Die EU will eine eigene Raumfahrtagentur schaffen

Industrie und Militär sollen profitieren

Von Nina Hager

Eigentlich gibt es mit der ESA, der European Space Agency, bereits seit vielen Jahren eine „europäische“ Raumfahrtorganisation. Sie ist laut Statut im Zusammenhang mit europäischen Projekten zur Weltraumerforschung und -nutzung auf ausschließlich friedliche Zwecke ausgerichtet. Bislang konzentrierte sich ESA deshalb vor allem auf wissenschaftliche Forschung sowie praktische Anwendungen und, was die bemannte Raumfahrt betrifft, auf die Internationale Raumstation ISS. Zu den Aufgaben der ESA gehören sowohl eigene Missionen zu Planeten beziehungsweise zu anderen Himmelskörpern als auch die Beteiligung an solchen Unternehmungen. Die ESA, einst in den 1970er Jahren gegründet, um den Raumfahrt-Großmächten USA und Sowjetunion Paroli zu bieten, kooperiert aus verschiedenen Gründen seit vielen Jahren nicht mehr nur mit der US-amerikanischen NASA, sondern auch mit der russischen Raumfahrtagentur „Roskosmos“.

In der ESA treffen die beteiligten Staaten bislang gemeinsam Entscheidungen. Zu den inzwischen 22 Mitgliedstaaten der ESA gehören auch die Schweiz und Norwegen, die keine Mitglieder der EU sind. Großbritannien ist das noch. Aufträge werden entsprechend der finanziellen Beiträge der Mitgliedstaaten verteilt. Teile der staatlichen Mittel fließen damit indirekt wieder in die Mitgliedstaaten zurück. „Es steht in der Konvention, dass wir die Industrie in allen unseren Mitgliedsländern entwickeln müssen. Wir können nicht einfach ein Monopol in einem Land machen“, erklärte jüngst ESA-Generaldirektor Jan-Dietrich Wörner („ORF“, 12.11.2018). Nutznießer dieser Praxis waren und sind auch Unternehmen aus Deutschland, so Carl Zeiss, Jena Optronik, MT Aerospace AG, OHB System AG, Telespazio VEGA Deutschland GmbH, Tesat-Spacecom sowie französische Unternehmen. Die Airbus Group ist das zweitgrößte Luft- und Raumfahrtunternehmen der Welt, an dem sowohl der französische, der deutsche als auch der spanische Staat Anteile halten. Bereits heute stehen die EU-Staaten, zählt man ihre und die Gelder, die die EU gibt, zusammen, nach den USA weltweit an zweiter Stelle bei den Ausgaben für Weltraumaktivitäten.

Da könnte sich künftig aber Einiges ändern: Im Juni 2018 beschloss die EU-Kommission die Gründung einer eigenen EU-Raumfahrtagentur, der „EU Agency for the Space Programme“. Ob die ESA damit Geschichte wird, ist unwahrscheinlich. Eher wird sie zwar „ein wichtiger Partner bei der technischen und operativen Umsetzung des EU-Raumfahrtprogramms bleiben“, doch die neu benannte EU-Agentur würde zunehmend wichtige Entscheidungen treffen („The Guardian“, 6.6.2018). Großbritannien soll auf diesem Weg ausgebootet werden. Das befürchtete die britische Regierung bereits vor Monaten. So werden zum Beispiel das Satellitensystem zur Navigation „Galileo“ und das Programm „Copernicus“ zur Erdbeobachtung und extrem schnellen Kartierung der Erde schon heute von der Europäischen Kommission bezahlt. Andererseits hat Großbritannien im Sommer 2018 angekündigt, nicht nur eigene Raketen bauen und von Großbritannien aus starten zu wollen, sondern möglicherweise auch ein eigenes satellitengestütztes Navigationssystem zu schaffen. Ein Teil des Geldes für die britische Raumfahrt soll nach Medienberichten von Investoren und staatlichen Investitionsfonds aus Deutschland kommen.

Laut einer Pressemitteilung der EU-Kommission vom 6. Juni 2018 soll sich die neue Agentur um „strategisch wichtige Infrastruktur“ kümmern. Dies geschieht im Zusammenhang mit den Plänen, eine EU-Streitmacht zu schaffen und die gemeinsame EU-Außen- und „EU-Sicherheitspolitik“ zu stärken. Deutschland und Frankreich gehören zu den Hauptbefürwortern solcher Pläne.

Bereits Anfang des vergangenen Jahres hatte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini auf einer Weltraumkonferenz in Brüssel, an der neben Raumfahrtwissenschaftlern und -ingenieuren auch Vertreter der Industrie und der Politik teilnahmen, erklärt: „Die europäische Weltraumpolitik muss auf Autonomie und gleichzeitig auf Kooperation setzen.“ Da sich die EU jetzt auch stärker in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik engagieren will, brauche man auch mehr Daten und Unterstützung aus dem All, so Mogherini. Europäische Satelliten seien führend bei der Datenerfassung und in Verschlüsselungstechnologien. „Das europäische Satelliten-Zentrum beweist, dass es hier nicht um luxuriöse Spielzeuge geht, sondern um wesentliche Werkzeuge für die Gestaltung von Politik.“ Dementsprechend soll die Förderung der Weltraumforschung in der nächsten EU-Haushaltsperiode von 2020 an ausgebaut werden. „Die Welt braucht eine verantwortlich handelnde Macht im Weltraum.“ („Deutsche Welle“ vom 24. Januar 2018) Im All liegt nach Meinung der EU-Außenbeauftragten die Zukunft. Nicht nur die Forschung im Weltraum soll ausgeweitet werden, auch das Militär soll profitieren.

Inzwischen hat das EU-Parlament mit 483 gegen 68 Stimmen bei 19 Stimmenthaltungen den Vorschlag für das EU-Weltraumprogramm 2021 bis 2027 angenommen.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Industrie und Militär sollen profitieren", UZ vom 25. Januar 2019



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