Zuversicht in der Zelle

Tobias Kriele im Gespräch mit Gerardo Hernández

Zweimal lebenslänglich plus 15 Jahre – dazu verurteilte ein US-Gericht Gerardo Hernández, weil er eine Gruppe von Kubanern leitete, die Informationen über exilkubanische Terroristen in den USA sammelte und als „Cuban 5“ bekannt wurde. 1998 war er verhaftet worden, am 17. Dezember 2014 ließen ihn die US-Behörden frei.

UZ: Du hast auf dem Jahresauftakt der DKP am Rande der Rosa-Luxemburg-Konferenz bei vielen Genossinnen und Genossen einen bleibenden Eindruck hinterlassen …

Gerardo Hernández: Die Veranstaltung kam mir großartig vor, sie war von einer sehr positiven, optimistischen und kameradschaftlichen Atmosphäre geprägt. Ich habe mich dort so wohl gefühlt wie zu Hause in Kuba.

Manchmal kommt es mir unwirklich vor, dass ich viele der Genossinnen und Genossen der Kuba-Solidarität niemals zuvor getroffen haben soll. Es ist, als wären wir eine Familie, obwohl wir uns nur durch Briefe oder Fotos kennen. Viele von euch haben uns von hier aus mit ihrer Solidarität geehrt. Gerade die DKP hat uns immer unterstützt, wofür wir euch sehr dankbar sind, genauso wie den anderen Organisationen der Kuba-Solidarität in Deutschland. Wie ihr wisst, ist Adriana, meine Frau, mehrfach nach Deutschland gekommen und ist dabei mit viel Herzlichkeit und Aufmerksamkeit begrüßt worden, und ich möchte die Gelegenheit nutzen, auch dafür zu danken.

Gleichzeitig möchte ich euch beglückwünschen, denn dieser Sieg gehört auch euch. Ohne euch hätte ich niemals nach Hause zurückkehren können. Dank euch dafür – und dafür, dass mir das die Gelegenheit gegeben hat, euch jetzt zu besuchen.

UZ: Was hat es für euch im Knast bedeutet zu wissen, dass da draußen Menschen sind, die mit euch solidarisch sind?

Gerardo Hernández: Dazu fällt mir immer das Beispiel eines der schwierigsten Momente ein, die ich im Gefängnis erlebt habe. Es war im Gefängnis von Lompoc, als ich nicht nur in den „Bunker“ gesteckt wurde, sondern sogar in den Keller unterhalb der Arrestzellen. Bei diesem Raum, der nur „die Kiste“ genannt wurde, handelte es sich um eine von sechs Zellen, in denen man nicht zwischen Tag und Nacht unterscheiden konnte. Zu diesem Moment, zur Zeit der Irak-Invasion, wurden wir fünf alle in unseren jeweiligen Gefängnissen in den „Bunker“ verbannt. In meinem Fall hieß es, der Aufenthalt betrage zunächst ein Jahr, könne aber danach um ein weiteres Jahr verlängert werden. Ich war nur mit Unterwäsche bekleidet, barfuß, ohne etwas zum Lesen oder zum Schreiben. Wenn in der Zelle über mir die Toilettenspülung betätigt wurde, lief Dreckwasser an meinen Zellenwänden herunter. In dieser Lage erhielt ich Besuch von einem unserer Anwälte, welcher mir berichtete, dass in mehreren Ländern Demonstrationen für unsere Freiheit und das Ende der ungerechten Strafbehandlung stattfänden. Das zu hören gab mir enormen Auftrieb. Obwohl ich in der verbleibenden Zeit nichts anderes tun konnte, als zwischen den Zellenwänden hin- und herzulaufen, tat ich das mit großem Optimismus. Ich dachte immerzu an die Kameradinnen und Kameraden, die draußen für uns auf die Straße gingen. Deshalb betone ich stets, dass es nicht nur um den Beitrag geht, den die internationale Solidarität für die Befreiung der Cuban Five geleistet hat, auch wenn er zweifellos wichtig war. Es geht auch darum, wie sehr sie uns geholfen hat, die Tage im Gefängnis zu überleben. Wir haben aus der Solidarität und der Unterstützung unsere Energie und unseren Kampfgeist gezogen, die wir brauchten, um durchzuhalten.

UZ: Ihr seid jetzt seit etwas über einem Jahr frei und viel in der Welt herumgekommen. Was hat euch auf diesen Reisen am meisten beeindruckt?

