Grundsicherung statt Bürgergeld: Belegschaften im Visier

Keine Reform, sondern eine Drohung

Die neue Grundsicherung wird härter als Hartz IV“, hörte man bereits im Sommer aus Regierungskreisen. In der vergangenen Woche hat das Bundeskabinett diese Drohung wahr gemacht und einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedet.

Im Zentrum des vom sozialdemokratisch geführten Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erarbeiteten Entwurfs steht die Wiedereinführung des Vermittlungsvorrangs. Wer arbeitsfähig ist, soll künftig nicht länger Qualifizierungen für eine wenn möglich dauerhafte Integration in den ersten Arbeitsmarkt absolvieren, sondern – getreu dem Credo „Sozial ist, was Arbeit schafft“ – sofort eine „zumutbare Stelle“ annehmen. Qualifizierungsmaßnahmen bleiben zwar möglich, aber nur dann, wenn eine direkte Vermittlung scheitert. Damit wird eine der wenigen tatsächlichen Verbesserungen des Bürgergelds gegenüber Hartz IV auf dem Altar des Neoliberalismus entsorgt.

Darüber hinaus werden Mitwirkungspflichten und Sanktionen deutlich verschärft. Schon beim ersten Pflichtverstoß – etwa einem verpassten Termin – drohen Kürzungen. Wer zwei Terminen beim Jobcenter ohne wichtigen Grund nicht nachkommt, erhält künftig 30 Prozent weniger Geld. Beim dritten versäumten Termin werden die Zahlungen vorerst gestrichen, die Miete wird direkt an den Vermieter überwiesen. Wenn der betroffene Leistungsbezieher dann innerhalb eines Monats im Jobcenter erscheint, werden die geminderten Leistungen nachwirkend erbracht. Wenn nicht, entfällt der Anspruch auf Leistungen komplett. Auch die Ablehnung eines „zumutbaren Jobs“ kann zum Totalentzug der Leistungen führen, inklusive Miete und Heizkosten.

Schonfristen, wie sie das Bürgergeld vorsah, entfallen mit der Einführung der neuen Grundsicherung komplett. Gleiches gilt für Vermögen der Bezieher. Erspartes muss von Anfang an eingesetzt werden. Damit ist die bisherige Karenzzeit weitestgehend Geschichte. Altersabhängige Freibeträge bleiben zwar bestehen, sind aber deutlich niedriger. Und bei den Wohnkosten wird ebenfalls deutlich strenger geprüft. Wer „zu teuer wohnt“, muss entweder schnell umziehen oder ist gezwungen, die Differenz zum Wohngeld aus eigener Tasche zu zahlen.

Die von Bundeskanzler Merz für den Bundeshaushalt noch im Sommer in Aussicht gestellten Einsparungen in zweistelliger Milliardenhöhe werden nicht erzielt. Selbst das Arbeits- und Sozialministerium rechnete schon im Oktober bei der Vorstellung des ersten Gesetzentwurfes nicht damit, dass die Reform „nennenswerte Einsparungen“ bringen wird. Die Mittel für die ebenfalls in der vergangenen Woche beschlossenen Einkäufe von Rüstungsgütern in Höhe von 50 Milliarden Euro werden dadurch jedenfalls nicht frei.

Die neue Grundsicherung macht aus Sicht der Herrschenden und ihres politischen Personals dennoch Sinn. Schon bei den Hartz-Reformen ging es der Schröder-Fischer-Regierung um mehr als die Drangsalierung von Erwerbslosen und die Etablierung eines gigantischen Niedriglohnsektors. Damals wie heute ist ein zentrales Ziel, die Kernbelegschaften zu disziplinieren. Die Drohkulisse, bei Arbeitsplatzverlust den erarbeiteten Lebensstandard zu verlieren und jeden Job – und sei er noch so schlecht bezahlt – annehmen zu müssen, wirkt.

Angesichts von 130.000 industriellen Arbeitsplätzen, die allein im vergangenen Jahr vernichtet wurden, sind auch große und relativ gut organisierte Belegschaften erpressbar. Schon jetzt stehen in zahlreichen Betrieben Lohnkürzungen auf der Agenda. Die Kapitalseite will Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie weitere tarifliche Sonderzahlungen streichen. Und auch die Zukunft verheißt nichts Gutes.

Die IG BCE ist bereits ohne konkrete Entgeltforderung in die Tarifrunde der Chemischen Industrie gestartet. Wie sich der massive Arbeitsplatzabbau, Werkschließungen und Produktionsverlagerungen ins billigere Ausland der letzten Monate auf die Kampfbereitschaft der IG Metall auswirkt, wird sich dann spätestens im Herbst in der Tarifauseinandersetzung der Metall- und Elektroindustrie zeigen. Das verdeutlicht, Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik gehen auch Facharbeiter an.

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"Keine Reform, sondern eine Drohung", UZ vom 26. Dezember 2025



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