Einen Angriff des neuen Präsidenten Trump auf den Freihandel würde das Finanzkapital nicht tolerieren 

Erinnerung an Roosevelts „New Deal“

Von Klaus Wagener

Donald John Trump wurde am 8.11.2016 zum 45. Präsidenten der USA gewählt

Donald John Trump wurde am 8.11.2016 zum 45. Präsidenten der USA gewählt

( Gage Skidmore via flickr.com, CC BY-SA 2.0)

Donald Trump hat in seiner Siegesrede noch einmal angekündigt: „Wir werden uns um unsere sozialen Brennpunkte kümmern und unsere Straßen, Brücken, Tunnel, Flughäfen, Schulen und Krankenhäuser wiederaufbauen. Wir werden unsere Infrastruktur, die übrigens allen überlegen sein wird, wiederaufbauen. Und wir werden bei diesem Wiederaufbau Arbeitsplätze für Millionen von Menschen schaffen.“

Das klingt nach FDR, Franklin Delano Roosevelt, dem Präsidenten der USA in der Großen Depression und im II. Weltkrieg. FDR hatte mit einem großen Klassenkompromiss, dem „New Deal“, einem nationalen Investitions- und Aufbauprogramm, die Große Krise überwinden wollen. „Wir werden ein nationales Wachstums- und Erneuerungsprojekt angehen“, so Trump, „ich werde die kreativen Talente unseres Volkes nutzen, und wir werden an die besten Köpfe appellieren, ihr enormes Talent zum Wohle aller einzusetzen. (…) Wir haben einen großartigen Wirtschaftsplan. Wir werden unser Wachstum verdoppeln und die stärkste Wirtschaft auf der ganzen Welt haben.“ Marx zitiert im „achtzehnten Brumaire“ Hegels Satz, die Geschichte wiederhole sich. Zuerst also mit FDR, in der Tragödie des II. Weltkriegs, und nun mit Trump, in der Farce des US-amerikanischen Niedergangs? Jedes Zeitalter hat die Helden, die es verdient.

Franlin Delano Roosevelt, US-Präsident von 1933 bis zu seinem Tod 1945

Franlin Delano Roosevelt, US-Präsident von 1933 bis zu seinem Tod 1945

( Gemeinfrei)

Aber schon FDR’s „New Deal“ brachte die USA nicht wirklich aus der Krise heraus. Zur prosperierenden, globalen Supermacht wurde sie erst mithilfe des Militärs und des staatsmonopolistischen Kriegskapitalismus des II. Weltkriegs. Wie Woodrow Wilson 1917 hatte FDR 1941 dem Drängen des Finanzkapitals nachgegeben und die USA in das renditestarke große Schlachten geführt. Wieder steckt der Kapitalismus in einer tiefen Krise, wieder haben die Kriege um die Weltherrschaft längst begonnen. „Wir haben 6 Billionen Dollar im Mittleren Osten ausgegeben. Mit 6 Billionen könnten wir unser Land zweimal wiederaufbauen.“ Wir werden „uns mit allen anderen Nationen vertragen, die sich mit uns vertragen wollen.“ Sätze, wie diese von Donald Trump, scheinen der Kriegspartei besonders sauer aufzustoßen. Die Kanzlerin verlor derartig die Contenance, dass sie völlig ihren Vasallenstatus vergaß und auf einmal meinte dem US-Präsidenten Bedingungen zur Zusammenarbeit diktieren zu können. Das dürfte bei künftigen Begegnungen etwas peinlich werden. Ihre Kriegsministerin trommelt derweil, „Germany first“, für die Erhöhung des Rüstungsetats. Wenn Trump keine Lust aufs Bomben hat, sie steht bereit.

Die Börse bekam als erste die Kurve. Nachdem die Kurse kurz nach unten zuckten, besannen sich die Spekulanten aufs Kerngeschäft. Dabei ist der Panikmodus nicht sonderlich hilfreich. Das Finanzkapital hofft auf Trumps „Make America great again“. Natürlich sind Konjunkturprogramme den Neoliberalen ein Gräuel – es sei denn, andere bezahlen und der Profit stimmt.

„Freihandel“ ist die Propagandaformel für das globale Faustrecht der ökonomisch Starken, speziell des Finanzkapitals. Ebenso wie der Klassenkampf ist auch der Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen Unternehmen, wie der zwischen ihren ideellen Gesamtkapitalisten eine Art Kalter Krieg in Permanenz. Das gilt insbesondere, seitdem der Kapitalismus nach der Niederlage des Sozialismus alle Hemmungen verloren hat. Während die Finanzbranche an der Mehrwertproduktion in den globalen Wachstumsregionen bestens verdiente und diese Profite zu gigantischen Blasen hebelte, verkam die Realökonomie, zerbröselte die Infrastruktur, ersetzte das Prekariat den staatstragenden Mittelstand. Trump attackiert folgerichtig NAFTA, TTIP und TPP. Würde Trump damit ernst machen, würde er, wie schon FDR, mächtigen Gruppen des Finanzkapitals, ordentlich auf die Füße steigen? Die Frage ist, ob er könnte, wenn er wollte.

