Der RWE-Konzern sichert über seine staatsmonopolistischen Verflechtungen die eigene Vormachtstellung

Kohle zu Gold gemacht

Niklas Hoves

Am 20. November stellt die Stiftung „ethecon – Ethik & Ökonomie“ die Vorstände und Großaktionäre von RWE sowie den vormaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, mit dem „ethecon Dead Planet Award“ an den Pranger. Zur Begründung der Preisverleihung hat die Stiftung ein umfangreiches Dossier zum Konzern zusammengestellt. Darin werden die Verflechtungen zwischen Monopolkapitalisten und Staat deutlich sowie deren gemeinsames Agieren im Sinne des Maximalprofits zulasten von Mensch und Natur. Wir veröffentlichen in redaktioneller Bearbeitung einen Auszug aus dem Stiftungsdossier zur Geschichte des Konzerns, das zur Preisverleihung erscheinen wird. Weitere Infos zur Veranstaltung auf www.ethecon.org

Am 25. April 1898 wurde der RWE-Konzern als „Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG“ zunächst als Tochtergesellschaft der Frankfurter Elektrizitäts AG (EAG) für die Stromversorgung der Stadt Essen gegründet. Bereits 1900 ließ der Montanmogul Hugo Stinnes, Aufsichtsratsmitglied bei RWE, das erste Elektrizitätswerk mit städtischen Geldern auf seinem privaten Werksgelände bauen. Mit der direkten Verstromung für seine Stahlproduktion umging er die sonst fällige Kohlenumlage an das Rheinisch-Westfälische Kohlen-Syndikat. Als 1902 der Mutterkonzern EAG in eine Krise geriet, sicherten sich die Ruhrindustriellen um Hugo Stinnes und Fritz Thyssen günstig die Mehrheit an RWE mit Krediten der Deutschen Bank und der Dresdner Bank. Stinnes selbst sicherte sich den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden.

Parallel zum Aufstieg der Stahlindustrie wuchsen die Kapazitäten von RWE, so dass Stinnes mit immer mehr Gemeinden im Ruhrgebiet und im Rheinland Versorgungsverträge abschließen konnte. Um sich mit öffentlichen Geldern zu finanzieren und leichter an kommunale Konzessionen und Wegerechte zu gelangen, verkaufte Stinnes den Kommunen Anteile an RWE. Stinnes erwarb elektrische Straßen- und Kleinbahnbetriebe, um den Strom abzusetzen.

Schon bald neigten sich die Möglichkeiten der Steinkohleverstromung in Essen dem Ende zu. 1905 erwarb RWE das Braunkohlebergwerk „Berggeist“ bei Brühl, das die dort vorhandenen Braunkohlebestände in nicht einmal zehn Jahren erschöpfte. Der Hunger nach Kohle ließ RWE nach einem neuartigen Konzept das weltgrößte Braunkohlewerk „Goldenbergwerk“ in der Roddergrube (1914) und das Steinkohlekraftwerk „Reisholz“ in Düsseldorf (1908) bauen, die 1924 rund 75 Prozent des RWE-Energiebedarfs deckten.

Einbindung des Staates

Im Ersten Weltkrieg lieferte RWE den nötigen Strom für die energieintensive Rüstungsproduktion. Am Ende dieser Menschheitskatastrophe erhoben sich meuternde Matrosen und Soldaten, entrechtete Arbeiter und die hungernde Bevölkerung. Sie forderten im Zuge der Novemberrevolution nicht nur Brot und Frieden, sondern die Sozialisierung der großen Industrie. Im Ruhrgebiet waren diese Bewegung und die gewerkschaftliche Organisierung besonders stark. Den Besitzern von RWE um Stinnes, Thyssen & Co drohte die Enteignung. Unter diesem Druck sahen sie sich dazu genötigt, erstmals die Gewerkschaften als Vertretungen der Arbeiterschaft anzuerkennen.

