Weihnachtsglocken hatten den Spott, der sich über die jüngsten Niederlagen des deutschen Kanzlers in der Ukraine-Frage ergoss, gnädig übertönt. Nun hat es ausgebimmelt, und der Gänsebraten, teurer denn je, ist verdaut. Zurück kehrt die Frage: Was war da wieder los? Zwei Tage lang trafen sich hochrangige Abgesandte aus den USA und der Ukraine, dazu Regierungschefs und Präsidenten verschiedener europäischer Staaten, in Berlin, um über Friedensaussichten im Ukraine-Krieg zu beraten. Das sollte den Anschein erwecken, als wäre Deutschland von seiner Rolle am Rande der substanziellen Ukraine-Gespräche ins Zentrum der außenpolitischen Akteure aufgestiegen. Aber Merz’ Hoffnung auf eine Rolle als Vermittler „entscheidender Weichenstellungen“ erfüllte sich nicht. Deutschland gab die Räume und den Kaffee, tonangebend in der Sache waren die alten Player. Selenski sprach denn auch, wie die „Berliner Zeitung“ bemerkte, unverblümt von einem „ukrainisch-amerikanischen Tag“ in Berlin. Wo Merz zu Wort kam, wiederholte er die bekannten Maximalforderungen der Scharfmacher innerhalb der EU, die sich für die Nachkriegszeit in der Ukraine unter anderem eine multinationale Truppenpräsenz wünschen, natürlich unter eigener Beteiligung, und zugleich wissen, dass Russland in seinem Nachbarland niemals westliche Kontingente dulden würde, selbst, wenn die nicht mit einem NATO-Mandat ausgestattet wären. Wer aber solche Maximalforderungen zum Mantra macht, versperrt in den Verhandlungen jeden Fortschritt. Positive Elemente des Dialogs der Regierung Trump mit Moskau und Kiew werden mutwillig zerredet. Und so urteilte auch der Kommentator der „Berliner Zeitung“, bei Ansicht der konkreten Ergebnisse entstehe der Eindruck, „dass Kanzler Merz mit seinem Berliner Verhandlungsmarathon eher ein Bremsklotz als ein Motor für Frieden war“.

Des Kanzlers Missgeschick setzte sich in Brüssel fort, wo der von ihm und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen entgegen eindringlicher juristischer Bedenken mit Feuereifer verfolgte Plan verworfen wurde, in Belgien eingefrorenes russisches Staatsvermögen für die Unterstützung der Ukraine zu beschlagnahmen. Einem solchen Verfahren widersetzten sich neben dem belgischen Regierungschef Bart de Wever auch die Regierungen der Slowakei, Ungarns, Tschechiens, Bulgariens, Zyperns, Maltas, Italiens und Österreichs. Dafür wurde beschlossen, dass 90 Milliarden Euro von der EU am Geldmarkt beschafft werden, um sie der Ukraine als zinslosen Kredit zu reichen. Die Summe dürfte wohl zu Rüstungszwecken verbraucht werden. Nur, falls die Ukraine von Russland Kriegsentschädigungen erhalten würde, wäre sie zur Rückzahlung verpflichtet. Da das kaum zu erwarten ist, wird die EU wohl weitere 90 Milliarden in den Sand setzen, wobei Ungarn, Tschechien und die Slowakei sich bereits von ihren anteiligen Haftungen frei verhandelt haben. Wenn Friedrich Merz davon träumt, in diesem Falle doch noch auf die blockierten russischen Staatsgelder zurückgreifen zu können, was er als Erfüllung seines Planes in umgekehrter Reihenfolge verkaufen will, besteht Anlass, sich vor seinen Visionen zu fürchten. Sie hätten wohl gravierende Schäden in der Finanzwelt und eine schwerwiegende russische Antwort zur Folge.
Würde man einen Augenblick lang mit Klaus von Dohnanyi bedauern, dass Merz „seit seiner Ernennung zum Bundeskanzler noch nicht in Moskau gewesen ist“ (Interview der „Neuen Zürcher Zeitung“), so genügte allein ein Blick auf des Kanzlers Sprache, um dessen diplomatisches Unvermögen zu erkennen. Kürzlich hatte er Putin indirekt mit Hitler verglichen, als er meinte, dem russischen Präsidenten werde die Ukraine wohl nicht reichen, genauso wenig, wie Hitler 1938 das Sudetenland gereicht habe. Was Klaus von Dohnanyi zurückhaltend „historisch offenbar ziemlich ungebildet“ nannte, ist die arrogant wiedergekäute bellizistische Behauptung, Russlands Führung schwelge in weitreichenden Eroberungsabsichten – nie bewiesen, aber als Schreckgespenst wie ein Faktum in die Nachrichtenschleifen gestellt. Kann man das anders verstehen als als Suggestion eines Kriegsanlasses? So verlogen wie einst die Mär vom angegriffenen US-Schiff im Golf von Tonkin oder später die von den nie gefundenen Massenvernichtungswaffen im Irak? Diese Regierung und ihr Kanzler wollen sich von ihren antirussischen Dogmen nicht trennen. Die waren schon vor dem Krieg ausschlaggebend, als der Westen die angesichts der NATO-Walze gen Osten früh geäußerten russischen Sicherheitsbedürfnisse missachtete und die Ukraine in die Konfrontation mit Russland zwang. Friedrich Merz, der Deutschland in einer geschichtlichen Verantwortung für vernunftgeleitete Beziehungen zu Russland sehen müsste, will unserem Land diesen Dienst nicht erweisen. Lieber wirft er mit Milliarden um sich. Es sind ja nicht seine.


