Die britische KP will aus der Niederlage in den Angriff übergehen

Nach Corbyns Fall

Ben Lunn, Glasgow

Am 17. April wurde ein interner Bericht der Labour-Partei durchgestochen, der eine Vielzahl von Skandalen ans Licht brachte, darunter Versuche, Jeremy Corbyn mit Antisemitismusvorwürfen zu diskreditieren, zahlreiche Berichte über Rassismus gegenüber Mitgliedern und die Tatsache, dass Labour-Abgeordnete den Wahlkampf im Jahr 2017 aktiv sabotiert haben.

Sir Keir Starmer wurde erst vor kurzem zum Vorsitzenden der Labour-Partei gewählt, es zeigt sich jetzt schon, welche Art von Labour-Partei Britannien in Zukunft haben soll. Diejenigen, die Sabotage an der Labour-Partei begangen und verhindert haben, dass Rassismus innerhalb von Labour untersucht wird, haben noch keine Konsequenzen zu spüren bekommen. Diejenigen, die die Dokumente über die Geschehnisse an die Öffentlichkeit gebracht haben, sollen Gerüchten nach aus der Partei ausgeschlossen werden.

Der neue Vorsitzende der Partei hat angefangen, die Arbeit von Labour auf parlamentarische Spielchen mit konstruierten Meinungsverschiedenheiten und kleinen Witzeleien in Fragen an den Premierminister zu reduzieren. Er hat eifrig versucht, sich als jemanden darzustellen, der nicht nur „um der Opposition willen opponiert“. Dies hat dazu geführt, dass Starmer die Regierung trotz der massiven sozialen Untaten, die wir in dieser Pandemie bereits gesehen haben, lobt. Mainstream-Medien bezeichnen Starmer daher als „nüchtern“ und „präzise“ und freuen sich darüber, dass „wir endlich eine starke Opposition haben“. Starmer und seine Verbündeten versuchen, ihn als einen Erben Blairs darzustellen; doch es scheint ihm sogar an den wenigen positiven Eigenschaften Blairs zu mangeln, nämlich an unnachgiebiger Kritik und Angriffslust aus der Opposition heraus. In Verbindung mit den Bemühungen innerhalb der neoliberalen Fraktionen des Parlaments, eine weitere Verlängerung der Brexit-Verhandlungen zu erzwingen, deutet dies darauf hin, dass viele in der Labour-Partei fast aktiv darangehen, sich von ihrer Wählerbasis zu entfernen.

Sowohl die Niederlage Corbyns im vergangenen Jahr als auch die Wahl Starmers ist ein schwerer Rückschlag für die Arbeiterbewegung. Wie sollten wir also vorgehen? Was tun die militanten Kräfte der Arbeiterklasse, um zu kämpfen? Und wie wirkt sich dies auf „Britanniens Weg zum Sozialismus“ aus?

Zum Hintergrund: Der „britische Weg zum Sozialismus“ wurde ursprünglich von Harry Pollitt und anderen zentralen Persönlichkeiten der Kommunistischen Partei Großbritanniens verfasst. Diese Strategie entstand unter der direkten Anleitung durch Lenin und Stalin, die Ratschläge gaben, wie die britische Arbeiterklasse so zu mobilisieren sei, dass es der Situation Britanniens entspricht. Diese Strategie hat viele Abwandlungen durchlaufen und im vergangenen Monat hat die Kommunistische Partei Britanniens (CPB) die jüngste Veröffentlichung zu dieser Strategie herausgegeben. Der britische Weg zum Sozialismus deckt viele Bereiche ab, aber die größte Aufmerksamkeit und Kritik unserer Feinde aus dem gesamten politischen Spektrum erregen die Strategie zum Parlamentarismus und zu unserem Verhältnis zur Labour-Partei.

Kritiker in kommunistischen Randparteien wie der New Communist Party, der Revolutionary Communist Group und der Communist Party of Great Britain (Marxistisch-Leninistisch), werfen der CPB Revisionismus vor, weil wir uns auf die Labour Party stützen. Die Kritik kommt aus zwei Richtungen, entweder um anzudeuten, dass wir den Kampf für den Sozialismus aufgeben, indem wir uns an Sozialdemokraten anpassen, oder wir seien einfach naiv in Bezug auf den bürgerlichen Parlamentarismus.

Die britische Labour-Partei ist im Gegensatz zu anderen sozialdemokratischen Parteien aus dem Zusammengehen von Gewerkschaftern und Sozialisten entstanden. Ihre Grundlage sind die britischen Gewerkschaften, weshalb alle britischen Gewerkschaften die Möglichkeit haben, an den Führungs- oder anderen internen Wahlen teilzunehmen. Die mit der Labour-Partei verbundene breitere Machtstruktur ist ein Mittel zur Politisierung der Gewerkschaftsbewegung und des Großteils der Arbeiterklasse. Innerhalb der Labour-Partei gibt es aufgrund ihrer Breite eine Vielfalt von Einflüssen, die versuchen, die Kontrolle über die Partei zu erlangen und sie in ihrem Sinne zu lenken. So gibt es zum Beispiel die Vorstellung von „New Labour“, die Partei in ein nettes parlamentarisches neoliberales Gremium zu verwandeln, oder den von Gewerkschaften eingebrachten weichsozialistischen Ansatz, aber auch radikalere Elemente, die wirklich für den Sozialismus kämpfen wollen.

