Vielstimmig: „Sleep Society“ von While She Sleeps

Gegen das Bezahlsystem

Fangemeinden sind Alternativwelten. Ob die sich zur Einheit schminkende „Kiss Army“ oder die Fans von Manowar, die als monotheistische Glaubensgemeinschaft den Metal, den ihrer Meinung nach einzig die Leder-Combo aus dem US-Bundesstaat New York verkörpert, in Internet-Diskussionen bis auf das letzte Wort verteidigt – sie alle sind so gesondert von der Realität und so für sich als mehr oder weniger homogene Masse alleingestellt wie die Musik reicht, die sie lieben. Wenn sie das Nietenarmband ablegen und die Schminke abtragen, wenn das zu diskutierende Thema nicht die Band ihrer Passion ist, dann verliert sich auch das gemeinsame Interesse als eines in Teilzeit. Dann ist wieder der eine der Vermieter, die andere die Mieterin und der, der auf dem Konzert noch crowdsurfte, der ist der Richter, der den Mietendeckel kippt.

Die Metalcore-Band „While She Sleeps“, 2006 im nordenglischen Sheffield gegründet, sucht den Bruch zwischen herrschenden Verhältnissen und Hobby-Weltflucht. Das hat ganz weltliche, ganz nachvollziehbare Gründe: Seit Jahren beanstandet die Band den Umstand, dass der Musikstreamingdienst Spotify zwar dabei geholfen hat, die aktuellste Musik immer und überall hörbar zu machen. In der prekären Lage von Kunstschaffenden haben solche Instanzen jedoch nur noch mehr dafür gesorgt, dass schon nicht mehr die Existenzangst grassiert, sondern schlicht die Einsicht darin, dass einem das herrschende System nicht zugestehen will, dass die Arbeit, die man tut, auch vergütet gehört. Wer eine Gitarre anfasst, tut das ja aus Lust am Spielen – wieso ihn dann noch dafür bezahlen? Dass die Logik spätestens dann aufhört, wenn das monetäre Perpetuum mobile Männerprofifußball um die Ecke kommt und um Impfbevorzugung und freies Reisen in einer Pandemie bittet, zeigt, dass es nicht etwa daran liegt, dass keine Mittel da sind.

Das Geld, das eine Band von Spotify erhält, ist erbärmlich. Bei einem Rekordumsatz des Konzerns von rund 7,88 Milliarden Euro im vergangenen Jahr wird jeder gestreamte Song mit 0,0036 Euro vergütet. Auch erfolgreiche Bands bieten sich bei dieser Gewinnbeteiligung für kaum mehr an als weltweit rezipierte Straßenmusiker, die für ihre Musik im Hut das Kupfergeld sammeln.

Im Vorlauf zu ihrem am letzten Freitag erschienenen fünften Studioalbum, „Sleep Society“, hielten „While She Sleeps“ vergangenen Oktober eine inszenierte Pressekonferenz ab, in der sie ein „neues Musikindustrie-Modell“ vorstellten. Verbunden damit ist der Aufruf, auf dem Spendenportal für Künstlerinnen und Künstler, Patreon, Mitglied der „Sleep Society“ zu werden. Die monatlich zahlenden Gesellschaftsmitglieder erhalten exklusive Inhalte, Erstkaufrecht auf Konzerttickets und Rabatte im Onlinestore der Band.

Wie bei einem Fußballfan, der Vereinsmitglied wird, wird damit die Verbindlichkeit handfester. Man hilft seiner Lieblingsband nicht nur durch Corona, sondern durch die Marktwirtschaft als solche. Das alles ist nachvollziehbar und es kommt nicht als Revolution daher, die es nicht ist und nicht sein will. Wer sich denn die 6 bis 24 Euro monatlich leisten kann, um sie für komplett einfallslose Extrainhalte und Vorzugsangebote auszugeben, braucht schließlich selbst erst einmal die Freiheit von drängendsten Existenzzwängen.

Das vorgeschlagene Musikindustrie-Modell basiert auf Mitleid. Künstlerinnen und Künstler bleiben damit an den Bettelhut und die, die in ihn hineinwerfen, gebunden.

Zum Album „Sleep Society“: So schläfrig ist es erwartbar nicht. „While She Sleeps“ sind das Gekonnteste, was der Metalcore derzeit zu bieten hat. So sehr sie in ihren vorangegangenen Alben ihre Mittel überbeansprucht hatten und die Songs vor lauter guter Ideen überliefen, ist „Sleep Society“ nicht nur ruhiger, ohne matt zu werden, sondern auch fokussierter. Zentral bleibt die findige Methode, möglichst wenig Zeilen von nur einem der fünf singen zu lassen. Der permanente Chor öffnet den gesellschaftlichen Raum, in dem erstritten werden muss, dass Musikschaffende von ihrer Arbeit leben können müssen.


While She Sleeps
Sleep Society
Universal Music 2021


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Über den Autor

Ken Merten (seit 1990) stammt aus Sachsen. Er hat in Dresden, Hildesheim und Havanna studiert. Seine Schwerpunkte sind die Literatur der Jetztzeit, Popkultur und Fragen von Klassenkampf und Ästhetik. 2024 erschien sein Debütroman „Ich glaube jetzt, dass das die Lösung ist“ im Berliner XS-Verlag.

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"Gegen das Bezahlsystem", UZ vom 23. April 2021



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