Einen „Herbst der Reformen“ haben die Spitzen der Koalitionsfraktionen von Union und SPD in der vergangenen Woche nach ihrer Klausurtagung in Würzburg angekündigt. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich vor allem eines: Sozialabbau. Noch in diesem Jahr sollen entsprechende Gesetze auf den Weg gebracht werden.
Dem „Herbst der Reformen“ ging ein Sommer der Medienkampagnen voraus. Arbeitgebernahe Stiftungen und Wirtschaftsinstitute sowie die sogenannten „Wirtschaftsweisen“ Monika Schnitzer, Veronika Grimm und Martin Werding schossen sich auf den Sozialstaat ein. Der Tenor: Dieser sei nicht mehr finanzierbar. Das Grundproblem liege darin, dass die Sozialsysteme Rente, Kranken- und Pflegeversicherung überwiegend über das Umlageverfahren finanziert seien. Das heißt, die Erwerbstätigen finanzieren die Leistungen für die Älteren, und es gebe immer mehr ältere Menschen, die weniger oder nichts einzahlten, aber mehr Leistungen in Anspruch nähmen. So wird das alte neoliberale Märchen aufgewärmt, dass schon bei der Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre verfangen hat.
Ganz oben auf der Abschussliste der Berliner Koalitionäre steht – neben den Sozialversicherungen – auch das Bürgergeld. „So wie es jetzt ist, insbesondere beim Bürgergeld, kann es nicht bleiben und wird es auch nicht bleiben“, kündigte Bundeskanzler Friedrich Merz nach den Beratungen im Koalitionsausschuss in der vergangenen Woche an.
„Ich gehe davon aus, dass wir noch in diesem Jahr die wichtigsten Eckpunkte für eine solche Reform miteinander vereinbaren, so dass es dann auch zügig eine Reform des sogenannten Bürgergelds geben wird.“ Die neue Grundsicherung werde von einer Balance zwischen Fördern und Fordern gekennzeichnet sein. Missbrauch solle unter Kontrolle gebracht werden, so der Kanzler.
Ernsthafter Widerstand von der sozialdemokratischen Parteispitze ist nicht zu erwarten. So hatte Bärbel Bas die neoliberale Behauptung „Wir können uns den Sozialstaat nicht mehr leisten“ noch vor zwei Wochen treffend als „Bullshit“ bezeichnet. Wenige Tage später folgte das kleinlaute Dementi der Ministerin: Dem Reformbedarf beim Bürgergeld habe man nie widersprochen.
Noch deutlicher wurde Lars Klingbeil: „Schröder hat mutige Reformen angepackt“, lobte der SPD-Chef in der „Zeit“ die Agenda-Politik des Altkanzlers. „Auch heute brauchen wir umfassende Reformen, damit unser Sozialstaat stark, aber auch bezahlbar bleibt und besser funktioniert.“ Es seien zwar wie unter Schröder Veränderungen nötig, doch die heutigen Reformen müssten „in unsere Zeit passen“ und dürften die „Gräben nicht vertiefen“. Wichtig sei, dass es „am Ende gerecht zugeht und alle ihren Teil zum Reformpaket beitragen“, so Klingbeil.
Was er unter „gerecht“ und „in unsere Zeit passend“ versteht, wurde ebenfalls in der vergangenen Woche deutlich, als das sozialdemokratisch geführte Arbeits- und Sozialministerium auch für 2026 eine weitere Nullrunde beim Bürgergeld angekündigte.
Das bedeutet einen weiteren Kaufkraftverlust für Menschen, die bereits am Existenzminimum leben, kommentierte der DGB die Entscheidung und erinnerte daran, dass über 800.000 Bürgergeld-Bezieher arbeiten und so ihre zu niedrigen Löhne aufstocken. Der Sozialverband Deutschland (SoVD) machte deutlich, dass, anders als von Klingbeil behauptet, längst nicht alle „ihren Teil zum Reformpaket beitragen“. So werde einerseits das Existenzminimum infrage gestellt, während große Vermögen und hohe Erbschaften kaum zur Finanzierung des Gemeinwesens beitrügen.
Trotz der Kritik vonseiten der Gewerkschaften und Sozialverbände scheinen die Sozialdemokraten an einer Wiederholung der letztlich auch für sie fatalen Agenda-Politik festzuhalten. Damals verlor die SPD viele Stammwähler und bei der Bundestagswahl 2005 auch das Kanzleramt. Die Partei scheint sich nun ein weiteres Mal selbst überflüssig zu machen. Angesichts der von ihr mitzuverantwortenden sozialen Grausamkeiten könnte man dies mit einem Schulterzucken quittieren, stünde da nicht schon eine für die Lohnabhängigen noch schlimmere „Alternative“ in den Startlöchern.