Satte 0,1 Prozent stärker als erwartet soll die deutsche Wirtschaft im kommenden Jahr wachsen. Das versprach Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) bei der Vorstellung der sogenannten „Herbstprojektion der Bundesregierung“. Die vom nahenden Aufschwung beseelte Medienlandschaft nahm ihre Worte dankbar auf und verbreitete das Märchen von der Trendwende.
Das vorhergesagte Wachstum des Bruttoinlandsproduktes um 1,3 Prozent soll vor allem von den steigenden Rüstungs- und Kriegsausgaben der Bundesregierung getragen werden. In Fortsetzung der Rettungsschirm-und-Doppelwumms-Politik der Ampel-Regierung werden die Auswirkungen der kapitalistischen Krise mit staatlichen Milliardenkrediten zugeschüttet. 850 Milliarden Euro Neuverschuldung leistet sich die Bundesregierung bis zum Jahr 2029 für Waffenfabriken, Soldzahlungen und panzerfitte Autobahnen. Dass sich solche Summen dann auch im Bruttoinlandsprodukt niederschlagen ist eine Milchmädchenrechnung.
Aussagekräftiger sind andere Werte. Seit dem März 2022 ist der Deutsche Aktienindex (DAX) um 84 Prozent gestiegen. Börsenspekulanten und Monopolkapital müssen auf ihren Aufschwung gar nicht warten. Er wurde längst erkauft durch die Abwälzung der Kriegs- und Krisenkosten auf die große Mehrheit der Bevölkerung. Eben darauf baut die Bundesregierung auf, wenn sie Steuergeschenke verteilt und ihre Militarisierungspolitik als Wachstumstreiber anpreist.
Erstmals seit 2015 knackte die Arbeitslosenzahl in diesem Sommer die Marke von drei Millionen. Mehr als 3,6 Millionen Menschen waren ohne Job, wenn man die hinzuzählt, die in „Maßnahmen“ der Arbeitsagentur festhingen oder aus anderen Gründen aus der Statistik fielen. Um für die „Kriegstüchtigkeit“ zu werben, hatten Politik und Medien die Rüstungsindustrie als „Jobmotor“ angepriesen. Eine Lüge, wie die aktuellen Untersuchungen zeigen. Die Arbeitslosigkeit soll im kommenden Jahr auf hohem Niveau verharren, im Osten sogar steigen, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bekanntgegeben hat.
In ihrer „Herbstprojektion“ schreibt die Bundesregierung im schönsten BWL-Deutsch von einer derzeit „insgesamt weiter rückläufigen Arbeitskräftenachfrage“ und einem „anhaltenden Stellenabbau“ in Handel und Gewerbe. Immerhin: Der „Überhang“ von Arbeitskräften, der in diesem Jahr um 155.000 Menschen zugenommen habe, soll im kommenden Jahr wieder um 40.000 sinken. Was aber nicht etwa an neuen Jobs liegen dürfte, sondern daran, dass zeitgleich das „Erwerbspersonenpotenzial“ um 60.000 Menschen abnimmt – beispielsweise durch vermehrte Renteneintritte.
Den Arbeitslosen und denen, die es demnächst werden, hat die Bundesregierung keine Perspektive anzubieten. Zugleich zerschlägt sie die Reste der sozialen Absicherung, wenn sie Bürgergeldempfängern mit Totalsanktionen droht. Was als verwirrtes Aufschwungsgefasel daherkommt, ist tatsächlich Politik aus einem Guss. Das wird auch an den Stellen deutlich, an denen sich die „Herbstprojektion“ über „stabilitätsorientierte Lohnabschlüsse“ freut und zugleich Preisschübe ankündigt: für die CO₂-Abgabe, für das Deutschlandticket, für Dienstleistungen. Spätestens ab 2027 müsse der „gesamtwirtschaftliche Aufschwung allmählich in den Verbraucherpreisen sichtbar werden“.
So ist das mit der Verteilungsgerechtigkeit in der „sozialen Marktwirtschaft“: Wer auf Lohn, Job und soziale Absicherung verzichtet, um Krieg und Profite zu finanzieren, darf dann auch an den steigenden Preisen teilhaben.