Für die deutsche Politik ist es ein Jahr der Wiedergänger. Wie sonst ließe sich erklären, dass knapp vier Jahre nach seinem politischen Ableben der alte Masken-Dealer Jens Spahn (CDU) zu uns spricht – und dann auch noch als Fraktionsvorsitzender der Union im Deutschen Bundestag. „Germany is back, Deutschland ist wieder da“, freute sich Spahn am Donnerstag der vergangenen Woche. Soeben hatte auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) an die Geister der Vergangenheit appelliert und in seiner Regierungserklärung gefordert, die Bundeswehr zur „konventionell stärksten Armee Europas“ zu machen.
Wie es sich für einen deutschen Regierungschef in Zeiten des reaktionären Rückfalls gehört, hatte Merz natürlich auch noch angekündigt, „mit aller Entschlossenheit gegen die Feinde unserer Demokratie tätig werden“ zu wollen. Als er dann trotz des andauernden Völkermords in Gaza noch zum Besten gab, dass man „unverbrüchlich“ an der Seite Israels stehe, klatschte laut Plenarprotokoll sogar Gregor Gysi („Die Linke“) – als einziges Mitglied seiner Fraktion.
Die Bundestagsdebatte über die Regierungserklärung und die anschließenden Grundsatzdiskussionen über die Außen- und die Kriegspolitik zeigten das Bild eines in der Sache weitgehend einigen, aber in unterschiedlichem Ausmaß fanatisierten Parlamentes.
Bei diesen Themenfeldern wenig überraschend, positionierten sich die Grünen ganz am rechten, militaristischen Rand. Deren kriegspolitische Sprecherin Sara Nanni stieg mit der Warnung vor einer „schwarz-roten Russland-Connection“ ein, die sie ausgemacht haben wollte. Ihre zweite Warnung richtete sich gegen das „Kleinreden der Bedrohung durch die Kommunistische Partei Chinas“. Weder sie noch ihre Fraktionskollegen ließen einen Zweifel daran, dass die Grünen die Speerspitze der Kriegstüchtigkeitsbemühungen bilden wollen. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die militaristische Wichtigtuerei, als sie dem soeben zu einem Plädoyer für eine völkisch orientierte Armee nach dem Vorbild der Ukraine anhebenden AfD-Abgeordneten Rüdiger Lucassen mit einem Zwischenruf ins Wort fiel, er habe in der Aufzählung der aus seiner Sicht notwendigen Kriegsdomänen den „Cyberraum“ vergessen.
Dass mit der AfD kein Frieden zu machen ist, zeigten die reaktionären Nationalisten nicht nur in ihrer mehrfach vorgetragenen Zustimmung zur „Staatsräson“, sondern auch in ihren Reden zur Rüstungspolitik. „Wer Frieden will, bereite sich auf den Krieg vor“, betete Markus Frohnmaier das Mantra nach, das seine Partei mit den anderen Kriegstreibern eint. „Wir stehen für eine starke und kampffähige Bundeswehr“, so Frohnmaier weiter, man wolle aber dafür sorgen, „dass Deutschland nicht in fremde Kriege involviert“ werde – wobei die Betonung auf „fremd“ lag. Trotz dieses Bekenntnisses zum deutschen Militarismus fing sich Frohnmaier mit einem Zwischenruf aus der Unions-Fraktion die Frage ein: „Sollen unsere Kinder schon mal Russisch lernen, oder was?“
Betont staatstragend trat Wiebke Esdar (SPD) ans Pult. SPD und Union unterscheiden sich im „Ringen um die beste Lösung“ von „den Rechtsextremen“, erklärte sie. „Das unterscheidbar zu machen ist auch eine der wichtigsten Aufgaben dieser Koalition.“ Das dürfte in Anbetracht der großen Überschneidungen in der Migrations-, Sozial-, Arbeits- und Wirtschaftspolitik von SPD und AfD noch eine große Herausforderung werden. Falko Droßmann (SPD) forderte, dafür zu sorgen, dass „bei Fragen der zivilen Infrastruktur Aspekte der Landesverteidigung immer mitgedacht werden müssen“. Das dürfe aber nicht dazu führen, dass „jede Freibadsanierung“ bald aus dem Kriegsetat bezahlt werde, „wie sich das manche Kommunalpolitiker“ wünschen würden. Den entscheidenden Auftritt für die Sozialdemokraten legten aber natürlich nicht Esdar oder Droßmann hin, sondern Kriegsminister Boris Pistorius. „Sicherheit endet nicht an unseren Grenzen“, verschob Pistorius das „Verteidigungsgebiet“ schon einmal zaghaft in den Osten, bevor er sich darüber freute, dass die Bundeswehr „nie zuvor“ so starke Truppen dauerhaft im Ausland stationiert habe wie aktuell mit der Litauen-Brigade.
