„Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, uns in den Stadtrat zu wählen“

Hans Hoyer im Gespräch mit Johannes Pöhlmann, Stadtrat der „erlanger linke“

Frage: Die „erlanger linke“ ist vor eineinhalb Jahren vor allem deshalb in den Stadtrat gewählt worden, weil sie sich für die sozial Benachteiligten in Erlangen einsetzen wollte. Wie zeigt sich das in eueren Anträgen zum Haushalt 2016?

Johannes Pöhlmann: Wir versuchen, über den Haushalt eine Umverteilung von oben nach unten durchzusetzen. Wir wollen die Gewerbesteuer auf den Münchner Satz erhöhen. Das würde etwa zehn Millionen Euro mehr in die Stadtkasse bringen. Die könnte man z. B. für städtischen Wohnungsbau mit günstigen Mieten ausgeben. Ein anderer Antrag von uns zielt darauf, die Honorare an der Volkshochschule für die deutlich unterbezahlten DozentInnen auf Tarifniveau zu erhöhen. Wir fordern, dass BürgerInnen, die den jetzt kommenden „Erlangen-Pass“ erhalten, nur drei Euro Eintritt bei städtischen und privaten Kulturveranstaltungen bezahlen müssen. 40 000 Euro im Haushalt wollen wir für unabhängige Arbeitslosenberatungsstellen. Mittel, die die Stadt beim Streik der ErzieherInnen eingespart hat, sollen, wenn es nach uns geht, voll an die Eltern ausgezahlt werden. Wir waren übrigens die Einzigen im Stadtrat, die die Resolution des DGB Erlangen zum Streik unterstützt haben.

Frage: In der Presse liest man fast nur Gutes über den Umgang der Stadt mit den Flüchtlingen. Ist das die Wirklichkeit? Das kostet alles viel Geld. Wie habt ihr das in eueren Haushaltsanträgen untergebracht?

Johannes Pöhlmann: In Wirklichkeit läuft es in Erlangen besser als in manch anderer Stadt. Doch wie OB Janik selbst sagt, ist die Unterbringung der Flüchtlinge am unteren Rand des Vertretbaren. So verlangen wir, dass der Bund der Stadt fünf Millionen Euro überweist, um hier das Notwendigste zu finanzieren. Die Erlanger SPD und die CSU brauchen nur ihre Kanzlerin in Berlin anzurufen, damit das Geld fließt. Wir konnten uns gegen die Stadtratsmehrheit nicht durchsetzen, dass die Stadt sich juristisch gegen Abschiebungen wehrt. Wir vermissen auch eine deutliche Positionierung der Stadtspitze und des Stadtrats gegen die weitere Beschneidung des Asylrechtes.

Frage: Kein Stellenabbau, im Gegenteil mehr Stellen bei der Stadt, ist auch ein Anspruch der „erlanger linke“. Stellt ihr dazu Anträge?

Johannes Pöhlmann: In einem unserer Anträge zum Haushalt fordern wir zu den vorhandenen sieben Stellen weitere elf für Flüchtlingssozialarbeiter. Damit würde man nur den Betreuungsschlüssel der Bayerischen CSU-Staatsregierung einhalten. Wir lehnen auch Stellen ab. So haben wir eine Viertelstelle im Sozialamt abgelehnt, die mit der Zunahme von Widersprüchen und Klagen durch Hartz-IV-EmpfängerInnen begründet wurde. Die Stadt sollte stattdessen aussichtsreichen Widersprüchen stattgeben, anstatt es auf einen Prozess ankommen zu lassen. Wir brauchen dringend die Rekommunalisierung der Gebäudereinigung. Dafür brauchen wir mindestens zehn zusätzliche Stellen, die wir beantragt haben.

Frage: Mehr Demokratie im Stadtrat und in der Stadt habt ihr euch auf euere Fahnen geschrieben. Konntet ihr davon schon was umsetzen?

Johannes Pöhlmann: Wir versuchten, bei der Diskussion der Geschäftsordnung des Stadtrats einen gläsernen Stadtrat durchzusetzen, scheiterten jedoch. Zum Beispiel wollten wir das Abstimmungsverhalten der Fraktionen protokollieren und auf der Internet-Seite der Stadt veröffentlichen lassen, damit alle Bürger erkennen können, ,wofür oder wogegen ihre StadträtInnen sind. Wir wollten durchsetzen, dass die Haushaltsberatungen für die BürgerInnen transparenter werden. So sollen alle Abstimmungsunterlagen öffentlich zugänglich ins Internet gestellt werden. Platzeinschränkungen bei Infoständen, Kundgebungen und öffentlichen politischen Veranstaltungen sollen abgeschafft werden. Wir wollen auch das Plakatierungsmonopol der politischen Parteien abschaffen. Wir wollten die Bürgerfragestunde aufwerten. So wollten wir Bürgerfragestunden mit Antragsrecht in Ausschusssitzungen. Deutliche Mehrheiten im Stadtrat haben das verhindert. Aktuell ärgern wir uns über den Missbrauch der Nichtöffentlichkeit von Sitzungen aller Art im Stadtrat. Wenn ihnen etwas peinlich ist, erklären sie ganz schnell die Nichtöffentlichkeit.

