Bei den Manövern „Steadfast Defender“ und „Quadriga“ wird der große Marsch gen ­Russland vorbereitet. Auch die deutsche Bevölkerung soll in Weltkriegsstimmung kommen

Endzeit auf Probe

Mehr als 90.000 Soldaten, 50 Kriegsschiffe und mehrere Staffeln von Kampfflugzeugen werden in den nächsten Wochen im Einsatz sein, um das größte NATO-Manöver seit Ende des Kalten Krieges in Europa durchzuführen. „Steadfast Defender“ heißt die Simulation, bei der der Krieg gegen eine von Russland angeführte Koalition geübt wird.

„Wir werfen alle Kräfte, die wir in Übungen testen, in die schiere Wirklichkeit“, sagte Bundeswehr-Brigadegeneral Gunnar Brügner im vergangenen Jahr der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ). Deswegen ist alles echt: die Karten, die Grenzverläufe und die Geodaten, die für Ziel­übungen verwendet werden. Längst wird kein Hehl mehr daraus gemacht, gegen wen hier Gefechtsbereitschaft aufgebaut wird: Russland, Belarus und die Exklave Kaliningrad tauchen in einem Manöver-Flyer der Bundeswehr als rot markierte Flächen auf, denen die (blaugefärbten) NATO-Truppen entgegengeworfen werden. Im Laufe des Manövers wollen die NATO-Armeen bis an die Ostflanken des Bündnisses vorrücken, sollen dort die Panzer rollen, wo auch im Ernstfall die Schlachtfelder vermutet werden.

Deutschland wird während des Manövers erneut als Drehscheibe für Truppen, Waffen und Logistik dienen. Doch der nach einer „Führungsrolle“ innerhalb der NATO greifende deutsche Imperialismus hat größere Pläne. Mehr als 12.000 Bundeswehrsoldaten sollen mobilisiert werden, um mit „Quadriga 2024“ ein eigenes Manöver unter dem Dach von „Steadfast Defender“ durchzuführen. Der Name spielt laut Bundeswehraussagen auf die Quadriga-Skulptur auf dem Brandenburger Tor an, die für „Freiheit, Einigung und Stärke“ stehe. Weniger kitschig, dafür aber mit bewusster Doppeldeutigkeit heißt es beim Deutschen Bundeswehr-Verband, dass das Manöver „dem Neulernen von Fähigkeiten, die wir in der Vergangenheit schon hatten“, dienen soll.

Mit „Quadriga“ will Deutschland einen „signifikanten Beitrag zur Abschreckung an der Ostflanke der Allianz“ leisten, wie die Bundeswehr auf ihrer Homepage schreibt. Von Februar bis Ende Mai wird die schnelle Verlegung von Truppen nach Osten geprobt. Die Transporte werden „in der deutschen Öffentlichkeit für alle Bürgerinnen und Bürger sichtbar“ sein, erklärt die Bundeswehr. Dass das auch ein Beitrag zur gewünschten Kriegstüchtigkeit der deutschen Bevölkerung sein soll, weiß der Bundeswehr-Verband, der von einer „Zeitenwende zum Anfassen“ spricht. Insbesondere in Ostdeutschland sollen Züge mit Panzern und Militärkonvois auf den Autobahnen in dieser Zeit zum Alltag gehören. Als „Übungshöhepunkt“ wird die 10. Panzerdivision in Litauen „die Verlegung und den geschlossenen mechanisierten Einsatz mit Kampf- und Schützenpanzern üben“.

Was tatsächlich geübt wird, müsste allen klar sein, die eifrig die „Zeitenwende“-Trommel rühren. Es geht um nicht weniger als die vollständige Zerstörung Europas. Nichts wird von denen übrigbleiben, die da marschieren oder im Panzer gen Osten fahren. Nichts von denen, die die Bundeswehr als kriegstüchtige Zuschauer am Straßenrand gewinnen will. Käme es zu einem Krieg mit Russland, es lohnt nicht aufzuzählen, was hierzulande intakt bliebe. Die deutsche Führungsrolle in der NATO, sie wäre im Ernstfall ein kurzes Vergnügen. Ein solches Szenario bereitet nur vor, wer die totale Eskalation für beherrschbar und den Feldzug für gewinnbar hält. Seit Jahren tüfteln US-Strategen an den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten eines „begrenzten Atomkriegs“. Diese Überlegungen fanden sich auch in der US-Nukleardoktrin 2018 wieder. Bei einem großen Krieg ohne gegenseitige Vernichtung der Großmächte wäre jedoch Europa das Schlachtfeld.

So ist es nur folgerichtig, dass die Manöver-Verbände der Bundeswehr zwar formal unter deutschem Kommando stehen, die „eigentliche militärische Operationsführung“ aber bei der NATO liegt, wie das Reservistenmagazin „loyal“ berichtete. Kommandos aus der Heimat wären ohnehin nicht mehr zu erwarten, wenn das Übungsszenario Realität wird.

Über den Autor

Vincent Cziesla, Jahrgang 1988, ist seit dem Jahr 2023 Redakteur für das Ressort „Politik“. Der UZ ist er schon seit Jahren als Autor und Verfasser der „Kommunalpolitischen Kolumne“ verbunden. Während eines Praktikums lernte er die Arbeit in der Redaktion kennen und schätzen.

Cziesla ist Mitglied des Neusser Stadtrates und war von 2014 bis 2022 als hauptamtlicher Fraktionsgeschäftsführer der Linksfraktion in Neuss beschäftigt. Nebenberuflich arbeitet er in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Behinderung.

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"Endzeit auf Probe", UZ vom 26. Januar 2024



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