrationszug zog mittags vom Invalidenpark durch die Bundeshauptstadt, um sich gegen halb vier wieder im Invalidenpark für die Abschlusskundgebung zu versammeln.

Auch auf dieser Klimagroßdemonstration fand sich wieder ein antikapitalistischer Block zusammen. Außenstehende konnten in erster Reihe die wehenden Fahnen der SDAJ erkennen. Der Block betonte die Unverträglichkeit von Klimaschutz und Kapitalismus und prangerte die Teile der Klimabewegung an, welche diese Zusammenhänge verkennen und sogar einen Verdrängungskampf gegen die antikapitalistischen Kräfte in der Klimabewegung führen. So schrieb etwa die Fridays-for-Future-Ortsgruppe Lübben von einer „Versöhnung von Ökologie und Kapitalismus“ sowie von einer „Klimabewegung ohne linksradikale Unterwanderung“. Nichtsdestotrotz stimmten bei Ankunft des antikapitalistischen Blocks an der Abschlusskundgebung signifikante Teile der versammelten Massen den antikapitalistischen Kampfparolen mit ein.

Der Widerspruch zwischen den bürgerlich-kapitalistischen Kräften und den antikapitalistischen Kräften tritt immer offener zu Tage, dieser besteht nicht nur in der gesamten Klimabewegung, sondern auch innerhalb von Fridays for Future. Während überall Transparente und Schilder mit Forderung nach einem Systemwechsel zu beobachten waren, konnte Grünen-Mitglied Luisa Neubauer erneut bei der Berliner Großdemonstration auftreten. Neubauer traf sich letztes Jahr mit Siemens-Chef Joe Kaeser, um über ein umstrittenes Kohleprojekt in Australien zu beraten, für das Siemens die Zugsignaltechnik liefert. Neubauer steht wie niemand sonst für den klassenversöhnlerischen Teil der deutschen Klimabewegung. Bei dem Selbstverständnis der Überparteilichkeit von Fridays for Future wirkt ihr wiederholter Auftritt wie eine Farce.

Auch der Ukraine-Konflikt trat, eher sporadisch, in Erscheinung. Es waren Schilder mit Ukraine-Fahnen zu sehen, welche Solidarität zum NATO-Imperialismus bekundeten, oder auch Ordner mit Klamotten des russophoben „Katapult-Magazins“ waren zu beobachten Jedoch gab es auch Friedensaktivisten auf der Demonstration sowie Transparente mit der Forderung, das 100-Milliarden-Aufrüstungspaket der Bundesregierung in den Klimaschutz statt in das Militär zu stecken.

Der Klimastreik in Berlin konnte gegenüber den Teilnehmern im März eine Vervielfachung verzeichnen, damit gewinnt die Klimabewegung langsam wieder an Aufschwung, welchen sie vor der Eskalation in der Ukraine und vor Corona verloren hatte. Jedoch steht die Bewegung vor der Aufgabe, die inneren Widersprüche aufzuheben. Degeneriert sie in eine vollkommene bürgerliche Bewegung, welche sich nur an die bürgerlichen Politik anbiedert und damit ihren eigenen Anspruch zur Erkämpfung einer klimafreundlichen Welt verfehlt, oder schafft sie es, einen konsequent klimaschützenden und antikapitalistischen Kurs zu fahren, abseits der klimafeindlichen Politik der Grünen?

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"Am Scheideweg", UZ vom 30. September 2022



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