Gerardo Hernández: Es waren viele beeindruckende Erlebnisse. An allen Orten sind wir mit viel Herzlichkeit und Zuneigung empfangen worden. Wir trafen Abgeordnete, wurden von Präsidenten empfangen und konnten sogar vor Parlamenten reden. Aber wenn ich eine Situation nennen sollte, die mich sehr bewegt hat, dann war das, als wir drei von den Fünf, die wir in Angola im Militärdienst waren, die Orte besuchen konnten, an denen wir stationiert waren – im Fall von René und mir Cambinda, im Fall von Fernándo Lubango. Einige Tage vorher waren wir bereits in Südafrika gewesen und standen dort im Freedom Park vor der Wand, an der die Namen der im Kampf gegen die Apartheid gefallenen Personen eingeschrieben sind. Es war sehr bewegend, dort die Namen der kubanischen Internationalisten zu lesen, die ihr Leben für Afrikas Freiheit gegeben haben. Dies war vielleicht einer der emotionalsten Momente, nachdem ich aus dem Gefängnis freigekommen bin.

UZ: Wie bewertest du den historischen Wandel in den Beziehungen zwischen Kuba und den USA?

Gerardo Hernández: Die kubanische Revolution hat einen Sieg errungen und es zeigt sich, dass das Ansehen der kubanischen Revolution dadurch, dass wir unseren Prinzipien treu geblieben sind, enorm gestiegen ist. Die Geschichte hat gezeigt, dass wir auf der richtigen Seite gestanden haben. Wir wissen aber auch, dass uns dieser Prozess zwischen den beiden Staaten vor neue Herausforderungen stellt. Der Imperialismus hört nicht auf, Imperialismus zu sein, nur weil wir jetzt Beziehungen zu den USA pflegen.

UZ: Was sind das für Herausforderungen?

Gerardo Hernández: Kuba gehört zu einer sich globalisierenden Welt. Wir sind Nachbarn des mächtigsten Landes der Weltgeschichte, mit einer Distanz von gerade einmal 90 Seemeilen. Sie haben uns nie verziehen, dass wir direkt vor ihrer Nase eine sozialistische Gesellschaft aufgebaut haben, und sie werden keine Ruhe geben, ehe sie ihr Ziel, die kubanische Revolution zu zerstören, erreicht haben. Die Herausforderung besteht also darin, gegenüber diesem mächtigen Nachbarn unsere Souveränität und Unabhängigkeit durchzusetzen.

Zudem befindet sich, wie ihr wisst, unser Land in einer entscheidenden Phase. Die Generation, die unsere Revolution bisher geleitet hat, verabschiedet sich. Eine neue Generation von jungen Anführern wird die Führung übernehmen. Es gibt mehrere Generationen von jungen Menschen, die zur Zeit der Sonderperiode geboren wurden und die vielleicht besten Jahre der kubanischen Revolution nicht kennengelernt haben. Darüber hinaus ist der Großteil der Kubaner erst nach dem Sieg der Revolution auf die Welt gekommen und hat unsere kapitalistische Vergangenheit nie erlebt. Es ist für uns Revolutionäre eine Herausforderung, dieser Jugend zu erklären, dass die Errungenschaften, die sie heute genießt, nicht vom Himmel gefallen sind.

UZ: Kuba greift in seinem derzeitigen Aktualisierungsprozess auch auf Elemente zurück, die man eher dem Kapitalismus als dem Sozialismus zurechnen würde. Handelt es sich hierbei um vorübergehende Maßnahmen oder werden sie fortan Teil des kubanischen Gesellschaftsmodells bleiben?

Gerardo Hernández: In einem bestimmten Moment unserer Geschichte haben wir den Fehler begangen, für den Aufbau unseres Sozialismus Formeln und Anleitungen zu verwenden, die wenig mit unserem Breitengrad, wenig mit unserer Realität zu tun hatten. Dadurch ist vieles schief gelaufen.

Wir würden gerne eine kommunistische Gesellschaft aufbauen, wie die Klassiker sie beschrieben haben, sogar ohne die Existenz von Geld. So, wie die Welt heute aussieht, scheint das allerdings weit entfernt – was nicht bedeutet, dass wir nicht alles dafür täten. Wir Kubaner spüren eine große Verantwortung für unser eigenes Volk und müssen uns an diese Welt anpassen, um in ihr zu überleben. Wir werden kein einziges grundsätzliches Prinzip aufgeben, aber wir müssen uns möglicherweise Maßnahmen bedienen, die bei den Klassikern nicht zu finden sind. Das Ziel bleibt dabei immer, das Wohlergehen unserer Bevölkerung zu sichern und die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu vermeiden.

Wir werden vieles auf dem Weg ausprobieren müssen. Manches wird schief gehen, manches wird berichtigt werden müssen, anderes geht auf. Die eine oder andere Maßnahme wird vielen Beobachtern vielleicht nicht gefallen, aber für uns ist jedes Mittel, das zum Wohlergehen unseres Volkes beiträgt, eine Überlegung wert.

Wir bitten die Brüder und Schwestern, die für die Freilassung der Fünf gekämpft haben, nicht nachzugeben und Kuba in den Kämpfen, die es vor sich hat, weiterhin zu unterstützen.

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"Zuversicht in der Zelle", UZ vom 22. Januar 2016



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