Annette Lehnigk-Emden und der deutsche Militarismus sind untrennbar miteinander verbunden. Das zeigt schon der Familienname: Weil ihr Großvater im Ersten Weltkrieg auf dem Kreuzer „SMS Emden“ diente, führt die Familie bis heute den Namenszusatz „-Emden“. Um die Fortsetzung der Familientradition bemüht, wurde Lehnigk-Emden im April 2023 zur Präsidentin des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) ernannt – und ist seitdem mit der Beschaffung des notwendigen Gerätes für den nächsten großen Krieg betraut.
Ein herausfordernder Job, weiß Lehnigk-Emden. Es heiße oft, „wir seien zu langsam, zu teuer, zu unwirtschaftlich“, sagte die Präsidentin gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ). Das sei wie beim Fußball, „da haben wir auch 80 Millionen Bundestrainer in Deutschland“. Dabei hätten sich die Kritiker „allerdings noch nie mit dem komplexen Beschaffungsprozess beschäftigt“. Zwischen den Zeilen lässt sich herauslesen, was die Bundeswehr-Beschaffer am meisten stört: Bürokratie, zu viele Vorschriften und ein vermeintliches Übermaß an demokratischer Einflussnahme.
Geht es nach Lehnigk-Emden, soll die Grenze, ab der der Haushaltsausschuss des Bundestags über militärische Anschaffungen entscheidet, von derzeit 25 Millionen Euro auf 200 Millionen Euro angehoben werden. Damit der Ausbau der Kriegswirtschaft gelingt, sollen auch die Einflussmöglichkeiten der Kommunen sowie Umweltstandards beschnitten werden. „Sagen wir, einer unserer Panzerhersteller möchte eine neue Halle mit einer Fertigungsstraße bauen“, dann könne es passieren, „dass sich diese Genehmigung verzögert, weil auf dem fraglichen Grundstück eine vom Aussterben bedrohte Tierart gesichtet wurde“. Doch „angesichts der Weltlage“ müsse man sich überlegen, „ob wir uns diese Hindernisse noch leisten können“, so Lehnigk-Emden, die außerdem Justiziarin des Landesvorstandes des BUND in Rheinland-Pfalz und Autorin der Zeitschrift „Naturschutz und Landschaftsplanung“ ist.
Hindernisse für die Kriegsvorbereitung aus dem Weg räumen – das will auch die Bundesregierung. In Kürze soll das „Gesetz zur beschleunigten Planung und Beschaffung für die Bundeswehr“ (Beschaffungsbeschleunigungsgesetz) im Bundestag beschlossen werden. Der Aufbau der Kriegswirtschaft soll erheblich vereinfacht werden: Ausschreibungen werden begrenzt, Unternehmen (etwa aus anderen Staaten) sollen leichter beauftragt oder ausgeschlossen werden können. Aber auch die Kommunen werden an die kurze Leine genommen. Die Planungshoheit der Städte und Gemeinden soll zwar weiterhin bestehen, aber nur dann in vollem Umfang, wenn die Kriegstüchtigkeit nicht in Gefahr gerät. Treffen kommunale Planungen – etwa für ein Wohngebiet – auf das Bedürfnis eines Rüstungskonzerns, soll künftig eine Abwägung zwischen staatlichem Rüstungsinteresse und den kommunalen Absichten stattfinden. Wie die ausgeht, ist indes schon klar: „Im neuen Beschaffungsbeschleunigungsgesetz steht, dass die Interessen der Bundesrepublik bei einer solchen Abwägung vorgehen“, erläutert Lehnigk-Emden in der NOZ.
Viel zu entscheiden gibt es vor Ort also bald nicht mehr. Gebraucht werden die Städte und Gemeinden trotzdem. Schließlich werden sie eine Schlüsselrolle übernehmen, wenn die NATO-Drehscheibe Deutschland den Transit von 800.000 Soldaten an die Ostfront ermöglichen soll. Die genauen Aufgaben werden im geheimen „Operationsplan Deutschland“ festgehalten. Schon seit Monaten laufen Konsultationen zwischen Kommunen und Bundeswehr, um die Kriegsvorbereitungen zu konkretisieren. Allein in Schleswig-Holstein wurden in diesem Jahr bereits 1.000 Einzelgespräche geführt, wie der NDR berichtet.
Die genauen Themen dieser Gespräche werden nicht veröffentlicht. Die Rechercheplattform „Correctiv“ hat dennoch einige Leitfragen ans Licht gebracht. Mehrere Bürgermeister und Landräte schilderten demnach, dass über kritische Infrastrukturen und deren Schutz – etwa vor Saboteuren – gesprochen wurde. Weiterhin geht es um Bunker, Zivilschutzanlagen und Evakuierungspläne. Sammelplätze und Routen für zehntausende Binnenflüchtlinge werden geplant. In den Rathäusern sollen geheime Gremien reaktiviert werden, die schon in Zeiten des Kalten Krieges den Kontakt zu NATO und Bundeswehr hielten.
Ebenfalls Thema ist die Bereitstellung von medizinischer und logistischer Infrastruktur für den Krieg sowie der Umgang mit möglichen Friedensprotesten im Landesinneren. So warnt Michael Giss, Chef des Landeskommandos Baden-Württemberg, gegenüber dem „Staatsanzeiger“ vor einem Szenario, in dem die Kriegsvorbereitung auf Widerstände stößt: „Wir leben dann zwar immer noch im Frieden, es wird noch nicht geschossen, aber so manche Autobahn und Bundesstraße wird voll sein. Es werden durch hybride Gegneraktionen Lieferketten gestört, es wird Fake News geben, es werden Leute auf der Straße Krawall machen.“ Die Hauptverantwortung, diese Situation vorzubereiten, sieht er bei Bund, Ländern und Kommunen. Noch könne man „unaufgeregt die Leute schon mal mit ins Boot nehmen“. Was mit denen passiert, die nicht mit auf große Fahrt gehen wollen, lässt er offen.