Eine historische Anmerkung zum Zusammenhang von Sozialismus und Frieden

Der deutsche Friedensstaat

Kriegsgeburten waren sie alle drei: Die Oktoberrevolution im Jahr 1917 war die Antwort des russischen Volkes auf das Völkergemetzel des Ersten Weltkriegs. Die Volksrepublik China setzte mit ihrer Gründung am 1. Oktober 1949 den Schlusspunkt unter das blutige Kapitel des Kampfes gegen die Unterdrückung des chinesischen Volkes durch europäische und japanische Imperialisten. Die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nur sechs Tage später – die DDR wird übrigens deshalb in China bis heute gelegentlich als „unsere kleine Schwester“ bezeichnet – ist wie die der chinesischen Volksrepublik nur verständlich vor dem Hintergrund des bis dahin schlimmsten aller Kriege, des Zweiten Weltkriegs.

Dies ist der erste auf der Hand liegende Grund für die tiefe Verankerung des Friedensgedankens im gesamten Volk der DDR – von den Arbeitern in den volkseigenen Betrieben über die Lehrerinnen und Ärztinnen im staatlichen Schul- und Gesundheitssystem bis hinauf zu den Spitzen dieses Staates. Sofern sie zur Gründungsgeneration gehörten, hatten sie ihr ganzes Leben vorher gegen den Krieg des imperialistischen Deutschland gekämpft. Anders die Gründer des Deutschen Reiches: Sie bekannten sich in den Worten des späteren Reichskanzlers Fürst Otto von Bismarck unverhohlen dazu, die „großen Fragen der Welt“ würden durch „Blut und Eisen“ entschieden. In scharfer Abgrenzung zu einer solchen Neigung zu Tod und Krieg war die Gründung der DDR eine Auferstehung aus Ruinen, wie es in ihrer Staatshymne hieß. Ihre 40-jährige Existenz war und ist bis heute der Gegenentwurf zum deutschen Imperialismus, zu seiner ungebrochenen Tendenz zum Militarismus, zur Feindseligkeit vor allem gegenüber Russland, zum Krieg. Als einziger deutscher Staat der jüngeren Geschichte hat die DDR niemals einen Krieg gegen einen anderen Staat geführt. Mehr noch: Allein ihre Existenz hat der von 1949 bis 1989 auf Rache für die Niederlage 1945 sinnenden Bundesrepublik Deutschland (BRD), die sich bereits wenige Jahre nach dem Krieg wieder bewaffnete, die Zügel angelegt. Erst nachdem die Konterrevolution 1989 gesiegt und sich die DDR einverleibt hatte, führt Deutschland wieder Kriege. Die neue deutsche Blutspur zieht sich von Jugoslawien 1999 über Afghanistan bis zur Befeuerung des NATO-Stellvertreterkriegs der Ukraine gegen die Russische Föderation.

Lenin und das Prinzip der friedlichen Koexistenz

So wie der Kapitalismus den Krieg in sich trägt wie die Wolke den Regen, so bilden Sozialismus und Frieden eine innere Einheit. Das hat tiefe Wurzeln, die der Gründer der So­wjet­union, Wladimir Iljitsch Lenin, auf einer Versammlung am 5. Dezember 1917 so formulierte: „Jetzt hat der Kampf für den Frieden begonnen. Das ist ein schwerer Kampf. Die Kapitalisten sind wegen der Teilung der Beute in einem Kampf auf Leben und Tod aneinandergeraten. Es ist klar: Den Krieg bezwingen heißt das Kapital besiegen, und in diesem Sinne hat die Sowjetmacht den Kampf begonnen.“ Weil schnell klar war, dass dieser Kampf nicht in einem Handstreich siegreich zu beenden ist, haben die Kommunistinnen und Kommunisten immer dann, wenn sie in einem Staat die Macht errungen hatten – ob in Russland, in China oder eben dem Teil Deutschlands, der 40 Jahre lang von ihnen regiert wurde – das Prinzip der friedlichen Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung entwickelt. Lenin selbst hat es in einem Gespräch mit der US-amerikanischen Zeitung „New York Evening Journal“ im Februar 1920, befragt nach den Plänen der jungen Sowjetregierung in Asien, so ausgedrückt: „Die gleichen wie in Europa: Friedliches Zusammenleben mit den Völkern, mit den Arbeitern und Bauern aller Nationen, die zu einem neuen Leben erwachen, zu einem Leben ohne Ausbeutung, ohne Gutsbesitzer, ohne Kapitalisten, ohne Kaufleute. Der imperialistische Krieg 1914 bis 1918, ein Krieg der Kapitalisten der englisch-französischen (und russischen) Gruppe gegen die Kapitalisten der deutsch-österreichischen Gruppe um die Aufteilung der Welt, hat Asien erweckt und dort, wie überall, das Streben nach Freiheit, nach friedlicher Arbeit, nach der Verhinderung von Kriegen verstärkt.“ Als der Korrespondent nachfragte, welches denn die Grundlagen eines Friedens mit Amerika (gemeint waren die USA) seien, antwortete Lenin: „Sollen die amerikanischen Kapitalisten uns in Ruhe lassen. Wir werden sie in Ruhe lassen. Wir sind sogar bereit, ihnen mit Gold für Maschinen, Werkzeuge und dergleichen zu zahlen, die für Verkehrswesen und Produktion nützlich sind. Ja, nicht nur mit Gold, sondern auch mit Rohstoffen.“

