Der Aufrüstungs- und Kriegskurs der Bundesregierung trifft junge Menschen besonders. Ihnen droht, zum Kriegsdienst eingezogen zu werden, bevor ihr Leben richtig losgeht. Die Militarisierung trifft auch Schulen und Ausbildungsstätten. Emma und Vincent von der ver.di-Jugend Stuttgart haben in ihrem Redebeitrag auf der Friedensdemonstration am 3. Oktober in Stuttgart über ihre Erfahrungen berichtet – und darüber, wie wir Gegenwehr organisieren können. Wir dokumentieren ihre Rede in voller Länge.
Emma:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
es freut mich, dass wir heute so viele sind. Aber mal ehrlich, wie kann es sein, dass wir so lange gebraucht haben, uns hier zu versammeln, wo doch vor aller unserer Augen Kriegsvorbereitungen stattfinden? Während Milliarden in die Rüstungsindustrie fließen, werden wir im Öffentlichen Dienst darauf eingestimmt, wieder für Deutschland Krieg zu führen und unseren Teil beizutragen. Und wie sieht das konkret aus? Die Hamburger Agentur für Arbeit hat im Rahmen des Bundeswehrmanövers „Red Storm Bravo“ geübt, wie das Arbeitskräftesicherstellungsgesetz eingesetzt werden kann. Heißt im Klartext, es wird geprobt, wie man uns im Ernstfall zwangsverpflichten kann.
Liebe Kollegen, das ist ein Notstandsgesetz, gegen das schon die 68er-Bewegung gekämpft hat.
Und ich sage, wenn die damals aufgestanden sind, dann müssen wir das heute erst recht tun. Gerade im Gesundheitswesen trifft es uns besonders. Ich wurde als Auszubildende in der Pflege gefragt, ob ich bereit wäre, Soldaten im Ausland zu versorgen. Als Studie getarnt. Kollegen berichten, dass die Bundeswehr schon in Notaufnahmen auftaucht, um die Kapazitäten zu checken. Und wofür? Für Szenarien, in denen bis zu 1.000 Verletzte am Tag erwartet werden, wenn der Krieg in der Ukraine zum Bündnisfall eskaliert. Aber schon heute wissen wir: Patienten in unseren Kliniken werden nicht angemessen versorgt. Im Kriegsfall wird klar, wer dann auf der Strecke bleibt. Unsere Patienten, unsere Kollegen, unsere Familien. Und während wir sparen sollen, werden 86 Milliarden Euro für den Verteidigungshaushalt rausgehauen. Es ist wie damals mit dem Taschengeld. Man kann den Euro nur einmal ausgeben, entweder für Kanonen oder für Krankenhäuser. Die Reichen und die Regierung haben sich entschieden – gegen uns.
Doch wie kam es dazu?
Vincent:
Die Misere hat 2022 begonnen, als die Bundesregierung über Nacht den wichtigsten Energielieferanten, Russland, zum Feind und damit den eigenen Wohlstand auch für verzichtbar erklärt hat. Die Folgen sehen wir, spüren wir am eigenen Leib: Dauerrezession, steigende Preise und eine kaputte Wirtschaft. Die Strategie dahinter, Russland mit Sanktionen und Waffen zu besiegen, ist gescheitert. Frau Baerbock sagte damals noch, „Wir müssen Russland ruinieren“. Doch ich frage euch, wessen Wirtschaft ist inzwischen ruiniert? Die russische oder unsere? Eins ist ganz sicher, die ukrainische Wirtschaft ist zerstört. Zerstörte Städte, Zehntausende Tote, Millionen Geflüchtete. Und unsere Betriebe hier, unsere Kollegen zahlen für die steigenden Energiekosten immer mehr mit ihren Jobs. Und was haben wir als Gewerkschaft dagegen gemacht? Hier und da ein paar warme Worte, ein paar Resolutionen, ansonsten gähnendes Schweigen.
Keine klare Ansage gegen das größte Aufrüstungsprogramm seit dem deutschen Faschismus. Ich höre hier Widerrufe, und es stimmt, es gab vereinzelt durchaus Lichtblicke. Vereinzelt wurde auch während einer Tarifrunde als Beispiel der Zusammenhang zwischen Aufrüstung und Sozialabbau benannt. Und auch heute sind wir hier und benennen diesen Zusammenhang. Aber es war noch nicht genug, und das war jedes Mal ein Ringen mit den eigenen Reihen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Ringen lohnt sich. Und es ist bitter notwendig. Denn gerade wir müssen doch auch die entscheidende Frage stellen: Im Interesse welcher Klasse wird dieser Krieg geführt? Kriege werden nie für uns und unsere Kollegen geführt. Sie werden aber von uns Arbeitern geführt, den einfachen Leuten bezahlt. Und sie werden für die Profite des Kapitals geführt. Uns erzählt man dann aber, wir würden hier für die Freiheit der Demokratie kämpfen.
Aber jetzt nochmal genau hingeschaut: Wessen Freiheit ist denn das? Ist das die Freiheit von den Milliardären, dass sie, ich sag‘s jetzt einfach mal so, drei Jachten besitzen, während Rentner Pfandflaschen sammeln müssen? Ist das die Freiheit, dass wir uns kaputtarbeiten, während sie von unserer Arbeitskraft in Saus und Braus leben können und obendrein andere Länder in den Krieg ziehen und uns alle ins Elend stürzen können? Das, was ich eben beschrieben habe, ist nicht unsere Freiheit. Das ist ihre Freiheit. Und für diese Freiheit will und werde ich keinen Finger krumm machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben die Wahl.
Wollen wir uns spalten und verführen lassen von Nationalismus und Kriegshetze? Oder wollen wir Schulter an Schulter mit den Arbeitern anderer Länder stehen? Ich sage dabei ganz klar, ich kämpfe nicht gegen die Arbeiter anderer Länder.
Ich kämpfe mit ihnen für gute Löhne, für eine Rente, die zum Leben reicht, und für Frieden und Solidarität. Und genau das müssen wir auch in unseren Gewerkschaften endlich deutlich machen. Keine Kriegslogistik mit uns, keine Sozialpartnerschaft im Dienste der Aufrüstung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Es ist höchste Zeit, dass wir uns gegen diese Kriegspolitik stellen. Für uns, für unsere Kinder und für eine Zukunft, in der man gerne leben möchte. Dort vorne steht Sozialismus statt Weltkrieg. Das kann eine Perspektive sein. Aber das Mindeste ist, dass wir für ein friedliches Miteinander und für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung endlich aufstehen und die Sache in die Hand nehmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und vielen Dank, dass Sie heute alle hierher gekommen sind.


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