Doch der Bundestag zeigte sich nicht nur räumlich, sondern auch historisch flexibel. Der Kanzler habe seine Reise nach Kiew an einem „historischen Tag“ angetreten, berichtete Thomas Erndl (CDU/CSU) mit Blick auf den 9. Mai, den Antifaschisten als Tag des Sieges feiern. Was da passiert war? „Exakt 70 Jahre zuvor (…) hatte Konrad Adenauer in Paris die Beitrittserklärung unseres Landes zur NATO unterzeichnet.“ Als Lehre aus der Geschichte müssten nun der Kriegshaushalt erhöht und eine „glaubwürdige Abschreckung“ bereitgestellt werden, „gleichermaßen als Zeichen an unsere Freunde als auch an unsere Feinde“.
Dass zu diesen „Feinden“ sowohl Russland als auch China als auch „Extremisten“ im Inland gehören sollten, war der von SPD, Union und Grünen getragene Konsens. Norbert Röttgen (noch ein Wiedergänger, CDU) zeichnete die Auseinandersetzung mit der Volksrepublik gar als „große Rivalität unserer Welt, die von China als systemischem Rivalen global und machtpolitisch ausgeht“.
Zu den angesprochenen „Extremisten“ gehörte in den Augen von Union und SPD auch die Linkspartei, die noch in der Woche zuvor mitgeholfen hatte, Friedrich Merz den Weg zur Kanzlerschaft zu ebnen. „Sie sind antibürgerlich, Sie sind antikapitalistisch und Sie sind auch antisemitisch“, schlug Alexander Hoffmann (CSU) die Tür zur schwarz-linken Zusammenarbeit, auf die auch Teile der „Linken“-Parteiführung gehofft hatten, zu. Dabei spielte er auf die „Jerusalemer Erklärung“ an, die Kritik am israelischen Regierungshandeln zulässt und die der Parteitag der „Linken“ kurz zuvor beschlossen hatte. Eine Reaktion auf diese ungeheuerlichen Vorwürfe war in den nachfolgenden Redebeiträgen der Linksfraktion nicht zu vernehmen. Die fielen inhaltlich gewohnt durchmischt aus. Während Lea Reisner sich vor allem an „autoritären Regimen“ abarbeitete, zu denen sie offenbar auch China und Russland zählt, ging Ulrich Thoden ein wenig klarer mit der „Zeitenwende“ ins Gericht. Die diene zur „Rechtfertigung Ihres ‚Whatever it takes‘“ und soll Deutschland „kriegstüchtig“ machen – eine „verräterische Ausdrucksweise“, so Thoden, der auch den Zusammenhang von Hochrüstung und Sozialabbau ansprach.
Was in der Debatte nicht zu hören war, war eine klare Absage an die strategischen Ziele des deutschen Imperialismus, die mit zunehmender Klarheit benannt werden. „Als Exportnation verdanken wir unsere Stärke dem Ideenreichtum, der Innovationskraft und der Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Diesen Export auch künftig zu ermöglichen muss eine Priorität unserer Außenpolitik sein“, zog Tobias Winkler (CDU) die Linie. Wenn es „um die großen Fragen unserer Zeit“ gehe, dann säßen nur „diejenigen am Tisch, die wirtschaftlich auch Gewicht haben. Deutschland muss hier immer einen festen Platz haben.“ Selten wurde so verbindlich und freundlich von den deutschen Ansprüchen bei der Aufteilung der Welt gesprochen. Vom Platz an der Sonne sprach Winkler allerdings (noch) nicht.