Stell dir vor, wir sind im Krieg, und wir erkennen es nicht“, alarmiert die Bundesakademie für Sicherheitspolitik in ihrem frischen Arbeitspapier zur dramatischen Lage in Deutschland und vermeldet historisch einzigartige Entscheidungen: „Die neue Bundesregierung wird die erste sein, die sich von Beginn an auf eine vermutlich epochale Dauerkrise für die europäische Sicherheit ausrichten muss.“ Da irrt sich die Bundesakademie. Das Ganze hatten wir schon einmal.
Vor 27 Jahren, am 16. Oktober 1998, kam der Bundestag im Bonner Wasserwerk zu einer Sondersitzung zusammen, um erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik über einen Kriegseinsatz deutscher Soldaten zu entscheiden. Die neugewählte Regierung war noch nicht im Amt, wie heute auch war keine Zeit für lange Debatten. Damals der Krieg gegen Serbien, jetzt müssen hunderte Milliarden für den nächsten Feldzug, diesmal gegen Russland, her. Und um die freizumachen, brauchen Friedrich Merz (CDU) und Lars Klingbeil (SPD) eine Grundgesetzänderung, sprich: eine Zweidrittelmehrheit.
AfD und die Partei „Die Linke“ haben durch ihre am 11. März beim Bundesverfassungsgericht eingereichten Eilanträge signalisiert, ab der Konstituierung des neuen Bundestags am 23. März für dieses Vorhaben nicht zur Verfügung stehen zu wollen. Auch die FDP, zwar auch kriegstüchtig, aber in Treue fest zur Schuldenbremse, hat abgewinkt. Bis zu den geplanten Sondersitzungen setzt Merz, um die Milliarden für die Kriegstüchtigkeit zu retten, auf verstärktes Liebeswerben gegenüber den Grünen. Erst kokettierten sie ein bisschen mit ihrer „staatspolitischen Vernunft“, um dann am vergangenen Sonntagabend beim Rendezvous mit den Fraktionsspitzen von Union und SPD zu beweisen, dass für Tod und Waffen noch viel mehr Geld losgeschlagen werden muss. Die von Schwarz-Rot angestrebten Kriegskredite seien noch zu mickrig, „der Begriff der Verteidigungsausgaben dort zu eng gefasst“, als dass er die „drängenden Fragen im Bereich Gesamtverteidigung und sicherheitspolitischer Aufgaben“ lösen könnte, heißt es in einem eilig zusammengezimmerten Gesetzentwurf der grünen Bundestagsfraktion.
Ungerecht, wie Merz hier kritisiert wird, wo er doch bereits dafür gesorgt hat, dass nicht nur die 500 Milliarden Euro für die Bundeswehr, sondern auch der Großteil der 400 Milliarden Euro für das avisierte „Sondervermögen Infrastruktur“ in das Projekt „NATO-Drehscheibe Deutschland“ fließen sollen. Die Pläne für den ostwärts gerichteten Ausbau der NATO-Kerosin-Pipeline (Kosten 21 Milliarden Euro) liegen schon fertig in der Schublade. Genauso wie die Pläne zum panzergerechten Ausbau des West-Ost-Schienennetzes einschließlich der Brücken und Trassen bis zur polnischen Grenze.
Gerade hat das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr (BAIUDBw) mit Rheinmetall eine Rahmenvereinbarung für mehrere Jahre getroffen. Rheinmetall hat als erster „industrieller Partner im Rahmen des Operationsplans Deutschland“ den Militär-Logistik-Bereich für sich entdeckt und sorgt für den Aufbau von „Sammelräumen“ an den „Marschrouten“.
Im ekstatischen Kriegsgeheul der bürgerlichen Journaille gehen die kritischen Stimmen der Verfassungsrechtler fast unter. Die weisen darauf hin, dass der Merzsche Husarenritt nur noch Spott und Hohn für die letzten Reste des bürgerlichen Parlamentarismus übriglasse. Das Grundgesetz enthält zwar keine Regelung über die Kompetenzverteilung zwischen altem und neugewähltem Parlament – in Artikel 39 Absatz 1 Grundgesetz (GG) steht nur der lapidare Satz, dass die Wahlperiode des alten Bundestages mit dem Zusammentritt des neuen endet. Das in Artikel 20, Absatz 2, Satz 1 GG niedergelegte „Demokratieprinzip“ gebiete aber, wenigstens die Entscheidung des Wählers zu achten, und der habe sicherlich nicht gewollt, dass abgewählte Abgeordnete Milliardenschulden für Kriegszwecke bis weit in die Zukunft hinein zustimmen.
Dass das Verfassungsgericht auf den „Wählerwillen“ setzt, wäre allerdings neu. Wie heißt es doch in der Verfassungsgerichtsentscheidung zum NATO-Doppelbeschluss vom 18. 12. 1984 so anschaulich: Es obliegt „der außen- und verteidigungspolitischen Beurteilungs- und Handlungsmacht der Exekutive, solche Lagen, Entwicklungen und Risiken zu beurteilen und Entscheidungen zu treffen“. Fragen über Krieg und Frieden klärt die Regierung, nicht das Wahlvolk.