Geförderte Gentrifizierung: Von der antisozialen Weise, ausbeuterische Wohnverhältnisse zu bekämpfen

Armut wird abgerissen

Mitte Juni hatte Daniel Sieveke, Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Bauministerium, die Gelegenheit, sich live anzusehen, wie manche Städte in seinem Land mit ihren „Problemimmobilien“ umgehen: bei einer „Kontrolle“ in Gelsenkirchen. An solchen Einsätzen sind viele Behörden beteiligt, Polizei, Sozialamt, Jugendamt, Stadtkasse, Jobcenter, Ordnungsamt, Bauaufsicht und einige mehr. Die betroffenen Mieter müssen sich unangekündigt kontrollieren lassen. Der riesige Pulk an Leuten verängstigt, oft steht am Ende die Versiegelung von Wohnungen und Häusern. Die Menschen haben nur wenige Stunden Zeit, ihre Habseligkeiten zu packen und sich eine neue Bleibe zu suchen.

Die betroffenen Mieter sind in erster Linie Migranten aus dem osteuropäischen Raum. Vielfach ausgebeutet in unwürdigen Arbeitsverhältnissen, oft ohne Vertrag und Arbeitsschutz. Die mediale Hetze, die von Müllbergen und Ratten an den Häusern spricht oder von Razzien gegen „Sozialbetrug“, macht allein die Bewohner verantwortlich. Die meisten von ihnen sind nicht berechtigt, Leistungen des Jobcenters zu beziehen. Diese Menschen haben oft keine andere Wahl, als in Schrotthäusern zu wohnen. Das Geschäft mit der Armut blüht.

Verursacher der Probleme sind jedoch die Eigentümer, die ihre Immobilien verkommen lassen und den Mietern für schlechte Wohnverhältnisse auch noch Geld abnehmen. Freiwillig wohnt dort niemand.

Um solche Zustände gar nicht erst entstehen zu lassen, gibt es in NRW das Wohnraumstärkungsgesetz (WohnStG), das die angesprochenen „Kontrollen“ erlaubt. Einige Kommunen versuchen das Gesetz im Sinne des Erfinders umzusetzen und vor allem für den Erhalt des Wohnraums Sorge zu tragen. Denn der ist bekanntlich rar, die Wohnungsnot steigt auch im Ruhrgebiet. Andere Kommunen nutzen das Gesetz, um sich der Armen zu entledigen. Und um private Investoren zu verwöhnen.

Anstatt das Geschäftsgebaren der Eigentümer zu durchleuchten, sie zu enteignen oder das Gesetz da nachzuschärfen, wo es offenbar versagt, werden die Menschen auf die Straße geworfen. Die Betroffenen ziehen weiter, manchmal in andere Städte. Der Konkurrenzdruck unter den Kommunen wird auf dem Rücken der Ärmsten ausgetragen. Der dann häufig anstehende Abriss verschärft den Druck auf dem Wohnungsmarkt, anstatt dauerhaft bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen.

Das alles ficht die schwarz-grüne Landesregierung nicht an. Deshalb verteilt sie jetzt erneut Fördermittel in Höhe von 15 Millionen Euro für einen haarsträubenden Zweck. Gelsenkirchen hat im November 2022 eine sogenannte „Zukunftspartnerschaft“ mit dem Land NRW gegründet, schon damals sind 10 Millionen Euro geflossen. Die Stadt schreibt: „In Gelsenkirchen stehen rund 9.000 Wohnungen leer. Dies entspricht circa 6,5 Prozent der Wohneinheiten. (…) Um den Markt zu revitalisieren, sollen in den kommenden 10 Jahren rund 3.000 nicht marktgängige Wohneinheiten vom Markt genommen werden.”

Angesichts der Baukosten wird schnell klar, dass es bei diesem Förderprogramm nicht darum geht, neuen Wohnraum in kommunaler Hand zu schaffen. Dafür reicht das zur Verfügung gestellte Geld nicht. Dazu die Stadt: „Gleichzeitig werden Investitionen in den Wohnungsmarkt unterstützt und der Wohnungsbestand modernisiert. Dies erfolgt durch die Förderung privater Bauherren, die Bereitstellung von Flächen und durch städtische Infrastrukturmaßnahmen oder Freiflächenentwicklungen auf frei gewordenen Grundstücken.“

Profiteur ist wie immer das private Kapital. Genau jene, die ein Inte­resse an knappem Wohnraum haben, bekommen die Verknappung freiwillig vor die Füße gelegt – finanziert mit öffentlichen Mitteln. Das soll so lange gehen, bis auch in Gelsenkirchen eine Gentrifizierung stattfindet und die Kommune endlich nicht mehr das Schlusslicht sämtlicher Sozialstatistiken ist.

Staatssekretär Sieveke hat während des Kontrolleinsatzes in Gelsenkirchen den Beitritt des Ministeriums zur „Sicherheitskooperation Ruhr zur Bekämpfung der Clankriminalität” (SiKo Ruhr) unterzeichnet. In der Pressemitteilung des Ministeriums wird Sieveke deutlich: „Jede abgerissene Problemimmobilie sorgt dafür, dass es weniger Armutszuwanderung in der Stadt geben wird. In Verbindung mit den stadtseitigen Vor-Ort-Kontrollen und der Aktivität der Sicherheitskooperation Ruhr wird es rund. Wir akzeptieren Zustände nicht, wir beseitigen sie.” Die AfD klatscht in die Hände.

Was jedoch beseitigt wird, ist eine wesentliche Lebensgrundlage: das Dach über dem Kopf. Da hilft nur Solidarität mit den Betroffenen, statt Bekämpfung der Armen. Sonst steigen die Mieten für uns alle. Und wenn schon öffentliche Gelder eingesetzt werden, dann müssen die Grundstücke und Häuser dauerhaft in öffentliche Hand!

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"Armut wird abgerissen", UZ vom 27. Juni 2025



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