Fleischer mussten früher aus der Quarantäne. Whistleblower soll mundtot gemacht werden

Extrawurst für Tönnies

Am 8. Februar berichtete die SDAJ über Sonderregelungen zu den Quarantänebestimmungen bei Tönnies: In Absprache mit dem Kreis Gütersloh hatte sich der Lebensmittelkonzern einen Vorteil verschafft, indem seine Arbeiter­innen und Arbeiter früher aus der Quarantäne entlassen werden durften. UZ sprach mit Jens Müller (Name von der Redaktion geändert), dem Whistle­blower.

UZ: Die SDAJ hat in einer Stellungnahme behauptet, dass mit Corona infizierte Beschäftigte des Fleischkonzerns Tönnies frühzeitig wieder aus der Quarantäne freigetestet werden können, damit sie schnell wieder in der Produktion einsetzbar sind. Auch der „WDR“ hat darüber berichtet und dich dazu interviewt. Grundlage soll eine Sonderregelung beim Gesundheitsamt im Kreis Gütersloh gewesen sein. Wie sah diese aus?

Jens Müller: Das sah so aus: Wenn ein Mitarbeiter bei Tönnies mit einem PCR-Test positiv getestet wurde, dann konnte dieser Mitarbeiter, wenn er einen hohen CT-Wert hatte und geimpft/genesen sowie symptomfrei war, nach 48 Stunden erneut einen PCR-Test machen. Der zweite Test wurde dann vom Kreis Gütersloh durchgeführt. War der zweite Test dann negativ oder wieder positiv mit hohem CT-Wert war, wurde der Mitarbeiter frühzeitig aus der Quarantäne entlassen.

UZ: Die Verordnung des Landes sieht eine Quarantäne von zehn Tagen vor mit der Möglichkeit, sich nach sieben Tagen freizutesten. Auch Ulf Dittmer, Virologe am Uniklinikum Essen, sagte im „WDR“, ein Freitesten nach nur zwei Tagen sei „zu früh“. Der Kreis Gütersloh behauptet, es sei im Einzelfall und medizinisch entschieden worden, ob jemand aus der Quarantäne entlassen werden kann. Auf welcher Grundlage sind diese Entscheidungen bei euch im Gesundheitsamt getroffen worden und wer hat sie getroffen?

Jens Müller: Die Grundlage muss eine Absprache zwischen Tönnies und dem Kreis gewesen sein. Schaut man sich nämlich beispielsweise die Richtlinien des RKI an, sieht man, dass es keine Indikation für eine so frühe Freitestung gibt. Das wurde einfach entschieden und den Mitarbeitern beim Gesundheitsamt so kommuniziert. Die Behauptung des Kreises im Nachhinein, dass man sich auf restpositive Fälle beziehe, das heißt auf Leute, die erst kurz vorher Corona hatten, ist falsch. Das wurde bei keinem einzigen Fall überprüft. Es wurde nie geguckt, ob diese Mitarbeiter schon mal Corona hatten. Wir mussten für die Tönnies-Fälle auch keine Rücksprache mit einem Arzt halten, sondern konnten sie wie oben beschrieben selbst bearbeiten und entlassen.

UZ: Wie seid ihr denn darauf gekommen, dass da Murks gemacht wird?

Jens Müller: Ich arbeite im Gesundheitsamt, in dem das so gehandhabt wurde. Eigentlich war es eine ganz normale Anweisung von den oberen Etagen im Gesundheitsamt, die an alle Mitarbeiter weitergegeben wurde. Es wurde so getan, als wäre das was ganz Normales, dass man Tönnies-Mitarbeiter schon nach zwei Tagen wieder aus der Quarantäne entlassen kann. Als ich das gelesen hatte, habe ich mich gewundert. Ich habe mich an die SDAJ gewandt, weil ich die in meinem Umfeld schon erlebt habe als eine Organisation, die einen bei so etwas unterstützt. Im Gespräch ist uns dann aufgefallen, dass das eine ziemlich große Schweinerei ist, die da passiert. Die SDAJ hat mich dann über mögliche Repressionen und die weiteren Schritte beraten, das Ganze veröffentlicht und sich an die Presse gewandt.

UZ: Die Kapazitäten, um PCR-Tests durchzuführen, waren und sind in Deutschland knapp. Sieht es in Gütersloh anders aus oder wie war es möglich, dass mobile Teams diese Tests überhaupt durchführen?

Jens Müller: Das ist eine gute Frage, weil die mobilen Teamkapazitäten vor dieser Regelung Ende Dezember/Anfang Januar unfassbar knapp waren. Aber plötzlich gab es diese Kapazitäten für Tönnies-Mitarbeiter – ausschließlich für die und für niemanden sonst. Das wurde einfach so entschieden, dass die Tönnies-Mitarbeiter nach zwei Tagen erneut zu testen sind, um sie aus der Quarantäne freizubekommen. Gleichzeitig war es ja so, dass zur gleichen Zeit die Möglichkeiten, an einen PCR-Test zu kommen, massiv abgebaut wurden.

