Von Taten und Zitaten

Gut gesprochen

Es gibt auch gute Fußballnachrichten. Sabine Töpperwien – erste Frau an einem Bundesligamikrofon – hört auf. Am 16. September 1989 kommentierte sie erstmals ein Spiel, und zwar das Lokalderby zwischen St. Pauli und dem HSV. Eine Revolution im Männergewerbe Profifußball. Das alles ist schön und gut und wichtig. Aber hätte der liebe Gott Sabine nicht eine Stimme geben können, bei der einem nicht die Fußnägel absterben? 35 Jahre lang grölt sie mitten durch das geschundene Kleinhirn: „Toooooooor in Dooooortmuuuuund!“, dass es ein Elend ist. Nun aber ist Ruhe in der „Bundesligakonferenz“ auf WDR 2 und wir können im Garten wieder Radio hören, ohne dass der Eisbergsalat vergilbt. Prima. Oder mit Stuart Pearce (Nationalspieler Englands) gesagt: „Ich kann die Karotte am Ende des Tunnels sehen.“ Gut gesprochen.

Der Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke, der Nazi Stephan Ernst, muss lebenslang ins Gefängnis. Die Richter stellen bei der Urteilsverkündung zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Damit dürfte der Täter auch nach seiner Haftstrafe nicht wieder freikommen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger als: Gut gesprochen.

Corona-Folgen. Das bereits dritte befreundete Paar hat sich getrennt – alleine im Januar 2021. Man betrinkt sich (verständlich), greift zum Telefon (irgendwie auch verständlich) und ruft … mich an! Guter Zuhörer, Single und Müllablageplatz negativer Emotionen. Argh. Nein, ich will es nicht hören und ich bekomme es doch erzählt, wer, warum, wann und mit wem. Und noch einen Schnaps und noch mal von vorn. Und am nächsten Morgen eine verkaterte WhatsApp-Nachricht: „Sorry, dass ich dich totgelabert habe.“ Ja danke. Ich halte es dann mal mit Oskar Maria Graf: „Man muss trinken, um alle Menschen lieben zu können.“ Gut gesprochen.

Freizeit. Keine Kneipe, kein Billard, kein wirklich gemeinsames Doppelkopf, maximal einmal pro Monat boulen draußen bei null Grad, es ist einfach zu kalt für Eisenkugeln. Das Verbliebene heißt spazieren gehen. Und so gehe ich mit der lieben A. die Straßen hoch, mit der netten S. die Straßen wieder runter, ohne Begleitung dann die Straßen längs und mit der lieben A. wieder alle quer. Manchmal wünschte man sich fast, dass etwas Aufregendes passiert, keine Ahnung, man wird überfallen oder so, aber es passiert rein gar nichts. Schlimm. Oder wie es ein „Influencer“ ausdrückt: „Jetzt draußen ein kleines Feuer machen und einen Podcast anhören, der mich nicht interessiert, damit ich nicht vergesse, wie es sich anfühlt, vor einem Club bei den Rauchern zugelabert zu werden.“ Gut gesprochen.

Borussia Dortmund, Daimler, Deutsche Bahn, Deutsche Bank und Volkswagen veröffentlichen mit dem Freundeskreis Yad Vashem eine gemeinsame Erklärung gegen Antisemitismus und Rassismus. Findet jemand die Fehler? Müssten so um die vier sein …

In den Niederlanden geht derweil ein Mob aus Corona-Leugnern auf Polizisten los, zündet Autos an und plündert Geschäfte. Unter ihnen: Viele bekannte Neonazis und Hooligans. Zwei Tage später patrouillieren Hooligans als eine Art Bürgerwehr zusammen mit der Polizei durch die Straßen von Tilburg und anderen holländischen Städten, gegen Randale und Plünderungen. Hooligans und die Polizei? Kaum zu fassen. Beschreiben lässt es sich vielleicht mit einem Zitat, das Albert Einstein in die Schuhe geschoben wird (er hat es wohl nie gesagt, aber das macht es ja nicht weniger schön): „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ Egal von wem jetzt: Gut gesprochen.

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"Gut gesprochen", UZ vom 5. Februar 2021



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