Mitte letzter Woche stellte eine Berliner Denkfabrik mit dem Namen „Global Perspectives Initiatives“ in der Bundespressekonferenz einen sogenannten Expertenbericht vor, den sie dem neuen Kanzleramtschef Thorsten Frei symbolisch übergab. Der Bericht wurde von der ehemaligen Merkel-Ministerin für Verteidigung, Annegret Kramp-Karrenbauer, präsentiert. Sie saß einem zehnköpfigen Gremium vor, das unentgeltlich Interviews führte, um daraus Vorschläge gegen den Protektionismus der US-Regierung abzuleiten. Weitere Mitglieder des Gremiums sind der geschäftsführende Vorsitzende der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Dr. Stefan Mair, der Exekutivdirektor der Weltbankgruppe für Deutschland, Michael Krake, und der ehemalige Außenminister Joseph Fischer, dessen Regierung die erste deutsche Beteiligung an einem Angriffskrieg nach 1945 verantwortete.
Obwohl die Arbeit der Denkfabrik von der US-amerikanischen Gates-Stiftung finanziert wird, liest sich das Papier „Empfehlungen für die Neuausrichtung von Deutschlands Beziehungen zu den Ländern des Globalen Südens“ wie eine längst überholte deutsche Großmachtphantasie. Da ist von der europäischen „Schicksalsgemeinschaft“ die Rede, die „ohne festen Zusammenhalt und innere Kraft“ unterzugehen drohe. Geschrieben wird von einer „Verpflichtung, gerade für Deutschland (…): Es muss, geografisch im Herzen Europas gelegen, wieder die Schlagzahl erhöhen und zusammen mit seinen engsten europäischen Partnern einen nächsten Vereinigungsschub auslösen. Nur so kann die EU auf Dauer in Frieden leben, ihren Wohlstand sichern und einen angemessenen Platz in der Welt einnehmen.“
Dieser großspurigen Ankündigung geht eine Analyse der Lage der Welt und der Akteure voraus. Zum einen wird der Kampf um die Herausbildung der multipolaren Weltordnung als Herausforderung für die Außenpolitik des deutschen Imperialismus verstanden. Zum anderen wird die zweite Amtszeit von Donald Trump im Weißen Haus als Gefahr für die eigene Vormachtstellung, immer eng an der Seite Washingtons, betrachtet. Beim Lesen des Berichts stößt man dazu passend alle paar Seiten auf Merksätze wie diesen: „Im Osten sitzt ein brutaler Autokrat, im Westen ein erratischer Präsident.“

Abhilfe soll durch einen starken zentralen Bundessicherheitsrat geschaffen werden. Nachdem die Rüstungsindustrie mit hoher Staatsquote von über 3 Prozent der Wirtschaftsleistung aufgebaut werden soll, fordern die Experten eine zentralere Koordination deutscher „Sicherheitspolitik“ – sprich: Wehrpolitik – und eine führende Rolle für vermehrte militärische Zusammenarbeit, welche „primär über den europäischen Pfeiler der NATO erfolgen“ soll.
Das Papier soll auf einen Mentalitätswechsel bei sogenannten Entscheidungsträgern drängen: „In einer zunehmend multipolaren und durch Disruptionen geprägten Welt“ ist der deutsche Imperialismus weiterhin auf auszubeutende Märkte angewiesen, trotz Konkurrenzdruck aus Ost und West. Dabei soll wohl geradegebogen werden, was dank „feministischer Außenpolitik“ und polternder außenpolitischer Auftritte unter der Ampel-Regierung verbaut wurde. So fordern die „Experten“: „Statt Werte gegen Interessen auszuspielen beides klar benennen und pragmatisch verfolgen.“
Kramp-Karrenbauer schreibt im Vorwort zum Bericht: „Unsere Forderung, Europa zu stärken, scheint mittlerweile im wahrsten Sinne des Wortes alternativlos. (…) Entscheidungen von historischer Tragweite müssen nun getroffen und gleichzeitig im demokratischen Diskurs mehrheitsfähig gemacht werden. Die Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg beweist, dass wir in Deutschland immer wieder die Fähigkeit hatten, uns auf neue (weltpolitische) Gegebenheiten einzustellen (…).“
Aufmachung, Zeitpunkt und Vermarktung des Berichts erwecken den Eindruck, dass das Papier als Stichwortgeber für die kommenden Jahre dienen soll.