Zum Tod von Alexei Nawalny

Landesüblich

Georgier sind Nagetiere, deren Hauptquartier mit Marschflugkörpern zu zerstören ist. Bürgerrechtler sind quasiliberale Wichser. Schwule sind wegzusperren. – Diese Zitate aus einem Interview, das der Mitteldeutsche Rundfunk mit einem ukrainischstämmigen „FAS“-Journalisten 2017 geführt hat, könnten durchaus aus der Bundestagsfraktion der AfD kommen; und angesichts einschlägiger Äußerungen aus deren Reihen ist es nicht unwahrscheinlich, dass dort so gedacht wird. Aber das Interview ist mit „Nawalny macht offene Fremdenfeindlichkeit hoffähig“ betitelt. Der Journalist Nikolai Klimeniouk zeichnet darin ein realistisches Bild eines russischen Rechtsextremen, der sich nach eigener Aussage in Deutschland der NPD politisch am nächsten sah. Der gleiche Journalist verlor später seine naive Unschuld und lernte den im Westen zu pflegenden Wert Nawalnys zu begreifen. Er konstatierte vier Jahre später, dass Nawalny eben „nicht besonders sensibel mit dem landesüblichen Hassvokabular umgegangen“ sei. Homophob sei er aber nicht und überhaupt habe er sich von seinen früheren Kontakten distanziert. Nawalny selbst sah das anders als seine schützende Hand, denn er bereue seine früheren Kommentare nicht – wie ihn selbst „Radio Free Europe“ 2021 zitiert. In einem seiner Videos, die noch heute bei YouTube zu sehen sind, vergleicht er in Zahnarzt-Outfit Immigranten mit Karies und schlussfolgert: „Alles, was sich uns in den Weg stellt, sollte vorsichtig, aber entschlossen durch Abschiebung entfernt werden.“

Diese Sorte „Remigration“ ficht diejenigen aus Berliner Regierung und Opposition nicht an, die ihre mit „Rund um die Uhr“-Abschiebungen eigentlich redlich verdiente Freizeit als konjunkturelle „Nie wieder ist heute“-Antifaschisten verbringen müssen. Sie fanden dennoch Zeit, ihrer Bestürzung Ausdruck zu verleihen und sich solidarisch vor einen der ihren zu stellen. Einer, für den „Tschetschenen Barbaren, die mit dem MG zu bekämpfen sind“ und „Kaukasier Kakerlaken“ sind.

Sollte Nawalny ermordet worden sein, was nachzuweisen nach Diktum der westlichen Polit-Crème de la Crème sowieso unnötig ist, dann dürfte er selbst posthum ein gewisses Verständnis aufgebracht haben, forderte er die russische Regierung doch vor Jahren auf, einen in London lebenden Tschetschenen-Rebellenchef zu töten. Eben das landesübliche Hassvokabular.

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"Landesüblich", UZ vom 23. Februar 2024



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