Mit ihrem Beschluss 2025/966 über „restriktive Maßnahmen angesichts der destabilisierenden Aktivitäten Russlands“ hat die Europäische Union eine rote Linie überschritten. Der Rat hat mit diesem am 20. Mai beschlossenen, nunmehr 17. Sanktionspaket erstmals auch Strafen gegen deutsche Pressevertreter verhängt. Betroffen sind die aus Hamburg kommende Journalistin und Bloggerin Alina Lipp und der aus Bremen kommende Journalist Thomas Röper, die beide seit mehreren Jahren in Russland beziehungsweise im Donbass leben und von dort in ihren Blogs „Neues aus Russland“ beziehungsweise „Anti-Spiegel“ über die russische Sicht auf den Ukraine-Konflikt und die Welt berichten. Auf der EU-Sanktionsliste steht auch der Berliner Hüseyin Doğru. Der Gründer des linken Projekts „Red Media“ kommt aus einer türkisch-kurdischen kommunistischen Familie und ist ebenfalls deutscher Staatsbürger.
Mit einer gemeinsamen Veranstaltung „EU-Wahrheitsregime kontra Pressefreiheit“ haben die Medienportale „NachDenkSeiten“, „Overton-Magazin“ und „Hintergrund“ zusammen mit der Tageszeitung „junge Welt“ gegen die Journalistenverfolgung protestiert. In der gut besuchten Maigalerie in Berlin-Mitte wurden die Sanktionsfolgen skizziert: Gegen die drei deutschen Journalisten sind umfassende Einreiseverbote in die Länder der EU verhängt. Ihre Bankkonten sind gesperrt, Vermögenswerte eingefroren. Im Fall Doğru wird die hochschwangere Frau in Sippenhaftung genommen, indem zwischenzeitlich das Konto geschlossen und die Krankenkasse gekündigt wurde. Die EU-Verbotsmaßnahmen umfassen auch die „Bereitstellung von Geldern und anderen wirtschaftlichen Ressourcen“, das heißt, wer ihnen mit Geld aushilft oder sie etwa zum Essen einlädt, macht sich strafbar. Die Sanktionen kommen einer totalen Entmündigung und Entrechtung gleich. Sie münden in ein Arbeitsverbot in Deutschland, regierungsamtliche Diffamierung und gesellschaftliche Ächtung, kritisierten die Veranstalter.
Den Betroffenen wird per bürokratischem Akt ohne Verfahren und Gerichtsurteil ihre bürgerliche Existenzgrundlage entzogen, weil sie kritisch über die Rolle des Westens im Ukraine- oder Gaza-Krieg berichten. Im angeblichen Kampf gegen „Desinformation“ soll hier kritischem Journalismus, der die offiziellen Narrative von EU und NATO infrage stellt, der Boden entzogen werden. Die EU-Strafmaßnahmen sind eine Zäsur und ein gefährlicher Präzedenzfall. Um die deutsche Bevölkerung auf „Kriegstüchtigkeit zu trimmen“, sollen kritische Stimmen mundtot gemacht und die Öffentlichkeit einem totalitären EU-Wahrheitsregime unterworfen werden.
