Warum die Forderung nach einem Brückenstrompreis richtig ist

Gegen Deindustrialisierung

Die Sanktionen im Wirtschaftskrieg gegen Russland wirken. Allerdings anders, als es sich die Verantwortlichen in Berlin vorgestellt haben. Statt Russland zu ruinieren, wie es Außenministerin Annalena Baerbock großspurig angekündigt hatte, gehen hierzulande in den Stahlwerken, Gießereien, Aluminiumwerken und anderen Betrieben der energieintensiven Branchen die Lichter aus.

Im europäischen Vergleich liegt Deutschland bei den Strompreisen an der Spitze. 2022 kostete eine Megawattstunde Industriestrom für Großverbraucher im Schnitt 386 Euro. 2020 lag der Preis im Jahresschnitt noch bei 84 Euro. Es droht der Verlust von hunderttausenden gut bezahlten, tariflich abgesicherten Arbeitsplätzen in gewerkschaftlich hoch organisierten Bereichen. Das Wegbrechen dieser „stärksten Bataillone“ der Gewerkschaftsbewegung hat wiederum fatale Folgen auf das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit – nicht nur in den betroffenen Branchen.

Die IG Metall hat daher auf ihrem Gewerkschaftstag in der vergangenen Woche ihre Forderung nach einem Brückenstrompreis erneuert. Dabei stößt die mitgliederstärkste DGB-Gewerkschaft nicht nur auf Zustimmung. In der politischen Linken sind auch Stimmen zu hören, die die Forderung nach einem vergünstigten Industriestrompreis als „Standortnationalismus“ und nach den „Corona-Hilfen, diversen Rettungspaketen und dem 200-Milliarden-Doppelwumms als eine weitere staatliche Subventionierung der Monopole“ bezeichnen.

Auch auf der anderen Seite der politischen Barrikade ist ein Brückenstrompreis umstritten. Während Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und die SPD-Fraktion dafür werben, lehnt ihn Finanzminister Christian Lindner (FDP) vehement ab. Auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich bislang zurückhaltend bis ablehnend geäußert.

Bei der strategischen Ausrichtung der IG Metall spielt hingegen die Sorge vor einer schleichenden weiteren Deindustrialisierung eine zentrale Rolle. Die Deindustrialisierungswelle in den 1970er und 1980er Jahren haben die Kolleginnen und Kollegen sicher nicht vergessen. Diese begann mit dem Steinkohlebergbau; fraß sich durch die Textilbranche und den Schiffbau und machte schließlich auch vor der Stahl-industrie nicht Halt. Den Höhe- und Endpunkt dieser Arbeitskämpfe markierte die Schließung des Stahlwerks in Duisburg-Rheinhausen im Winter 1987/1988.

Die Einführung eines Brückenstrompreises soll nun rund 30 Jahre später ein ähnliches Szenario verhindern. Bereits im August hatte sich die IG Metall daher gemeinsam mit dem DGB sowie den Gewerkschaften und Kapitalverbänden der energieintensiven Industrien zur „Allianz pro Brückenstrompreis“ zusammengeschlossen, die insgesamt mehr als 1,1 Millionen Beschäftigte in über 8.000 Unternehmen vertreten. Die Allianz fordert von der Bundesregierung, dass sie aktiv in den Energiemarkt eingreift und den Strompreis für bestimmte Unternehmen bei einer vorab festgelegten Höhe deckelt. Geht es nach der IG Metall, soll der Industriestrompreis dann 5 Cent pro Kilowattstunde betragen.

Das Geld vom Staat sollen die Unternehmen nach Auffassung der Gewerkschaft jedoch nicht ohne Gegenleistung erhalten. Wer die Förderung bekommt, müsse sich zu Investitionen in den Umbau der eigenen Produktion verpflichten. Betriebsräte und zuständige Gewerkschaften seien eng einzubeziehen und Vereinbarungen zur Beschäftigungssicherung auszuhandeln. Der Brückenstrompreis sollen zudem auf die energieintensiven Branchen, etwa auf Stahlwerke, Gießereien, Aluminiumhersteller beschränkt bleiben.

Dass eine solche Strukturpolitik – anders als zuvor die bedingungslose Ausschüttung von Steuergeldern an die großen Konzerne – nicht auf die Zustimmung aller Kapitalfraktionen und die eines wirtschaftsliberalen Finanzminister stoßen, verwundert nicht. Diese Vertreter der herrschenden Klasse setzen angesichts solcher „staatlichen Bevormundung“ dann lieber auf ein Akkumulationsmodell, wie man es seit den 1980er Jahren auch aus Britannien kennt: Zerschlagung der industriellen Kerne und Stärkung der Finanzmärkte.

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"Gegen Deindustrialisierung", UZ vom 3. November 2023



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