Der Allianzgipfel in Den Haag: Hochrüstung, eine „Tonne Schleim“ für Trump und Selenski am Katzentisch

Dreckskerle unter sich

Der wichtigste Beschluss des NATO-Gipfels am 24. und 25. Juni in Den Haag wurde bereits am 22. Juni veröffentlicht: Alle 32 Mitgliedstaaten streben an, 5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für militärische Zwecke auszugeben. Spanien erhielt eine vage Ausnahmegenehmigung, verpflichtete sich aber, die 2023 auf dem NATO-Gipfel in Vilnius beschlossenen geheimen Fähigkeitsziele der Allianz in jedem Fall zu erreichen. Zudem erwirkte es, dass das 5-Prozent-Ziel nicht schon 2032, sondern erst 2035 erreicht werden soll.

Als diese Forderung Donald Trumps aus dem Januar erfüllt war, blieben noch zwei Dinge zu sichern: Erstens dem US-Präsidenten keinen Anlass für einen Ausraster zu liefern und ihm zweitens Hilfszusagen für Kiew zu entlocken. Das erste gelang, das zweite nicht.

Trump traf zwar Wladimir Selenski nach der zweieinhalbstündigen Runde, auf die der Gipfel geschrumpft war, am Mittwoch zu einem Gespräch, aber Neues ergab das nicht. Trump hat seinen Kolonialvertrag zur Ausbeutung ukrainischer Rohstoffe in der Tasche, das reicht ihm. Der ukrainische Staatspräsident durfte noch mit NATO-Generalsekretär Mark Rutte und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprechen – das war‘s. Noch am 30. Juni erklärte die frühere Stellvertretende Beigeordnete NATO-Generalsekretärin Stefanie Babst im „Deutschlandfunk“, die Ukraine mit Wladimir Selenski an der Spitze habe in Den Haag „eher am Katzentisch sitzen“ müssen. Ihr Urteil teilte die Mehrheit der westlichen Kommentatoren: Selenski und seine Truppe haben von der Wertegemeinschaft wenig bis nichts zu erwarten.

Repräsentativ war auch Babsts Einschätzung des NATO-Gipfes insgesamt: Er habe „eine Konstruktion transatlantischer Einigkeit versucht zu orchestrieren, die es in der Realität gar nicht mehr gibt“. Die NATO habe keine Antwort darauf gefunden, wie sie „mit diesem hochaggressiven Russland umgehen will“. Ein Beispiel dafür war offenbar das vergebliche Bemühen von Bundeskanzler Friedrich Merz. Der „Spiegel“ berichtete am Sonnabend aus der vertraulichen Arbeitssitzung des Gipfels, der Bundeskanzler seit zweiter auf der Rednerliste gewesen und habe versucht, den Ukraine-Krieg ins „Blickfeld“ der Teilnehmer zu rücken. Aber: „Er bittet den US-Präsidenten Donald Trump darum, den Druck auf den russischen Machthaber Wladimir Putin zu erhöhen, wirbt um weitere Unterstützung für Kyjiw. Aber Merz bemüht sich vergebens. Trump interessiert sich nicht sonderlich für die Ukraine, und so wird das von Russland angegriffene Land in der Gipfelerklärung zum Randaspekt.“ Das sei für Merz „eine Schlappe, ein diplomatischer Rückschlag“ gewesen. Immerhin, so der „Spiegel“ gönnerhaft, bleibe der Kanzler „bei den Russlandsanktionen dran“. Das frühere Nachrichtenmagazin belegt das allen Ernstes mit der Schilderung, Trump habe dem Deutschen nach dem Gruppenfoto kumpelhaft auf den Arm geschlagen: „Merz schlug zurück und raunte dem US-Präsidenten zu, er allein habe es in der Hand, den Krieg zu beenden, indem er den ökonomischen Druck auf Putin erhöhe, so schildern es Eingeweihte.“

So lässt sich Journalismus simulieren. Selbst in der übrigen deutschen Bürgerpresse stand solche Beurteilung des Merz-Gehabes ziemlich allein da. Sie goss über die unentwegten Huldigungszeremonien aller NATO-Europäer, die sich in Den Haag vor Trump x-mal in den Staub warfen, zumeist Hohn und Spott aus. Ein Musterbeispiel lieferte ausgerechnet FAZ-Herausgeber Berthold Kohler ab, der in der Samstagausgabe vermutete, „selbst ein extreme Lobhudelei gewohnter Narziss wie Trump muss sich wohl erst einmal von der Tonne Schleim erholen, mit der er in Den Haag übergossen wurde“. Und weiter: „Das maximalinvasive Einschleimen bei Trump hatte NATO-Generalsekretär schon vorab mit einer Ergebenheitsadresse an den tollen Hecht eröffnet, bei deren Lektüre man dachte, nicht einmal der ‚Daddy‘ im Weißen Haus würde diese Bauchpinselei noch ernst nehmen können.“

Der neueste Feudalismus liefert so zwar allerhand Realsatire, die Show lenkt aber davon ab, was in Wirklichkeit geschieht: Die NATO ist auf Kriegskurs, Trump bombt schon mal vor und Deutschland will bei all dem, was Merz am Rande des Gipfels „Drecksarbeit“ nannte, „führen“. Wenn es nach Jens Spahn geht, auch mit Atomwaffen. Dreckskerle unter sich.

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"Dreckskerle unter sich", UZ vom 4. Juli 2025



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