Der Enteignung konnten sich Stinnes & Co entziehen. Die Forderungen nach einer Umverteilung der Gewinne hielten jedoch an. Stinnes argumentierte, dass die Vertreter der Kommunen, die seit 1910 die Mehrheit in den Aufsichtsgremien des Konzerns hielten, bereits für ausreichende Mitbestimmung und öffentliche Beteiligung an den Gewinnen sorgten. Diese Beamten hatte der Konzern bestens im Griff: Ende 1919 unternahm die erste Weimarer Koalition einen zaghaften Versuch zur Zusammenfassung der Elektrowirtschaft in einem staatlichen Betrieb. Verantwortlich war Reichsschatzminister Hans von Raumer, selbst ehemaliger Vertreter des Elektroindustrieverbandes. Der Versuch verlief im Sande. Im Gegenteil wurde die Stromversorgung im Verlauf der Krise der Weimarer Republik noch weiter privatisiert, als die Gemeinden und Kommunen im Zuge einer Währungsreform ihre Aktienmehrheiten an RWE einbüßten.

Das Stromkartell

1923 kaufte RWE die ehemalige Muttergesellschaft Elektrizitäts-AG mit ihren Töchtern Main-Kraftwerke AG, die Kraftwerk Altwürttemberg AG und die Lech-Elektrizitätswerke AG. 1927 teilten RWE, die Preußische Elektrizitätswerke AG und die Elektrowerke (EWAG) mit Sitz in Berlin im „Elektrofrieden“ die deutschen Stromliefergebiete untereinander auf. Die Demarkationslinie verlief entlang der Weser bis zum Main.

Ende 1932 sicherte sich RWE die Mehrheit am Braunkohle- und Energiekonzern „Rheinbraun“ und verwandelte sie in eine Tochtergesellschaft. RWE war fortan das unangefochtene Strommonopol im Westen Deutschlands. Diese Intrige der ultrareichen Industriellen Fritz Thyssen, Friedrich Flick und Albert Vögler gegen ihren Kontrahenten Paul Silverberg hatte nicht nur die Übernahme von „Rheinbraun“, sondern auch die weitere Destabilisierung der Weimarer Republik zur Folge. Die Monopolherren füllten die Wahlkampfkassen der NSDAP. Der Coup gilt als Prolog zur Machtübertragung an die Hitlerfaschisten.

Seit der Weltwirtschaftskrise 1929 war der private Energieverbrauch rückläufig; die überdimensionierten rheinischen Kohlekraftwerke ließen den Konzern auf Überkapazitäten sitzen. Faschismus und Krieg versprachen den rettenden Ausweg. Am 1. Mai 1933 trat der RWE-Vorstand geschlossen der NSDAP in Essen bei. Entgegen ihrer Propaganda, in der von der Dezentralisierung der Energieversorgung die Rede war, trieben die Nazis die Zentralisierung der Energieversorgung voran. Und tatsächlich wurde die Aufrüstung mit den damit verbundenen Staatsaufträgen wie schon im Ersten Weltkrieg zur Quelle des Wachstums von RWE. Nicht nur über die Kommunalmandate in den Aufsichtsgremien kontrollierte die NSDAP den Konzern; die Vorstände selbst waren glühende Anhänger des faschistischen Angriffs- und Vernichtungskrieges, der den Industriellen den Zugriff auf eroberte Firmen, Absatzmärkte und Sklavenarbeiter versprach.

Nachdem die militärischen Niederlagen der Wehrmacht 1943 bekannt wurden, äußerte sich RWE-Vorstandsmitglied Wilhelm Ricken pessimistisch über die Kriegschancen des Deutschen Reiches und wurde dafür aus dem Kreise seiner Kollegen denunziert. Er wurde 1944 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Heute bemüht sich RWE darum, diesen Dissens als demokratischen Widerstand zu stilisieren und Mitverantwortung des Konzerns für Faschismus und Krieg unter den Teppich zu kehren.

