Bundeswehr belehrt den Regensburger Stadtrat über kommunale Verantwortung im Kriegsfall

Kriegstüchtig im Schattenamt

Der „Operationsplan Deutschland“ regelt die Aufgaben der verschiedenen staatlichen Ebenen, wenn der große Krieg gegen Russland beginnt. Den Kommunen kommt eine Schlüsselrolle bei der Unterstützung der militärischen Logistik zu. Um darauf einzuschwören, kamen Ende Juni zwei Offiziere der Bundeswehr in den Stadtrat von Regensburg (Bayern). Im UZ-Interview spricht Irmgard Freihoffer (BSW), Mitglied des Rates der Stadt Regensburg, über den Vortrag, die Konsequenzen und den notwendigen Widerstand.

UZ: Wie kam es dazu, dass zwei Oberstleutnante der Bundeswehr bei euch im Stadtrat aufgetreten sind, und was war der Zweck dieser Veranstaltung?

Irmgard Freihoffer: Der Rechtsreferent der Stadt hat den Vortrag mit den Worten eingeleitet, dass er auf einer Fortbildung gewesen sei – bei der Jahrestagung „Wehrhafte Demokratie“. Dort hätten hochrangige Politiker teilgenommen und auch Geheimdienstmitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes und der verschiedenen Verfassungsschutzämter. Den Teilnehmenden sei gesagt worden, dass Russland spätestens im Jahr 2030 in der Lage sei, NATO-Gebiet anzugreifen. Die Kommunen hätten sich darauf einzustellen, dass im Verteidigungsfall hunderttausende Soldaten von West nach Ost durch Deutschland marschieren würden. Und es wurde gesagt, dass es der Stadt ein großes Anliegen ist, uns darüber zu informieren.

UZ: Wie hat das, was dann erzählt wurde, auf dich gewirkt?

Irmgard Freihoffer: Der Vortrag war von Propaganda geprägt. Immer wieder wurde von Russlands „hybriden Angriffen“ gesprochen, für die ich gerne einmal Beweise sehen würde. Nur weil Cyberangriffe über russische Server laufen, heißt das noch lange nicht, dass der russische Staat überall dahintersteckt. Das erfährt man ziemlich schnell, wenn man mit Leuten spricht, die sich damit auskennen. Doch die Möglichkeit von False-Flag-Operationen wird ausgeblendet und es wird behauptet, dass ein hybrider Krieg läuft, der die Vorbereitung für einen größeren Krieg sei. Zugleich wurde verschwiegen, dass ungekehrt auch Cyberangriffe auf Russland von proukrainischen Akteuren, westlichen Hackergruppen und auch vom ukrainischen Militärgeheimdienst HUR durchgeführt werden. Davon waren in der Vergangenheit unter anderem Banken, eine große Handelsplattform, das Staatsfernsehen, das Verteidigungsministerium und die digitale Infrastruktur betroffen, also auch die kritische Infrastruktur. Wir befinden uns im Nebel des Krieges. Vieles wissen wir nicht. Es wurde auch von der „Krim-Annexion“ gesprochen und davon, dass Russland eine imperialistische Politik verfolge, was man auch am Ukraine-Krieg sehen könne. So wird die Meinung verfestigt, dass Russland eine hochaggressive Macht sei, auf die es nur eine Antwort geben könne: nämlich aufzurüsten, was das Zeug hält.

UZ: Hochrüstung einerseits, andererseits ging es aber auch um die Frage der „zivilen Verteidigung“. Was wurde darüber gesagt?

Irmgard Freihoffer: Im Ernstfall sollen 800.000 Soldaten durch Deutschland an die Ostflanke marschieren. Ob das erst im Verteidigungsfall passiert oder auch schon davor, ließ der Oberstleutnant im Stadtrat offen. Diese Soldaten müssen natürlich versorgt werden, auch von den Kommunen. Täglich würden zum Beispiel circa 60.000 zusätzliche Hausarztbesuche anfallen. Der Subtext war: Dann muss die Bevölkerung halt zurückstehen, auch wenn es nicht explizit so gesagt wurde. Die Kommunen sollen aber auch für militärische Sammellager und Raststätten – sogenannte Convoy Support Center – sorgen, um den Durchmarsch zu unterstützen. Auch Ersatzteile, Logistik und weitere Versorgung müsse organisiert werden. Im Kriegsfall würden täglich 1.000 verletzte Soldaten, davon mindestens ein Drittel schwerverletzt, zurückkommen. Für die müssten dann Medikamente beschafft und Platz in den Krankenhäusern geschaffen werden. Wieder wurde es nicht ausdrücklich gesagt, aber jedem muss klar sein: Das geht nur zu Lasten der Zivilbevölkerung. Es glaubt ja niemand, dass in diesem Umfang Kapazitäten an leeren Betten in den Krankenhäusern aufgebaut werden, damit die Bevölkerung im Kriegsfall nicht zurückstehen muss.

