Die Reaktionen auf den Artikel von Seymour Hersh sind nahezu gleichgeschaltet

Einheitliche Sprachregelung

Am 8. Februar veröffentlichte der US-Journalist Seymour Hersh auf der Internetplattform „Substack“ den Artikel: „Wie Amerika die Nord-Stream-Pipeline ausschaltete“. Er legte plausibel dar, welche Motive US-Präsident Joseph Biden und sein Apparat für ein Sprengstoffattentat hatten und welche Möglichkeiten es gab, es mit Hilfe der CIA und einer Spezialtruppe durchzuführen. Washington und Oslo reagierten umgehend mit „Alles falsch“, US- und deutschsprachige Medien folgten dem fast einhellig. Ihre Sprachregelung war auf drei Punkte konzentriert: 1. Hersh beruft sich „auf eine einzige Quelle“ (AFP) und schreibt „ohne jeden Beleg und unter Berufung auf eine einzelne anonyme Quelle“ (dpa). 2. Er ist laut AFP zwar „als Journalist eine Legende, aber auch nicht unumstritten“. Als Beleg für Letzteres wird regelmäßig angeführt, er habe 2013 in Frage gestellt, „dass die syrische Regierung für einen tödlichen Giftgaseinsatz verantwortlich war“ (AFP). 3. Hersh ist 85 Jahre alt und offenbar allein deswegen unglaubwürdig.

Die erste Behauptung ist falsch, wie Hersh in mehreren Interviews dargelegt hat, eins davon in der „Berliner Zeitung“ vom 15. Februar. Dort erläutert er: „Das Gesetz ist sehr streng. Ich habe noch nie jemanden enttarnt und wenn ich schreibe, sage ich natürlich, wie ich es in diesem Artikel getan habe, dass es sich um eine Quelle handelt, Punkt.“ Der zweite Vorwurf folgt der westlichen Propagandaerzählung gegen Syrien seit dem dort 2011 von USA und NATO angezettelten „Bürgerkrieg“. Zweifel daran reichten für ein negatives Urteil. Der Vorwurf, dass die dschihadistischen Kopfabschneider, die seit 2011 in Syrien als Fußtruppen des Westens für einen Regime Change fungieren, eine Operation unter falscher Flagge durchgeführt haben, wird aber nicht nur von Hersh erhoben. Ähnliche Attacken mit Chemiewaffen von Seiten der in westlichen Medien heute nur noch als „Aufständische“ oder „Oppositionelle“ Bezeichneten gab es seither mehrfach.

Bleibt 3. die Anspielung aufs hohe Alter Hershs. Wer zu solchen „Argumenten“ greift, bei dem ist der Mangel an Stichhaltigem groß.

Insgesamt folgen die Kommentare zu Hershs Artikel der Verszeile Christian Morgensterns in „Die unmögliche Tatsache“: Palmström wurde nicht von einem Kraftfahrzeug überfahren, denn die durften dort, wo es passierte, laut Gesetz nicht sein: „Und er kommt zu dem Ergebnis:/‚Nur ein Traum war das Erlebnis./Weil‘, so schließt er messerscharf,/,nicht sein kann, was nicht sein darf“.“

Immerhin aber nervte Hershs Artikel die Medienmacher derart, dass sich zum Beispiel die „Neue Zürcher Zeitung“ in ihrem Online-Auftritt am Sonntag darüber hermachte. Inhalt: Es gibt Zweifel an Hershs Darstellung, und: gestützt werde seine These „durch eine einzige anonyme Quelle; Dokumente oder andere Beweise fehlen“. Zusatzargument: „Von Russlands Medien wird Hershs Theorie dankbar aufgenommen.“ Das sagt schließlich alles. Versteht sich, dass Stellungnahmen Hershs wie die in der „Berliner Zeitung“ keine Erwähnung wert sind. Gleiches gilt für die sich links gebende antikommunistische „Jungle World“, die zu allem übrigen Geraune die „antideutsche“ Sottise beifügt, in „Deutschland“ scheine die Wirkung von Hershs Text „besonders groß zu sein – vermutlich weil man sich hierzulande traditionell als Opfer der USA wähnt“. Wenn 90 Prozent der Medien Hershs Text als „Pleite“ („Augsburger Allgemeine“) behandeln, dann ist das für „Jungle World“ ein Antiamerikanismus. Den deutschen Schreibtischfront-Leutnant macht uns keiner nach.

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"Einheitliche Sprachregelung", UZ vom 24. Februar 2023



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