Niederlage und Wiederaufstieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die deutsche Gesellschaft durch eine aufstrebende Arbeiterbewegung geprägt. Die Gewerkschaften bemühten sich, den Einfluss der Großindustrie zurückzudrängen, die sie als Hauptverursacher von Faschismus und Krieg identifizierten. Selbst die britische Militärregierung schlug zeitweise die Sozialisierung von Schlüsselindustrien vor. Die Alliierten gestatteten den Energieversorgern bereits 1948 auf Initiative von RWE wieder den Zusammenschluss in der Interessengemeinschaft Deutsche Verbundgesellschaft e. V., mit der RWE & Co die Politik beeinflussten und gestalteten. RWE wurde schnell der größte Energieversorger der alliierten Besatzungszonen.

Um die Kooperation der Gewerkschaften insbesondere im Bergbau sowie in der Eisen- und Stahlproduktion sicherzustellen, war ein Kompromiss nötig. Das 1951 erlassene Montan-Mitbestimmungsgesetz sah Mitbestimmungsrechte der Arbeiterschaft in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus vor, zu denen RWE mit seinen Tagebauen zählte. RWE begünstigte lokale Politiker und Vertreter städtischer Energieerzeuger über seine Regionalbeiräte mit üppigen Aufwandsentschädigungen. Diese Praxis wurde immer wieder als legale Korruption kritisiert.

Die Spitze im Aufsichtsrat von RWE nahmen in der Zeit der Bonner Republik zumeist abwechselnd Vertreter der größten privaten Eigentümer ein: die Vorstände der Deutschen Bank und der Dresdner Bank. Damit war RWE immer wieder beispielhaft für die zunehmende Verflechtung von Industrie- und Bankkapital in der Bonner Republik.

Sicherung von Maximalprofit

In Kooperation mit den beteiligten Banken entwickelte sich RWE zu einem Mischkonzern, der mit der Übernahme von Deutsche Texaco 1988 auch zeitweise ins Erdölgeschäft investierte und ein eigenes Tankstellennetz betrieb. Nach der Zerschlagung der DDR und der Enteignung des ostdeutschen Volkseigentums durch die Treuhandanstalt kaufte RWE zusammen mit Preußenelektra und dem Bayernwerk fast die gesamte ostdeutsche Energiewirtschaft. Doch die ostdeutschen Kommunen wehrten sich erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht und erzwangen 1992 im „Stromvergleich“ die Gründung von unabhängigen ostdeutschen Stadtwerken.

Im Rahmen der Liberalisierung der Energiemärkte in der Europäischen Union blieben in Deutschland nach einer Reihe von Übernahmen im Laufe der 1990er- bis Anfang der 2000er-Jahre von ehemals acht Elektrizitätsversorgungsunternehmen nur „die großen Vier“ übrig: RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall. Dieser hohe Monopolisierungsgrad und die territoriale Aufteilung Deutschlands unter diesen Konzernen erinnern seither an den Stand der Stromwirtschaft vor dem Zweiten Weltkrieg.

Im Jahr 2000 fusionierte RWE mit den Vereinigten Elektrizitätswerken Westfalen und vereinigte damit die Braunkohleförderung und die Braunkohleverstromung in einem Konzern. Im Rahmen einer Umstrukturierung seit 2003 wurden sämtliche Strom erzeugenden Teilgesellschaften der RWE AG als RWE Power AG mit Sitz in Essen und Köln zusammengefasst.

