Berliner Zeitung: „NATO bereitet sich mit Manöver ‚Quadriga 2025‘ auf Bündnisfall vor.“ „Bundeswehr und Einsatzkräfte proben den militärischen Ernstfall“, berichtet die „Tagesschau“. „Die Bundeswehr sollte sich für den Verteidigungsfall rüsten – auch aus ‚Verantwortung vor Gott‘“, zeigt die „Evangelische Zeitung“ ihre theologischen Einsichten. „Es gibt schon kriegsähnliche Handlungen, obwohl wir im Frieden sind. Aus meiner Sicht haben wir einen politischen Spannungsfall“, weiß der Wehrbeauftragte Henning Otte. „Wir befinden uns nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden“, sagt General André Bodemann. „Der Krieg ist uns so nah wie nie zuvor“, ergänzt Militärbischof Franz-Josef Overbeck.
Das stündliche Crescendo todessehnsüchtiger Psychopathen? Sicherlich mag sich angesichts der Kriegsekstase der Verdacht eines Chors von Unzurechnungsfähigen aufdrängen. Doch der Wahnsinn hat Methode. Das breitflächige Streuen von Unsicherheit, Desorientierung, Dämonisierung gehört seit jeher in den Werkzeugkasten der Kriegspropaganda. Das laute Gekreische von Ernstfall, Verteidigungsfall, Bündnisfall und Spannungsfall soll die Bevölkerung blind machen, reale Abläufe vertuschen und die Schritte in den für 2029, vielleicht auch 2030, angesagten nächsten großen Krieg verdunkeln. „Wann Krieg beginnt, das kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg. Falls es da Regeln gäbe, müsste man sie weitersagen“, schrieb die Schriftstellerin Christa Wolf im Jahr 1983 angesichts der atomaren Bedrohung.
Der Blick in die Kriegs- und Katastrophenabteilung des Grundgesetzes hilft weiter. In der Verfassung ist der Weg, den sich die Kriegstreiber für die nächsten Jahre vorstellen, plastisch vorgezeichnet. Der militaristische Um- und Ausbau des Grundgesetzes, das ursprünglich als „Friedensverfassung“ angelegt sein sollte, begann gleich, nachdem es in Kraft trat: mit der Wiederbewaffnung, der Installation der Bundeswehr, dem NATO-Beitritt, der Ausschaltung der Friedenskräfte samt KPD und FDJ. 1958 scheiterte die Einführung der Notstandsgesetze an der SPD. Zehn Jahre später ermöglichten die Sozialdemokraten in der Großen Koalition das Großreinemachen des Grundgesetzes für die Zwecke des Krieges.
Neben der faktischen Abschaffung der Freizügigkeit, des Post- und Fernmeldegeheimnisses und der Berufsfreiheit ging es auch der Meinungsfreiheit an den Kragen. An über 20 Stellen trieben die Großkoalitionäre den Friedensgedanken aus der Verfassung, schufen die Artikel 12a (Wehrpflicht), 80a (Spannungs-, Zustimmungs- und Bündnisfall), 87a (Einsatz der Armee nach innen) und 115a (Verteidigungsfall). Und sie sorgten für die Dauerermächtigung, in der Zukunft still und leise sogenannte „Sicherstellungs- und Vorsorgegesetze“ erlassen zu können. Diese mehr als 20 Gesetze regeln alle Lebens-, Produktions- und Gesellschaftsbereiche nach der Prämisse „Alles für die Front“. Sie liegen bis auf Abruf in der Schublade und werden beileibe nicht erst dann wirksam, wenn das Bundesgebiet von einer „fremden Macht“ mit Waffengewalt angegriffen werden sollte (Verteidigungsfall), sondern schon dann, wenn die Bundesregierung von einer für deutsche Interessen unmittelbar bedrohlichen außenpolitischen Situation ausgeht (Spannungsfall) oder der NATO-Rat den Bündnisfall ausruft.

Der Spannungsfall ist die Vorstufe zum Verteidigungsfall, wobei Letzterer in der Betriebsanleitung zur Kriegsauslösung eigentlich überflüssig geworden ist, da schon der Spannungsfall jede militärische Option real werden lässt. Doch der Spannungsfall hat in seinem Vorfeld noch den (weithin unbekannten) Zustimmungsfall als „kleinen Bruder“. Zur Auslösung braucht es noch nicht einmal eine irgendwie geartete Bedrohung oder gar einen Angriff, hier reichen außenpolitische Krisen. Der Zustimmungsfall erlaubt das Freischalten von Sicherstellungs- und Vorsorgegesetzen „peu à peu“. In der juristischen Kommentierung findet sich zu ihm als der „leisen Variante des Spannungsfalls“ die Aussage, er sei installiert worden, um die beim Ausrufen des Spannungsfalls zu erwartende „innenpolitische Empörung“ im Vorfeld besser in den Griff zu bekommen. In der praktischen Umsetzung heißt das, der Bundestag kann zum Beispiel bei einer internationalen Krise das Bundesleistungsgesetz freischalten, das die Beschlagnahme privater Gegenstände (vom Werkzeugkasten bis zum Auto) ermöglicht, oder das Arbeitssicherstellungsgesetz, um Arbeiter in die Rüstungsbetriebe zwangsabzuordnen.
Im Moment bemüht sich die schwarze-rote Koalition darum, das im Kanon dieser Gesetze noch fehlende „Gesundheitssicherstellungsgesetz“ auf den Weg zu bringen. Es soll das zivile Gesundheitswesen komplett unter militärische Obhut bringen. Das letzte Mosaiksteinchen, das ihnen noch fehlt.