UZ: Die Unterstützung der militärischen Logistik betrifft aber nicht nur die soziale Infrastruktur, sondern auch die Verwaltungsmitarbeiter …

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Irmgard Freihoffer (BSW) (Foto: UZ)

Irmgard Freihoffer: Ja, es wurde gesagt, dass sogenannte Schattenämter eingeführt werden sollen. Die braucht man, wenn Verwaltungsmitarbeiter ausfallen, weil sie im Kriegsfall eingezogen oder verletzt werden. Mit diesen Schattenstrukturen soll geregelt werden, wie die so entstehenden Leerstellen besetzt werden. Dafür werden Leute aus der Verwaltung rekrutiert, die im Notfall andere Aufgaben übernehmen können. Diese Schattenverwaltung soll in den kommenden Jahren aufgebaut werden. Es wurde aber auch schon gesagt, dass das bisherige Personal im Bereich des Zivil- und Katastrophenschutzes nicht ausreicht.

UZ: Das klingt nach konkreter Kriegsvorbereitung. Hast du einen Eindruck gewonnen, wie diese Pläne in der Kommunalpolitik und in der Verwaltung angekommen sind?

Irmgard Freihoffer: Ich habe im Stadtrat versucht, über nichtmilitärische Ansätze zu sprechen und wollte auch darauf hinweisen, dass es bei der Frage nach Krieg und Frieden um eine existenzielle Sache geht. Das war vollkommen unerwünscht. Es ging ein richtiges Raunen durch den Sitzungssaal. Aber die Oberbürgermeisterin hat auch sehr klar gesagt, dass das nicht erwünscht sei. Wie es in der Verwaltung aussieht, kann ich schlecht beurteilen. Da muss ja gemacht werden, was von oben angeordnet wird – unabhängig davon, ob einige das vielleicht anders sehen.

UZ: Erstaunlich ist, dass das im Stadtrat alles so offen kommuniziert wurde. Reihen sich die Kommunen auf dem Weg zur „Kriegstüchtigkeit“ ein, vielleicht auch um Fördermittel abzugreifen?

Irmgard Freihoffer: Ich glaube nicht, dass die völlig maroden kommunalen Straßen vom Militärhaushalt profitieren werden. Die Panzer werden schließlich nicht durch die Regensburger Innenstadt rollen. Bei den überörtlichen Straßen und Brücken sieht die Sache anders aus, das ist ja auch offen kommuniziert worden. Die sollen schnell so hergerichtet werden, dass sie schwere Kriegsfahrzeuge aushalten. In manchen Gemeinden hofft man vielleicht darauf, dass die Ansiedlung von Rüstungsbetrieben eine Perspektive ist, während die zivile Industrie schwächelt.

Es passiert aber noch mehr in den Kommunen. Es gibt Bundeswehrwerbung in der Öffentlichkeit, auf den Straßenbahnen, und Busse in Tarnfarben. In der Marktgemeinde Kellmünz wird ein Kinderferienprogramm mit der Bundeswehr angeboten, für Kinder im Alter von 6 bis 12 Jahren. Diese Dinge nehmen also Fahrt auf.

UZ: Wie leistet ihr Widerstand vor Ort?

Irmgard Freihoffer: Wir müssen ein Gegengewicht zur Militarisierung sein und gegen den militärischen Geist, der sich überall breit macht: an den Bushaltestellen, in den Schulen und so weiter. Man kann das alles rügen, aber das wird nicht viel bewirken. Wir müssen ein Bewusstsein dafür wecken, dass es zum Beispiel in der Zeit des Kalten Krieges ganz andere Ansätze gab. Vor 50 Jahren wurde die Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) mit dem Konzept der ungeteilten kollektiven Sicherheit unterzeichnet. Wenn man heute Politiker der Grünen oder der SPD danach fragt, schauen die einen völlig verständnislos an. Dass Sicherheit nur miteinander und nicht gegeneinander entstehen kann und welche unbeherrschbaren Gefahren mit einer Rüstungs- und Bedrohungsspirale erzeugt werden, wird nicht diskutiert.

Wir müssen uns auch dafür einsetzen, dass an den Schulen über Frieden und Zusammenarbeit gesprochen wird, und nicht nur über den Krieg. Es ist zum Beispiel sehr wichtig, dass wir darüber aufklären, wie der Aufbau von Feindbildern funktioniert. Wir wollen durchsetzen, dass diese Themen auch von der städtischen Stelle für Demokratieförderung aufgegriffen werden. Da geht es im Moment nur um „Extremismusbekämpfung“, was man auch immer darunter versteht. Ich finde ja, dass die Parteien der sogenannten Mitte ziemlich extremistisch sind – gerade mit Blick auf die Militarisierung.

Das Gespräch führte Vincent Cziesla

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"Kriegstüchtig im Schattenamt", UZ vom 25. Juli 2025



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