Verfassungsrichter legitimieren Aufrüstung

Ein Freibrief

Von Ralf Hohmann

Deutsche Soldaten beteiligen sich an kriegerischen Handlungen in aller Welt, obwohl nach Artikel 26, Absatz 1 Grundgesetz (GG) „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig“ sind. In der Präambel des Grundgesetzes heißt es, Deutschland möge dem Frieden in der Welt dienen. Von einer Bindungswirkung dieser Grundsätze ist heute nichts mehr übrig.

Die deutsch-dominierte „Europäische Union“ (EU) bereitet sich für kommende kriegerische Auseinandersetzungen vor. Vergangene Woche stellte die Marine die erste von vier neuen Fregatten mit einem Auftragsvolumen von 3,1 Milliarden Euro in Dienst. Am 17. Juni unterzeichnete Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im französischen Le Bourget die Vereinbarung zum „Future Combat Air System (FCAS). Im Mittelpunkt steht nicht nur der neue EU-Kampfjet mit Entwicklungskosten von bisher 50 Milliarden Euro. Es geht „nicht allein um ein Flugzeug, sondern es soll ein Verbund aus unterschiedlichen Kampfmitteln werden. Den neuen Jet sollen Drohnen verschiedener Größe begleiten. Und statt Bomben zu tragen, sollen diese als eigene Raketen neben ihm fliegen können, gesteuert oder auch in einem Schwarm, der sich selbst steuert“, schreibt dazu das „Handelsblatt“. Zur gleichen Zeit übt die NATO in Rumänien mit dem Manöver „Swift Response“ das Absetzen von Luftlandetruppen über feindlichem Gebiet – die Bundeswehr beteiligt sich allein im Jahr 2019 an 17 auslandsbezogenen NATO-Übungen.

Die Anpassung der Grundgesetzinterpretation an die heutige Interessenlage ist der rote Faden bundesdeutscher Gesetzgebung und der vom Bundesverfassungsgericht willfährig beigesteuerten „Verfassungsauslegung“. Das Bundesverfassungsgericht bescheinigte der „Pegasus-Bundeswehroperation“ ihre Rechtmäßigkeit nachträglich. Ohne Genehmigung des Bundestages hatte die Bundeswehr 132 Menschen mit zwei Transall-Maschinen von einem Ölfeld nahe des ostlibyschen Wüstenortes Nafura evakuiert. Im „Pegasus-Urteil“ liegt die Legitimation jeglicher Auslandseinsätze der Bundeswehr, selbst wenn diese von der UN-Charta nicht gedeckt ist. „Der konstitutive wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist nicht auf Einsätze bewaffneter Streitkräfte innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit beschränkt, sondern gilt darüber hinaus allgemein für bewaffnete Einsätze deutscher Soldaten im Ausland unabhängig von dessen materiell-rechtlicher Grundlage“, urteilt das höchste deutsche Gericht. Selbst Einsätze jenseits der NATO sind damit möglich.

Auch Artikel 87a GG – „Die Bundeswehr dient der Verteidigung“ – ist nach dem „Tornado-Urteil“ faktisch ausgehebelt. 2007 urteilten die Karlsruher Richter, dass der Tornado-Einsatz in Afghanistan rechtens sei und billigten die Kriseneinsätze der Nato außerhalb des Bündnisgebietes. Der Begriff der „Verteidigung“ unterliege einem weiten Ermessen.

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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"Ein Freibrief", UZ vom 28. Juni 2019



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