Rüdiger Göbel, der durch den Abend führte, bekräftigte im Namen der Kollegen Florian Warweg („NachDenkSeiten“), Roberto de Lapuente („Overton-Magazin“), Tilo Gräser („Hintergrund“) und jW-Chefredakteur Nick Brauns: „Gemeinsam treten wir hier ein für die Verteidigung der Pressefreiheit und das Recht der Öffentlichkeit, sich eine eigene Meinung bilden zu können. Wir treten ein für den Schutz freier Debatten. Wir treten ein für die Solidarität mit denen, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen – auch wenn sie unbequem sein möge. Widersprechende Meinungen müssen gehört und überprüft werden können und dürfen nicht durch staatliche Zensurinstrumente erstickt werden. Meinungsfreiheit heißt nicht, Freiheit nur für die eigene Meinung.“
Alina Lipp, der die EU unterstellt, dass sie „systematisch Fehlinformationen über den Angriffskrieg Russlands verbreitet“, skizzierte in einem eingespielten Videostatement die Sanktionen als „Testfall“. Es werde genau geschaut, ob es einen Aufschrei und Protest gebe oder nicht. Wenn die EU mit dieser „illegalen Geschichte“ durchkomme, drohten weitere, dann werden sie gegen weitere Pressevertreter vorgehen, insbesondere in den sogenannten Alternativmedien. Thomas Röper, laut EU „beteiligt am Einsatz von Informationsmanipulation“, verwies seinerseits darauf, dass die Initiative zur Verfolgung von der Bundesregierung ausgehe. Diese habe es offensichtlich nötig, kritische Stimmen mit Strafmaßnahmen zu bekämpfen, weil die Argumente für eine Auseinandersetzung fehlten.
Beide ließen aus taktischen Erwägungen offen, inwiefern sie gegen ihre Listung juristisch vorgehen. Dem in Berlin lebenden Hüseyin Doğru bleibt gar keine Wahl. Die Existenz seiner Familie ist unmittelbar bedroht. Podium wie Besucher riefen dazu auf, bei den einschlägigen Journalistenorganisationen dju, DJV und „Reporter ohne Grenzen“ Solidarität anzumahnen und den Skandal auch in den Parlamenten zum Thema zu machen. Letztlich müsse es aber darum gehen, die Antikriegsbewegung zu stärken und Opposition gegen den Kriegskurs der Regierung zu leisten.
Video der Veranstaltung:
Auch afrikanische Journalisten im Visier
Die Strafmaßnahmen gegen Journalisten, die hier zum inneren Feind erklärt werden, sind die Fortführung der Ausschaltung von „Feindpropaganda“, wie wir es 1999 im Jugoslawien-Krieg erlebt haben, als die NATO die Sendezentrale von RTS in Belgrad bei laufendem Betrieb bombardiert hat, oder gerade erst beim Bombardement auf den iranischen Sender IRIB in Teheran durch die israelische Luftwaffe erlebt haben.
Neben den drei deutschen Journalisten richten sich die jüngsten EU-Sanktionen auch gegen Medienportale in Afrika, wo die einstige Kolonialmacht Frankreich jedes Hinterland verliert. Betroffen ist der Leiter der Nachrichtenagentur „African Initiative“, Viktor Luvenko, dem „Verbreitung russischer Propaganda auf dem Kontinent“ vorgeworfen wird. Betroffen ist Justin Tagouh, Geschäftsführer des Pressekonzerns International Afrique Media, zu dem der Fernsehsender „Afrique Média“, die Presseschau IAM und „Courrier Confidentiel“ gehören. Ihm wird vorgeworfen, er habe „direkte Verbindungen zu den russischen Behörden und verbreitet russische und anti-westliche Narrative in afrikanischen Ländern“. Gelistet ist Mikhaïl Prudnikov von „Africa Politology“, einer Einrichtung, die laut EU „für Desinformation und russische Propaganda in der Zentralafrikanischen Republik verantwortlich“ ist. Er sei für „Desinformationskampagnen in der Zentralafrikanischen Republik durch verschiedene Zeitungen und Netzwerke“ verantwortlich: „Insbesondere entwickelte er ein Narrativ gegen westliche Länder und war an Kommunikationsmaßnahmen zur Untergrabung und Bedrohung des Ansehens der Union in der Zentralafrikanischen Republik beteiligt.“ Sanktioniert wird schließlich Sylvain Afoua, Gründer der „Ligue de défense noire africaine“. Ihm wird vorgeworfen, Zitat, „russische Narrative und Fehlinformationen über den Angriffskrieg gegen die Ukraine“ zu verbreiten, „insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent“.