Die Jahrestagung der Coordination gegen BAYER-Gefahren

Gegen Konzern-Macht anschreiben

Jan Pehrke

„Konzern-Macht unter der Lupe – 40 Jahre Stichwort BAYER“ – so lautete der Titel der diesjährigen Jahrestagung der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG), die am vergangenen Wochenende in Düsseldorf stattfand. Eine Selbstfeier war jedoch nicht angestrebt. Die CBG nahm den runden Geburtstag ihrer Zeitschrift vielmehr zum Anlass, auf der Veranstaltung allgemeiner über linke Medienstrategien zu diskutieren und dabei als Bezugsgröße auch den Gegenpol, die Meinungsmacht des Mainstreams, in den Blick zu nehmen.

Der langjährige „Stichwort“-Redakteur Jan Pehrke tat das am konkreten Beispiel der publizistischen Auseinandersetzung mit Bayer, die im Dezember 1983 ihren Ausgang nahm. Fünf Jahre nach ihrer Gründung dämmerte es der Coordination, dass Aktionen alleine nicht genügen, sondern es eines eigenen Organs bedarf, um sich Gehör zu verschaffen. Auf bescheidene acht Seiten brachte es der damalige „rundbrief“. Fotos gab es keine, und als Gestaltungsmittel mussten Schere, Kleber und Letraset dienen. So antiquiert das Erscheinungsbild aus heutiger Sicht wirkt, so gegenwärtig kommt das Heft daher, wenn es um den Inhalt geht, betonte Pehrke. Wasserverschmutzung, PCB, Menschenversuche in der Pharma-Forschung, Störfälle – diese Themen beschäftigen „Stichwort BAYER“ (SWB) noch immer, was ein Licht auch auf die Entwicklung – oder besser gesagt: Nicht-Entwicklung – der chemischen Industrie wirft.

Heutzutage hat SWB zumeist 32 Seiten und zudem mit dem „Ticker“ noch eine 12-seitige Beilage für Kurzmeldungen. Allein die Berichterstattung über die Aktionärsversammlungen nimmt regelmäßig fast ein ganzes Heft ein, während die Rest-Presse zumeist nur den Worten der jeweiligen Großen Vorsitzenden lauscht und sich ansonsten bloß für die Geschäftszahlen interessiert. Nicht ihre einzige Unterlassungssünde, aber ein besonders schlagendes Beispiel für die Pflege der journalistischen Landschaft durch BAYER. Mehr als 500 Beschäftigte setzt der Agro-Riese darauf an. Die Öffentlichkeitsarbeiter kümmern sich um den Aufbau exklusiver Journalisten-Zirkel, das Reputationsmanagement und die Schaffung von Informationskanälen wie dem Science Media Center, die wohlwollende Veröffentlichung über strittige wissenschaftliche Fragen zu Gentechnik, Glyphosat & Co. garantieren. Neben diesen „konstruktiven“ Maßnahmen steht dem Unternehmen noch ein ganzes Arsenal von destruktiven zur Verfügung, wenn es um die Ausschaltung von Konzern-Kritik geht. Sie reichen von Anzeigen-Entzug über Interventionen bei Redaktionen und Beschwerden beim Presserat bis hin zu Klagen, führte Pehrke aus.

Von solchen Klagen – zwar nicht von Bayer, aber unter anderem von DHL und der Bank Oppenheim – weiß der Kölner Journalist Werner Rügemer ein Lied zu singen. Er berichtete von 25 Versuchen, ihn mundtot zu machen. Fünf Mal zog er selbst vor Gericht, beispielsweise gegen den „Kölner Stadt-Anzeiger“ wegen Urheberrechtsverletzung und Rufschädigung, weil in seinen Artikel zum Abwassersystem der Stadt nicht weniger als 82 Eingriffe vorgenommen wurden. In den meisten Fällen bekam Rügemer Recht. Es erfuhr nur niemand. Still ruhte der Blätterwald.

Eigentlich blieben da schon kaum mehr Fragen zum kapitalistischen Strukturwandel der Öffentlichkeit offen, aber Werner Rügemer holte noch weiter aus und lieferte eine kleine Geschichte der Medien seit 1945. Während die kommunistischen Blätter umgehend ein Verbot ereilte, gewährten die Alliierten Publikationen wie „Spiegel“, „Stern“ und „Zeit“ großzügig Lizenzen, in deren Redaktionen es vor Alt-Nazis bald nur so wimmelte. Wenn eine Zeitung doch einmal leer ausging, weil sie es 1933ff zu arg getrieben hatte wie etwa die „Frankfurter Zeitung“, sorgten interessierte Unternehmer-Kreise für einen Neuanfang. Mittlerweile unterhält zum Beispiel Google solche „Medien-Partnerschaften“ mit FAZ, „Spiegel“ und „Zeit“. Die Medien in Deutschland sind „seit Beginn nicht der Wahrheit verpflichtet, sie sind im Prinzip den Kapital-Interessen verpflichtet“, so Rügemers Resümee. Eine eigene Medien-Präsenz, wie die CBG sie mit dem „Stichwort Bayer“ pflegt, ist deshalb seiner Ansicht nach unabdingbar.

Peter Nowak wählte ebenfalls einen persönlichen Einstieg. Er charakterisierte sich als einen der Anti-Atomkraftbewegung entstammenden Graswurzel-Journalisten, der sich an die Unparteilichkeit als Berufsethos nie gebunden fühlte. Eine Journalisten-Schule hat er nie von innen gesehen. Kein Manko in seinen Augen. Kollegen, die dort ihr Handwerk inklusive der Verpflichtung auf das Ideal der Objektivität lernten, fehle nämlich allzu oft der Zugang zu den Lebensrealitäten, was häufig zu unzutreffenden Einschätzungen führe.

Nähe stellt für ihn keine journalistische Grenzverletzung dar, im Gegenteil. Er plädierte dafür, sich als Schreiber zurückzunehmen und lediglich als Ermutiger und Lautsprecher zu fungieren – bis zur Selbstaufgabe. Als Spielarten dieser Formen der Gegenöffentlichkeit nannte er die Internet-Plattform „Indymedia“, die ihre Anfänge als Forum der globalisierungskritischen Bewegung nahm. Tierschützer, die in Ställe eindringen und Missstände auf Video dokumentieren, begriff er ebenfalls als Nachrichten-Produzenten. Nowak erinnerte auch an die in den 1970er Jahren entstandene betriebliche Gesundheitsbewegung, die in Fabriken hineinging und den Beschäftigten als Experten des Alltags ein Forum bot. Ein Problem mit der Wahrheit warf die Parteilichkeit Nowak zufolge nicht auf, mussten die Aktivisten um Wolfgang Hien doch stets juristische Schritte von Seiten der Firmenleitungen befürchten und entsprechend faktensicher agieren.

Über diese und viele weiteren Perspektiven debattierten die Jahrestagungsbesucher ebenso leidenschaftlich wie über die anderen Beiträge, so dass die Coordination gegen BAYER-Gefahren am Ende ein positives Fazit ihrer Veranstaltung ziehen konnte.

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