Frage: Wer den Reichen nichts nimmt, kann den Armen nichts geben. Eine alte Weisheit. Selbst die Asozialen von der CSU sehen das so, wenn sie davon sprechen, dass man den Kuchen nur einmal verteilen kann. Wie setzt ihr denn diesen Anspruch in eurer Stadtratsarbeit um?

Johannes Pöhlmann: Die von uns geforderte Gewerbesteuererhöhung träfe vor allem die Großunternehmen wie Siemens oder Areva. 54 Prozent aller Betriebe zahlen überhaupt keine Gewerbesteuer. Weniger als zwei Prozent der Betriebe zahlen über 100000 Euro. Der aktuelle Einnahmeausfall von 15 Millionen Euro zeigt, dass sich Großbetriebe mit Tricksereien zu leicht arm rechnen können. Das verdanken sie den Steuergeschenken der „rot-grünen“ Schröder-Fischer-Regierung. Damit muss endlich Schluss gemacht werden. Wir fordern eine Nahverkehrsabgabe wie z. B. in Frankreich. Dort müssen Betriebe mit bezahlen für den Nahverkehr, von dem sie auch profitieren. Beim Strompreis wollen wir den günstigen Großkundentarif für alle BürgerInnen, somit keine Privilegierung der Großunternehmen. Das Geld, das die Stadt für den Bau einer neuen Handballhalle ausgeben will, muss für soziale Zwecke eingesetzt werden. Eine Handballhalle für einen Profi-Handball-Club braucht keine allein erziehende Mutter oder eine Rentnerin mit Schmalspurrente.

Frage: Wir brauchen mehr Arbeitsplätze, tönt es aus dem Rathaus von allen Parteien. Nur schallt damit gleichzeitig der Ruf nach mehr Gewerbegebieten, also mehr Zerstörung von grünen Naherholungsgebieten und wertvollem Ackerland. Was habt ihr denn da zu bieten?

Johannes Pöhlmann: In Erlangen haben wir fast mehr Arbeitsplätze als Einwohner. 64 000 Menschen fahren jeden Morgen aus dem Umland in die Stadt. Wir brauchen mehr Arbeitsplätze in der gesamten Region, insbesondere in Nürnberg und Fürth. Erlangen hat sich unter Balleis auf Kosten der Nachbarstädte die Butter vom Brot geholt. Jetzt ist man Opfer seines „Erfolgs“ und hat eine riesige Wohnungsnot. Wir brauchen keine weiteren Gewerbegebiete. Wir müssen die vorhandenen Gewerbegebiete besser nutzen, d. h. mehrstöckige Bebauung und keine flugfeldgroßen Parkplätze mehr. Wir wollen die wenigen Freiflächen erhalten, die wir in Erlangen noch haben. So am Geisberg in Frauenaurach – für die Naherholung der Menschen. Die Stadt gibt eine „Direktvermarkter“-Broschüre heraus und will gleichzeitig den stadtnah produzierenden Bauern die Äcker wegnehmen – welch ein Widersinn!

Frage: Ihr seid nur zwei im Stadtrat, du und Anton Salzbrunn. Damit seid ihr nicht einmal eine Fraktion, habt also entschieden weniger Rechte als die anderen Stadtratsparteien und -gruppen. Wie wirkt sich das auf eure Arbeit aus und was könnt ihr trotzdem erreichen? Hat es sich gelohnt, euch in den Stadtrat zu wählen?

Johannes Pöhlmann: Wir haben kein Stimmrecht in den Ausschüssen. Das ist undemokratisch. Wir erfahren nicht, was z. B. bei der GeWoBau oder den Stadtwerken passiert. Wir können aber in den Ausschüssen unseren Standpunkt klar machen. Unsere Arbeit zeigt Wirkung. So werden unsere Anträge zwar erst einmal abgelehnt, tauchen dann nach einer Schamfrist teilweise als Anträge von SPD und Grüner Liste wieder auf. Niemand außer uns bringt die sozialen Probleme dieser Stadt im Stadtrat so deutlich auf den Punkt. Wir sind die einzigen Stadträte, die eine klare gewerkschaftliche Position im Stadtrat vertreten. Wir können und wollen das eigenständige politische Handeln aktiver BürgerInnen und Gruppen nicht ersetzen, sondern bieten an, ihre politische Arbeit und ihre Kämpfe im Stadtrat zu unterstützten. Dieses Wahlversprechen haben wir eingelöst. Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, uns in den Stadtrat zu wählen.

gekürzt aus: „Erlanger Rot“,

Zeitung der DKP Erlangen, November 2015

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"„Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, uns in den Stadtrat zu wählen“", UZ vom 27. November 2015



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