Aus der Sicht der CPB wäre also der Verzicht auf die Labour-Partei eine größere Niederlage für die britische Arbeiterklasse, weil es derzeit keine andere Partei gibt, die diese breitere Unterstützung genießt. Idealerweise wäre die Kommunistische Partei dieses Instrument, aber solange wir nicht in der Lage sind, sowohl auf dem parlamentarischen Feld als auch auf dem der Gewerkschaften zu kämpfen, können wir das noch nicht sein. Das bedeutet, dass unsere Strategie eine Vielzahl von Ansätzen braucht. Wir müssen weiterhin Führungspositionen innerhalb der Gewerkschaftsbewegung erobern; dies erlaubt uns nicht nur, die Gewerkschaften in eine militantere Richtung zu drängen, sondern auch über die Labour-Partei Einfluss auf die Parlamentspolitik auszuüben. Unsere Verbündeten in der Labour-Partei brauchen jetzt mehr denn je Unterstützung; mit der Übernahme der Parteiführung durch Sir Keir Starmer stehen sozialistische Kreise bereits unter dem Druck, entweder die Partei ganz zu verlassen oder sich zu verstecken und sich möglichst unauffällig zu verhalten. Wir müssen für alle Freundinnen und Freunde der Arbeiterbewegung kämpfen und dafür sorgen, dass ihre Stimmen gehört werden. Wir müssen aktiv verhindern, dass wir eine von Corbyn radikalisierte Generation verlieren. Corbyn war nicht auf Augenhöhe mit Lenin oder anderen Helden unserer Bewegung, aber was er zu tun vermochte, war, einer Generation von Vereinzelter, die keine Chance sahen, sich klassenpolitisch zu engagieren, Kraft und Stimme zu geben. Dies führte dazu, dass Labour, gemessen an der Mitgliederzahl, die größte Partei Europas wurde. Diese Menschen dürfen nicht ohne Führung gelassen werden, sonst laufen wir Gefahr, diesen radikalen Funken und eine weitere Generation vor den Kopf Gestoßener zu verlieren.

Lenin wusste, dass eine sozialistische Bewegung an mehreren Fronten um Erfolge kämpfen muss. Corbyn war es 2017 gelungen, die Tory-Mehrheit an einen Punkt zu bringen, an dem Theresa May auf eine Koalition mit der Democratic Unionist Party angewiesen war.

Da sich herausstellte, dass Labour-Parlamentarier und andere führende Mitglieder der Partei versuchten, Corbyn zu sabotieren, hing sein Erfolg von der breiten Unterstützung ab, die er in einer Generation durch den Neoliberalismus Politisierter fand. Hätte sich Corbyn allein auf die Abgeordneten verlassen, hätte er 2017 Stimmen verloren und wäre sofort gestürzt worden. Hätte er sowohl die Unterstützung der parlamentarischen Elemente als auch der breiteren Öffentlichkeit gehabt, hätte der die Wahlen 2017 gewonnen. Wir in der britischen Arbeiterbewegung wissen seit langem, dass Teile von Labour nicht scharf auf die Aussicht auf eine sozialistische Labour-Partei sind und es war immer klar, dass es einen Kampf zu führen gilt. Wir haben allerdings nicht kommen sehen, mit welch harten Bandagen diese reaktionären Elemente kämpfen würden.

Die CPB hält nach wie vor an ihrer Vision vom Weg zum Sozialismus in Britannien fest. Wir brauchen eine politisch bewusste Arbeiterklasse, wir brauchen eine kämpferische Klasse, wir müssen Kämpfe am Arbeitsplatz und im Parlament gewinnen. Die Arbeiterbewegung in Britannien hat einen Rückschlag erlitten, aber das bedeutet nicht, dass wir besiegt sind. Seit Corbyns Niederlage hat die Mitgliedschaft in der CPB zugenommen, ihre Kampfkraft nimmt zu und die Gewerkschaftsbewegung insgesamt ist bereit für eine große Auseinandersetzung. Gleichzeitig zeigen die sozialistischen Länder ihre Kraft, mit der sie gegen die Pandemie kämpfen. Der Sozialismus beweist von Neuem, dass er die Hoffnung für die Menschheit ist, und Britannien ist immer noch auf dem Weg zur aufgehenden Sonne, dank der richtungsweisenden Beispiele derer, die vor uns kamen, der breiten Gewerkschaftsbewegung und der Arbeiterklasse Britanniens.

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"Nach Corbyns Fall", UZ vom 15. Mai 2020



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