Pilotabschluss der IG Metall ignoriert Preissteigerungen und Extraprofite der Konzerne

Noch nicht mal Inflationsausgleich

Der Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie bedeutet einen Reallohnverlust für die Beschäftigten einer Branche, deren Konzerne Gewinne verkünden. Die Lohnsteigerung von 5,2 Prozent – im Juni kommenden Jahres – steht in einem absurd schlechten Verhältnis zur Inflationsrate von mehr als 10 Prozent in diesem Jahr. Die Einmalzahlungen wirken beruhigend, sie werden den Verlust aber nur dämpfen, nicht aufhalten.

Das Gerede von einer „Schmerzgrenze“, das die Unternehmerverbände über alle Medien verbreiteten, kann getrost unter „übliches Geschwätz“ abgebucht werden. Bei großen Konzernen dieser Branchen machen die Lohnkosten häufig nur einen einstelligen Betrag der Gesamtausgaben aus. Eine fünfprozentige Lohnerhöhung ist dort genauso schnell verbucht wie verkraftet.

In der Woche vor dem Abschluss der IG Metall in Baden-Württemberg verkündete der Siemens-Konzern, dass das Unternehmen erstmals in seiner 175-jährigen Firmengeschichte einen Gewinn von über 10 Milliarden Euro erzielt und Marktanteile hinzugewonnen habe. Völlig ohne Vorbehalt mit Blick auf das Ergebnis bei den Tarifverhandlungen kündigte ihr Vorstandsvorsitzender Roland Busch für das kommende Geschäftsjahr einen „deutlichen Anstieg beim Gewinn“ an. Freuen kann sich nicht nur der Vorstand über ordentliche Erfolgsprämien. Freuen können sich auch die Aktionäre: Ihre Dividende soll um 25 Cent pro Aktie steigen. Und wer die Aktien verkaufen sollte, wird noch mehr Kasse machen: Die Aktie war mit der Verkündung dieser frohen Botschaften der mit Abstand größte Gewinner im Deutschen Aktienindex (DAX).

Ein ähnliches Bild bietet ThyssenKrupp: Vor allem dank guter Geschäfte bei Stahl und im Werkstoffhandel wuchs der Umsatz um 21 Prozent auf über 41 Milliarden Euro, der Gewinn des Konzerns von 800 Millionen auf 2,1 Milliarden Euro. Interessant ist die Begründung für diesen Geldsegen: Vor allem die gestiegenen Preise hätten zu höheren Erlösen und besseren Gewinnmargen geführt. Dies ist ein Effekt, den Karl Marx schon in seiner Schrift „Lohn, Preis, Profit“ beschrieben hat: Eine sich entwickelnde Inflation wird von den Unternehmern in der Regel selbst dann, wenn bei ihnen die Zwischenproduktpreise nur moderat oder gar nicht steigen, für kräftige Preissteigerungen genutzt. Dafür ist in einer solchen Umgebung das Verständnis größer als in Phasen der Preisstabilität und damit wachsen die Chancen, sich die tiefen Taschen der Konzerne mit Geld zu füllen. Die Dummen sind diejenigen, deren Preis für ihre einzige Ware, die sie zu verkaufen haben – die Arbeitskraft –, sich nicht entsprechend der allgemeinen Teuerung steigern lässt.

Das Bild, das Siemens und ThyssenKrupp bieten, ließe sich fortsetzen. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst and Young veröffentlichte in diesem Monat eine Studie über die Geschäfts- und Gewinnentwicklung der 40 größten im DAX notierten deutschen Konzerne mit einem klaren Trend: Sie haben im vorletzten Quartal 2022 fast alle Rekorde bei Umsatz und Profit erzielt. Der operative Gewinn dieser G40 verbesserte sich um 28 Prozent auf insgesamt fast 45 Milliarden Euro – in einem Quartal.

Bescheidenheit und Lohnzurückhaltung sind angesichts dieser Zahlen nicht nur fehl am Platz, sie stabilisieren dieses System, in dem die Reichen reicher und die Armen ärmer werden.

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"Noch nicht mal Inflationsausgleich", UZ vom 25. November 2022



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