In dieser Traditionslinie der Politik der friedlichen Koexistenz anstelle des imperialistischen Drangs zum Krieg sah sich in der ganzen Zeit ihrer Existenz die DDR. Sie hat diesen Grundsatz in ihrer Staatshymne, die bei jedem Empfang, jeder diplomatischen Zeremonie, jedem Sieg bei sportlichen Wettkämpfen erklang, in die Worte gekleidet: „Lasst das Licht des Friedens scheinen, dass nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint.“ Das „Kleine politische Wörterbuch“, das in der DDR in jeder gut geführten Bibliothek zu finden war, bezeichnet dieses Prinzip der friedlichen Koexistenz als „objektiv notwendige, einzig vertretbare Form der Beziehung zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung, ihres friedlichen Nebeneinanderbestehens, ihrer Zusammenarbeit und Auseinandersetzung in der Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus unter den Bedingungen des nuklear-kosmischen Zeitalters; objektives Erfordernis zur Bewahrung des durch die aggressivsten Kreise des Imperialismus bedrohten Weltfriedens und seiner dauerhaften Sicherung als Existenzbedingung der Menschheit und unabdingbare Voraussetzung ihres Fortbestandes und ihres weiteren gesellschaftlichen Fortschritts; Grundprinzip sozialistischer Außenpolitik gegenüber den kapitalistischen Ländern“.

Der Frieden muss bewaffnet sein

Bestandteil der Politik der friedlichen Koexistenz war immer der Aufbau einer eigenen bewaffneten Macht. Dahinter steht die bittere Erfahrung des Feldzugs mehrerer imperialistischer Mächte gegen die junge Sowjetmacht ab 1918, der nicht mit Worten, sondern erst mit den Waffen der damals gegründeten Roten Armee beendet werden konnte. Dahinter steht die bittere Erfahrung des Zweiten Weltkriegs, in dem ebenfalls bewiesen wurde, dass Worte allein keine imperialistische Macht der Erde hindern, eine sozialistische Revolution „in ihrer Wiege zu ersticken“, wie es das Vorbild von Donald Trump, der damalige britische Rüstungsminister Winston Churchill, schon Ende 1917 empfohlen hatte. Also musste und muss der Frieden bewaffnet sein.

Daraus folgte eine in der DDR über die gesamte Dauer ihrer Existenz durchgehaltene Kombination von unermüdlicher Friedenspolitik nach außen, Friedenserziehung nach innen und – gemeinsam mit den anderen sozialistischen Staaten Mitteleuropas und der So­wjet­union – dem Aufbau einer Militärmacht, gegen die die in der NATO zusammengeschlossenen Staaten einschließlich der BRD mit ihrer Bundeswehr es niemals wagten, zu Felde zu ziehen. Wer Augen hatte zu sehen, konnte bei der kürzlich abgehaltenen Militärparade der Volksrepublik China zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Asien feststellen, dass diese Entschlossenheit auch zur militärischen Verteidigung der Errungenschaften der Revolution dort weiterlebt.

3. und 7. Oktober

Zu feiern haben die friedliebenden Kräfte in Deutschland am 3. Oktober den Geburtstag des Friedensnobelpreisträgers Carl von Ossietzky. Weil er in der „Weltbühne“ über die Aufrüstungspläne Deutschlands berichtet hatte, wurde er bereits 1931 wegen „Landesverrats“ angeklagt und zu 18 Monaten Haft verurteilt, die er am 10. Mai 1932 antreten musste. Kurzzeitig aufgrund einer Weihnachtsamnestie entlassen, wurde er nach der Machtübertragung an den Hitlerfaschismus Anfang 1933 wieder verhaftet und schließlich in den Lagern der Nazis zu Tode gequält. Ossietzky – kein Kommunist – gehört deshalb in die Betrachtung über die Friedenspolitik der DDR, weil eines ihrer Wesensmerkmale die enge Zusammenarbeit mit allen Menschen war, die um des Friedens willen weltanschauliche Differenzen an die zweite Stelle zu rücken bereit und fähig waren. Der Friedensstaat DDR reichte daher weit über marxistische Kräfte hinaus und gab auch bürgerlichen und christlichen Friedenskräften Stimme und Raum.

Und das, was es im Oktober daher nicht nur für Kommunistinnen und Kommunisten, sondern für alle Friedenskräfte zu feiern gibt, ist nicht allein der dritte, sondern vor allem auch der siebte Tag des Monats – die Gründung der DDR als deutscher Friedensstaat im Jahr 1949.

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"Der deutsche Friedensstaat", UZ vom 3. Oktober 2025



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