Trumps „Programmatik“ ist mit der bisherigen Praxis der Republikaner nicht vereinbar. Um substantielle Erfolge erzielen zu können, wären vermutlich die Billionen Dollar erforderlich, die vom US-Establishment allenfalls zum Sturz eines Saddam Hussein oder zur Rettung der Spekulanten aufgewandt wurden. Die Republikaner hatten schon Obama mit dem Verweis auf die Staatsverschuldung torpediert. Unter Obama hat sie sich auf 20 Billionen Dollar verdoppelt. Werden nun Trump diese 20 Billionen umgehängt, dürfte er mit diesem Mühlstein kaum noch einen Schritt machen können. Abgesehen von den 4,4 Billionen Dollar schweren Steuersenkungen (gestreckt über zehn Jahre), hätte er für sein „Make America Great Again“ weder die erforderliche Hausmacht noch das erforderliche Geld.

Roosevelt nutzte, ebenfalls „populistisch“, seine direkte Beziehung zu den arbeitenden Menschen, um die Defizit-Falken im Kongress in die Defensive zu drängen. 1932, in scharfem Kontrast zur Krise, erlebte die junge Sowjetunion mit ihrem ersten Fünfjahrplan einen beispiellosen Wirtschaftsaufschwung. Das fuhr der globalen Bourgeoisie tief in die Knochen und öffnete die Brieftaschen. Heute ist die, für eine politökonomische „Zeitenwende“ erforderliche, „Rote Flut“ nicht erkennbar. Der islamistische Fundamentalismus ist allenfalls eine (regionale) Gefahr, aber kein Versprechen.

Ob sich die USA künftig tatsächlich „mit allen anderen Nationen vertragen“, wird nur bedingt von der Trump-Regierung abhängen. Die historischen Erfahrungen (Eisenhower, Kennedy, Obama) mit dem militärisch-industriellen Komplex (MIK) und den Falken im Kongress sind eindeutig. Zumal nach der Bush-Ära auch die Obama/Hillary-Clinton-Regierung geostrategisch im Nahen und Mittleren Osten, wie rüstungspolitisch mit dem Billionen-schweren, atomaren Aufrüstungsprogramm, die Zeichen auf Konfrontation und Krieg gestellt hat.

Trotzdem ist die Zäsur unübersehbar. Vor allem die ideologisch-kulturell-mentale Hegemonie des entgrenzten Kapitalismus erodiert. Wenn der konzertierte Macht- und Propagandaapparat seinen erklärten Liebling nicht durchzusetzen imstande ist, so zeigt das, wie auch der Brexit, dass es eine tiefe Unzufriedenheit mit der neoliberalen Wirklichkeit und ein tiefes Mißtrauen gegen die Versprechungen ihrer professionellen Heilsverkünder gibt, das auch mit noch so viel „Political Correctness“ und Talkshow-Moralismus nicht aufgebrochen werden kann.

Die Abstimmung der Briten gegen die EU-Mitgliedschaft, die Erfolge der Le Pens in Frankreich und nun der „Trump-Schock“ zeigen, dass die Brutalität der neoliberalen Wirklichkeit wirkt. Die auf „Political Correctness“ gegründete Einhegung ist mit Trump durchbrochen. Die neoliberale Verwertungsmaschine verliert rapide an Massenunterstützung. Der Brexit und Trumps Wahlsieg entlarven den Lehrsatz der Neoliberalen TINA (There Is No Alternative) als eine Propagandafigur. Alternativen sind möglich. Und nun dafür auch Mehrheiten.

Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart nannte es eine „Demütigung für das gesamte Establishment des westlichen Politikbetriebs und der vorläufige Höhepunkt eines Weltbebens“. Im FAZ-Feuilleton waren Sätze zu lesen wie: „Weltweit haben sich die Sozialdemokratie und die „Liberals“ als Arbeitsgruppe „Umverteilung nach oben“ bekanntgemacht, weltweit der Konservatismus als Verein zum Abnicken jedweder technokratischen Reform, weltweit der Liberalismus als Interessengemeinschaft Vermögensbesitz.“ Es scheint die Zeit gekommen, von der Ausgrenzung zur Vereinnahmung zu wechseln.

Käme es so, wäre für die „linke“ Strategie, gemeinsam (mit Merkel und Seehofer) gegen die AfD vorzugehen, die Geschäftsgrundlage entfallen. Sie wäre ohnehin nur in Fortsetzung der austeritätspolitischen Verelendungsstrategie zu haben gewesen. Abzusehen ist, dass insbesondere in der verfahrenen Euro/Europapolitik eine gewisse Neuaufstellung vorgenommen muss. Sollte man zu dem Schluss kommen, dass dies mit den neoliberalen Rechtspopulisten besser vorgenommen werden kann als mit einer kaum noch integrationsfähigen SPD, könnte auch die AfD von einem plötzlichen Seriösitätsschub befallen werden. Dann wäre, wie 1930 beim Kabinett Müller II, als das Bürgertum beschloss, die „abenteuerliche Rebellion“ (Hans Heinz Holz) zu integrieren, recht schnell alles möglich.

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"Erinnerung an Roosevelts „New Deal“", UZ vom 18. November 2016



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