Der heiße Brei

Georg Fülberth zur Frage, warum Scholz keinen Finanzierungsvorschlag zur Rente macht

Georg Fülberth ist emeritierter Professor für Politik und regelmäßiger Kolumnist der UZ

Georg Fülberth ist emeritierter Professor für Politik und regelmäßiger Kolumnist der UZ

Im Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD sich verständigt, die gesetzliche Rente bis 2025 bei 48 Prozent des Arbeitseinkommens zu halten.

Nun hat der sozialdemokratische Minister Scholz gefordert, dass dieses Niveau auch bis 2040 nicht unterschritten werden dürfe. Ihm wird vorgehalten, dass er keine Finanzierungsvorschläge mache. Demnächst schieden geburtenstarke Jahrgänge aus dem Arbeitsleben aus, immer weniger Berufstätige müssten immer mehr Alte per Umlage unterhalten, also sei Scholz‘ Idee unrealistisch.

Die gesetzliche Rente wird aus den Beiträgen von Unternehmern, Arbeitern und Angestellten bezahlt. Aus der Sicht des Kapitals handelt es sich um Lohnnebenkosten, die vom Mehrwert abgehen, also niedrig gehalten werden müssen. Steige nach 2025 die Zahl der Empfangsberechtigten, gebe es nur folgende Möglichkeiten:

Erstens Erhöhung der Beiträge, also der Lohnnebenkosten. Das liegt nicht im Unternehmerinteresse.

Zweitens Absenkung des Rentenniveaus. Dies geht zu Lasten der alt gewordenen abhängig Beschäftigten. Rente ist Lohn, der mit Zeitverzögerung gezahlt wird. Er soll also gemindert werden.

Drittens Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Wer später aus der Erwerbstätigkeit ausscheidet, zahlt länger in die Rentenkasse ein und erhält aus ihr weniger lang etwas zurück. Es handelt sich also ebenfalls letztlich um eine Kürzung des Lohns, nämlich des Teils, der während der aktiven Berufstätigkeit einbehalten wurde und erst danach denen, die ihn erwirtschaftet haben, zugutekommen soll.

Eine von der Großen Koalition eingesetzte Kommission wird wohl die zweite und die dritte Lösung empfehlen und eine Erhöhung der Beiträge entweder ganz verhindern oder zumindest in engen Grenzen halten wollen. Dies entspricht dem in der Bundesrepublik bestehenden Kräfteverhältnis zwischen den beiden Hauptklassen, an dem auch Scholz entweder nichts ändern will oder nichts ändern zu können meint. Deshalb hat er keine Finanzierungsvorschläge gemacht. Der Vorwurf, dass seine Idee nur ein Manöver im Hinblick auf die anstehenden Landtagswahlen ist, dürfte zutreffen.

Als eine andere Möglichkeit, das Rentenniveau zu erhalten oder gar zu erhöhen, wird manchmal die Einbeziehung aller Einkommensarten in die gesetzliche Versicherung erwähnt, also auch der Beamtengehälter, der Erträge aus selbstständiger Tätigkeit, Vermietungen und Gewinnen. Gegenargument: Dann erhöhe sich auch die Zahl der Anspruchsberechtigten. Geht man zu einem System über, in das alle proportional zu ihren Einkommen einzahlen, aber weniger daraus zurückerhalten, wäre das eine Kürzung für den besserverdienenden Teil der Versicherten, die, soweit es sich ja tatsächlich um in der Erwerbszeit erarbeitetes Geld handelt, ungerecht wäre.

Eine Ausnahme gibt es: Gewinne aus Kapitalvermögen. Sie sind ebenfalls erarbeitet, aber nicht von den Aktionären, sondern von den Belegschaften: Teil des Mehrwerts. Durch Einzahlung in die gesetzliche Versicherung wird er Lohn und kann im Umlageverfahren an die Rentner(inn)en weitergegeben werden: Neuverteilung von oben nach unten und Solidarität innerhalb einer Klasse. Es ist klar, dass dies nicht in der Logik der Verhältnisse liegt, auf die Merkel und Scholz ihren Amtseid geleistet haben.

Reichen die Beitragszahlungen nicht aus, zahlt der Staat Zuschüsse an die Rentenversicherung. Werden sie erhöht, treffe dies, so wird argumentiert, in unzumutbarer Weise „die Steuerzahler“. Sieht man sich diese Menschengruppe etwas genauer an, zeigt sich, dass sie nicht einheitlich ist. Die Bezieher(innen) von Kapitaleinkünften bleiben (z. B. weil es keine Vermögenssteuer mehr gibt), weithin außerhalb. Da gäbe es zwar etwas zu holen, aber das soll nicht sein.

Überall stoßen wir auf dasselbe klassenpolitische Problem. Das ist der heiße Brei, um den die Große Koalition herumschleicht.

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"Der heiße Brei", UZ vom 31. August 2018



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