UZ: Weiß man auch, wie das abgelaufen ist, wo die Absprachen getroffen worden sind?

Jens Müller: Man kann, denke ich, sagen, dass es wahrscheinlich nicht vom Gesundheitsamt direkt mit Tönnies ausgemacht wurde, sondern von der Ebene darüber. Unter uns Mitarbeitern wurde auch sofort Unmut über diese Anweisung laut. Wir haben uns verarscht gefühlt, nachdem wir zwei Jahre gegen die Pandemie gekämpft haben und plötzlich gab es eine Extrawurst für Tönnies, bei der es nicht um Schutz geht, sondern die Beschäftigten sogar gefährdet werden. Auch die Teamleitungen bei den einzelnen Teams im Corona-Management waren ziemlich unzufrieden mit dieser Regelung. Ich denke, es ging einfach darum, dass Tönnies nicht schließen muss, dass der Profit aufrechtgehalten werden kann. Der Kreis hat dafür dann die Sonderregel für das Unternehmen gemacht.

UZ: Habt ihr Reaktionen auf die Veröffentlichung bekommen?

Jens Müller: Der „WDR“-Bericht hat große Wellen geschlagen. Was dazu geführt hat, dass es Drohungen gegen mich als Informanten gab. Der Landrat sagte gegenüber den Medien, dass man die entsprechende Person finden wolle. Es ging auch eine Mail an alle Mitarbeiter im Kreis, wo von Sanktionen für die Verletzung der Schweigepflicht die Rede war. Wir haben aber auch viel Solidarität erfahren, die zeigt, dass es richtig und wichtig war, solche Dinge öffentlich zu machen.


Kreis Gütersloh reagiert mit Repression
Pressemitteilung der SDAJ: Politik will Tönnies-Whistleblower mundtot machen
In Absprache mit dem Kreis Gütersloh hatte Tönnies sich einen Vorteil verschafft, indem spezifische MitarbeiterInnen früher aus der Quarantäne entlassen werden durften, als es die eigentlichen Quarantäneregelungen vorsahen. Bewusst wurden hier die Profite des Großkonzerns über die Gesundheit der Menschen gestellt.
Wir als SDAJ haben diesen Skandal aufdecken können. Vor einigen Wochen wandte sich ein Mitarbeiter/eine Mitarbeiterin des Kreises Gütersloh an uns. Gemeinsam mit der Kontaktperson haben wir weitere Nachforschungen angestellt, uns mit fortschrittlichen Anwälten beraten und Dokumente ausgewertet. Wir entschlossen uns in Absprache mit der Kontaktperson, die vorläufigen Rechercheergebnisse dem „WDR“ zur Verfügung zu stellen, damit dieser Skandal publik gemacht wird.
Der „WDR“ stieß auf weitere Ungereimtheiten in den Behauptungen des Kreis Gütersloh und von Tönnies. Statt wie für den Rest der Bevölkerung nach sieben Tagen, war im Januar bei manchen MitarbeiterInnen von Tönnies eine Freitestung schon am zweiten Tag der Quarantäne möglich. Das NRW-Gesundheitsministerium wusste laut eigener Stellungnahme darüber Bescheid.
Nun reagiert der Kreis Gütersloh mit Repression gegenüber den Beschäftigten. Der CDU-Landrat Adenauer verschickte eine Mail an alle MitarbeiterInnen, erinnerte an deren „Schweigepflicht‘‘ und kündigte Sanktionen an. In einer Stellungnahme drohte er damit, dass die Person ausfindig gemacht werden würde und dies arbeitsrechtliche Konsequenzen für den/die MitarbeiterIn nach sich ziehen würde.
Was hier versucht wird, ist mal wieder ein gutes Beispiel für die Abwälzung der Lasten der Wirtschaftskrise auf die Beschäftigten. Absprachen zwischen der Politik und der Wirtschaft, die die Gesundheit der Beschäftigten riskieren, sollten nicht an die Öffentlichkeit gelangen – die Reaktion bei einem solchen Skandal ist nicht etwa eine Wiedergutmachung oder die Pflicht, ein solches Verhalten in Zukunft nicht zu dulden, sondern eine Bestrafung für die Person, die nicht hinnehmen möchte, dass die Gesundheit der Beschäftigten unter der Politik der Landesregierung NRW, des Kreises und des Großkonzerns Tönnies leidet.
Als SDAJ stehen wir hinter dem/der InformantIn, lehnen jegliche Repression gegenüber den Beschäftigten ab und kämpfen weiter für demokratische Mitbestimmung und die Rechte der Beschäftigten!


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"Extrawurst für Tönnies", UZ vom 4. März 2022



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