Von Bertolt Brecht lernen wir: die Widersprüche sind unsere Hoffnung. Nicht zuletzt aus dieser Überzeugung heraus freuen wir uns, wenn Menschen „in Widerspruch zu diesem System geraten“.
Wenn die Illusionen in den Kapitalismus im Allgemeinen oder den bürgerlichen Rechtsstaat im Besonderen zerbrechen, kann das für die Beteiligten ein durchaus schmerzhafter und schmerzhaft anzusehender Prozess sein. Wortwörtlich.
Am vergangenen Montag fand sich das allwöchentlich durch Nürnberg marschierende Häuflein Rechter direkt vor dem örtlichen Gewerkschaftshaus am Kornmarkt ein, um gegen die DGB-Gewerkschaften im Allgemeinen und eine Palästina-Veranstaltung im Besonderen zu demonstrieren. Auf rechter Seite kamen einige Dutzend Menschen mit Deutschland-, Israel- und PACE-Fahnen, die „Gott mit dir, du Land der Bayern“ abspielten. Auch die israelische Nationalhymne erfreute die Teilnehmer: „Diese Hymne berührt uns direkt in der Seele. Wer eine solche Nationalhymne hat, das können keine schlechten Menschen sein.“ Angriffskrieg hin, zehntausende tote Palästinenser her. Fascho„logik“ eben.

Am Rande der Veranstaltung ereignete sich folgende Szene: Ein junger Kollege geriet verbal mit einigen Rechten und der Polizei aneinander. Und er verstand die Welt nicht mehr. Immer wieder schleuderte er den Polizeikräften entgegen: „Wieso schützt ihr nur die Rechten? Seht ihr nicht, was in diesem Land los ist? Wir müssen uns doch dagegen wehren! Wir leben doch in einem Rechtsstaat, in einer Demokratie! Wieso knüppelt ihr uns weg, weil wir Nazis blockieren?“
Wir schützten zu diesem Zeitpunkt die Eingänge zum Gewerkschaftshaus, nahmen den Kollegen mit hinein, boten Wasser an und einen Platz zum Ausruhen. Und wechselten als Genossinnen und Genossen einige vielsagende Blicke: ja, es ist gut, wenn Menschen den repressiv-reaktionären, gegen sie gerichteten Charakter dieses bürgerlichen Staates erkennen. So hart das im Einzelfall auch sein mag, Erkenntnis tut manchmal weh. Aber wir sollten nie vergessen: angenehm ist diese Erfahrung in aller Regel nicht, sondern mit Wut, Angst, Ohnmacht und bisweilen Platzwunden durch stumpfe Gewalteinwirkung verbunden. Die Kunst besteht darin, in solchen Momenten an der Seite der Kolleginnen und Kollegen zu stehen und sie zu unterstützen. Mit Wasser, Kühlpacks und Erklärungsangeboten zum Charakter des bayrischen USK sowie des Staates, der es einsetzt.
Gleichzeitig war es richtig, dass wir das durch den ver.di-Fachbereich C an diesem Abend veranstaltete Bildungsangebot zu Palästina nicht abgesagt oder verlegt haben, nur weil vor unseren Eingängen einige Faschos aufmarschiert sind. Die Mischung macht’s: kein Zurückweichen vor Faschisten, weder auf der Straße, noch inhaltlich. In beiden Fällen zeigt der bürgerliche Staat durch seine Vertreter in der Regel sehr schnell und sehr deutlich, auf wessen Seite er steht – auf der anderen Seite der Barrikade. Es ist unsere Aufgabe, in möglichst vielen Auseinandersetzungen an der Seite der Kolleginnen und Kollegen zu stehen, die das erkennen.
Wie im Fall von Madelein. Eine Kollegin aus Ghana, die in der Altenpflege arbeitet. Sie ist gezwungen, alle zwei Jahre eine Verlängerung ihres Aufenthaltstitels zu beantragen. Neuerdings online. Sie hat das fristgerecht getan. Trotzdem wartet sie seit Wochen auf eine Bestätigung. Das brachte ihren Chef auf die verrückte Idee, er könne sie erst wieder zum Dienst einteilen, wenn das Dokument schriftlich vorliegt. Das ist rechtlich Quatsch. Madelein hat auch mehrfach angeboten, zum Dienst zu kommen. Weil der Chef rechtlich keine Ahnung hat, ließ er das nicht zu. Nun holte er sich das Gehalt, das die Kollegin im Monat ihrer „Null-Beschäftigung“ erhalten hat, kackdreist zurück. Ihr wurde einfach mit der nächsten Gehaltsabrechnung weniger Geld überwiesen. Auch Madelein fragte: „Wie kann so was nur sein? Ich dachte, Deutschland ist ein Rechtsstaat, ein guter Staat.“ Für lohnabhängige Migrantinnen und Migranten wohl eher nicht.