Während andere Energieversorgungsunternehmen zunehmend erneuerbare Energien ausbauen, setzt RWE bis heute vor allem auf die Kohleverstromung. Die Konzernspitze setzt seit jeher auf ihre Monopolmacht über kritische Infrastruktur, um Einfluss auf die Bundes- und Landesregierungen auszuüben. Obwohl der von der Bundesregierung 2015 unterzeichnete Klimaschutzvertrag von Paris die Begrenzung der Erderwärmung auf maximal zwei Grad Celsius vorsieht und damit einen globalen Kohleausstieg bis zum Jahr 2030 vorgibt, verschob dieselbe Bundesregierung den Kohleausstieg in Deutschland auf das Jahr 2038. Mit der Neufassung der Großfeuerungsanlagenverordnung vom Juli 2021 erlaubt die Bundesregierung den Kohlekraftwerken zudem, weiterhin in großem Maßstab Schadstoffe auszustoßen. Nichtregierungsorganisationen warnten immer wieder, dass diese Verträge der Bundesregierung mit RWE und weiteren Braunkohleunternehmen keinen Bestand haben würden und lediglich die kommenden Regierungen durch Entschädigungsforderungen bei einem vorgezogenen Kohleausstieg erpressbar machen werden.


Verstrickung der Kommunen
2008 folgten einige Städte und Gemeinden in NRW den Forderungen nach sauberer Energie und begannen ihre Anteile an RWE zu verkaufen, sodass erstmals die Beteiligung der Städte und Gemeinden unter 25 Prozent sank. Der überwiegende Teil der Städte hielt jedoch an ihren Beteiligungen fest. Als die Konzernführung 2015 eine Einschränkung der Dividendenausschüttung mit der Begründung ankündigte, dass die Kapitalerhöhung dem Umbau hin zu erneuerbaren Energien dienen solle, hielten die Städte an ihren Geldforderungen fest und verweigerten dem Vorstand 2016 die Entlastung. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe begründete seinen Ausstieg aus RWE im selben Jahr auch mit dem geschwundenen Mitspracherecht der Gemeinden im Konzern. Dutzende Gemeinden und Städte mussten in den vergangenen zehn Jahren Abschreibungen auf ihre im Kurs gefallenen RWE-Aktien vornehmen, was viele Haushalte an den Rand der Zahlungsunfähigkeit brachte. 2019 verkauften die Städte Bochum und Düsseldorf sowie der Landschaftsverband Westfalen-Lippe ihre RWE-Anteile. Infolgedessen löste sich der Verband Kommunaler ­Aktionäre (VKA) RWE Westfalen im Sommer 2021 auf und empfahl den verbliebenen kommunalen Gesellschaftern, Anteile an der VKA Rheinland in Essen zu kaufen. Die Stadt Essen, in der sich der Hauptsitz von RWE befindet, hält 2,8 Prozent aller Aktien. Die Stadt Dortmund hielt im Januar 2021 gar 4,79 Prozent der RWE-Aktien.




Atomprofit? Ja, bitte?
Als in den 1950er-Jahren Pläne für die städtische Energieversorgung durch Atomenergie entwickelt wurden, sträubte sich die Unternehmensführung aufgrund von Kostenprognosen dagegen – die Beseitigung des hochgefährlichen Atommülls sei genauso teuer wie die Stromgewinnung selbst. Der Konzern betrieb aufwändige Propaganda gegen die Atomkraft und stellte sie als technisch nicht umsetzbare Utopie dar. Doch diese Kampagne trieb lediglich den Preis in die Höhe; RWE ließ sich die politische Entscheidung für den Einstieg in die Atomkraft vergolden.
1956 baute RWE zunächst das Versuchsatomkraftwerk Kahl und nahm zehn Jahre später trotz großer Proteste das zu zwei Dritteln vom Bund finanzierte erste Großkernkraftwerk Deutschlands in Gundremmingen in Betrieb. Bei der Wahl der Konzeption seiner ersten AKWs als Siedewasser-Kraftwerke folgte das RWE-Management stets den günstigsten zulassungsfähigen Entwürfen und schlug Sicherheitsbedenken in den Wind. 1969 gab RWE mit Biblis A das damals weltgrößte Nuklearkraftwerk in Auftrag.



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"Kohle zu Gold gemacht", UZ vom 12. November 2021



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