Der faschistische Mord an Süleyman Tasköprü Juli 2011

Hamburger Ungereimtheiten

Von Birgit Gärtner

Am 27. Juli 2001 wurde Süleyman Tasköprü im Obst- und Gemüseladen seines Vaters in Hamburg-Bahrenfeld mit drei Schüssen aus zwei verschiedenen Waffen, eine Ceská 83 sowie eine Bruni Modell 315, ermordet. Ali Tasköprü, der wegen einer Erledigung den Laden für etwa 30 Minuten verlassen hatte, fand seinen Sohn in einer Blutlache liegend vor. Bei der ersten Vernehmung sprach er von zwei jungen Deutschen, die er am Tatort gesehen habe. Im Laufe der Zeit war er sich dessen aber nicht mehr so sicher. Dieser möglichen Spur wurde nie nachgegangen.

Der Nationalsozialistische Untergrund und die Hamburger Nazi-Szene

Ziemlich schnell war klar, dass Tasköprü mit derselben Waffe ermordet wurde wie in Nürnberg der Blumenhändler Enver Simsek am 9. 9. 2000 und der Schneider Abdurrahim Özüdogru am 13. 6. 2001. Bei den beiden Taten in Franken war die Polizei von einem Auftragsmord im Rahmen eines Bandenkrieges im türkischen Milieu ausgegangen. Eine Beziehung der Opfer untereinander konnte nicht gefunden werden, stattdessen wurden Tasköprü Verbindungen ins Rotlichtmilieu angedichtet. Das schien den Fahndern in Hamburg nahe zu liegen, und auch die beiden Morde in Franken wurden schließlich damit erklärt.

Um die Jahrtausend-Wende war Hamburg eines der Zentren der bundesweiten Neo-Nazi-Szene. Kern dessen war der „Hamburger Sturm“, dem etwa 20 Mitglieder zugerechnet wurden. Das klingt nicht viel. Aber es handelt sich um eine illustre Gesellschaft mit einschlägig vorbestraften Mitgliedern:

  • H Christian Worch, heute Vorsitzender der Partei „Die Rechte“.
  • H Thomas Wulff, Fan von „Die Bandbreite“ und selbst der NPD zu rechts, weshalb diese versuchte, ihn aus der Partei ausschließen zu lassen.
  • H René Wulff, jüngerer Bruder von Thomas, der im Dezember 1985 an dem Überfall auf den Türken Ramazan Avci beteiligt war. Der damals 25jährige erlag den schweren Verletzungen, die René Wulff und seine „Kameraden“ ihm zugefügt hatten.
  • H Steffen Holthusen, Herausgeber der Zeitschrift „Hamburger Sturm“, in der der bewaffnete Kampf und der „Krieg“ gegen „Bullen und sonstige Feinde“ propagiert wurde.
  • H Torben Klebe, der u. a. Rechts-Rock-Konzerte organisierte, und dem das Verbot des Netzwerks „Blood & Honour“ persönlich zugestellt wurde.

Inzwischen ist bekannt, dass das so genannte „Trio“ des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) vom „Blood & Honour“-Netzwerk getragen wurde: Über diese Kontakte wurden Pässe, Wohnungen und Waffen besorgt sowie die existenzielle Absicherung zu einem nicht unerheblichen Teil geleistet.

Die Aktiven des „Hamburger Sturms“ gehörten zu den Stammgästen des berühmt-berüchtigten „Club 88“ in Neumünster, wo sich von 1996 bis 2014 die rechte Szene Schleswig-Holsteins, Niedersachsens und Hamburgs einfand. Darunter auch Neonazis aus Tostedt, zu denen u. a. Stefan Silar zählt, der 1991 für den Mord an dem ehemaligen Kapitän Gustav Schneeclaus verurteilt wurde.

Desweiteren gab es eine direkte Verbindung zwischen einem rassistischen Mord in Hamburg, bzw. einem der Verantwortlichen für einen Brandanschlag, und den beiden verstorbenen NSU-Tätern:

Am 22. August 1980 starben die beiden Vietnamesen Ngoc Nguyên und Anh Lân Dô bei einem Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim.Verantwortlich gemacht dafür wurden zwei Mitglieder der „Deutschen Aktionsgruppen (DA), denen Anfang 1982 in Stuttgart-Stammheim der Prozess gemacht wurde. Mit­angeklagt war Nazi-Anwalt Manfred Roeder, der nach Verbüßung seiner Haft 1996 in Erfurt erneut vor Gericht stand: er hatte mit anderen Neonazis die Tafeln der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ mit den Worten „Lüge“ und „Hetze“ besprüht. Regelmäßig besuchten bekannte Neonazis den Erfurter Prozess. Unter anderen entrollten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhard, Ralf Wohlleben und Andre Kapke im Gerichtsgebäude ein Transparent mit der Aufschrift „Unsere Großväter waren keine Verbrecher“.

Das alles – und noch viel mehr – wurde bei den Ermittlungen im Todesfalls Tasköprü ignoriert. Später lief die Hamburger SOKO allerdings ermittlungstechnisch sozusagen zur Höchstform auf: Es wurde ein männliches „Medium“ aus dem Iran eingeflogen, dem es angeblich gelang, mit dem Mordopfer im Jenseits Kontakt aufzunehmen. Diese Kaffeesatzleserei, wie die „Kritischen Polizisten“ das in einer Pressemitteilung nannten, wurde zwar nicht gerichtsrelevant, dennoch als Aktennotiz vermerkt.

Im Laufe des in München stattfindenden NSU-Prozesses wurde noch ein möglicher Grund genannt, weshalb die Aufklärung des NSU-Mordes 2001 in Hamburg möglicherweise vernachlässigt wurde: In der Hansestadt hatte der Kampf gegen den Terror nach dem 9. September 2011 Vorrang.

Demnach stellt sich die Frage, ob der Mord an Süleyman Tasköprü in Hamburg im Juli 2001 hätte aufgeklärt – und damit eventuell weitere Morde hätten verhindert werden können –, wenn mehr Beamte für die Ermittlungen in diesem Fall eingesetzt worden wären, statt sich auf 9/11 und die so genannte Terrorzelle um Mohammed Atta zu konzentrieren? Im Fall Tasköprü ermittelte streckenweise anscheinend nur ein Beamter, und der war laut Zeugenaussagen hoffnungslos überfordert.

Acht Parlamentarische Untersuchungsausschüsse (PUA) sind unterdessen im Zusammenhang mit dem NSU gegründet worden: auf Bundesebene, in Thüringen mittlerweile der zweite, in Sachsen, Bayern, Hessen, NRW und Baden-Württemberg. Nur in Mecklenburg-Vorpommern, wo es ebenfalls einen vom NSU verübten Mord gab, und in Hamburg nicht. „Die Linke“ und ver.di Hamburg fordern einen solchen PUA auch für die Hansestadt. „Die Linke“ bringt für die Bürgerschaftssitzung am 8./9. Juli 2015 einen entsprechenden Antrag ein.

Christiane Schneider, innenpolitische Sprecherin der Hamburger Linksfraktion, begründet diese Forderung folgendermaßen: „Natürlich drängt sich auch für Hamburg die Frage auf, ob und welche Erkenntnisse zur Herausbildung eines bundesweiten UnterstützerInnennetzwerkes des ‚Nationalsozialistischen Untergrundes‘ sowie dessen Verbindung zum ‚Blood & Honour‘-Netzwerk Hamburger Justiz- und Sicherheitsbehörden und ihre V-Leute haben.“

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"Hamburger Ungereimtheiten", UZ vom 3. Juli 2015



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