Zwölfter Verhandlungstag im Prozess um den Polizeimord an Mouhamed Dramé in Dortmund: Richter verbietet Besuchern, sich Notizen zu machen

Öffentlichkeit unerwünscht

„Vorrücken! Den Mann einpfeffern! Das volle Programm, die ganze Flasche!“ Mit diesen Worten ordnete Dienstgruppenleiter Thorsten H. den Einsatz von Reizgas gegen Mouhamed Lamine Dramé an. Am 8. August 2022 war das, in einer Jugendhilfeeinrichtung im Dortmunder Norden. Keine eineinhalb Stunden später war Mouhamed Dramé tot, durchsiebt von Schüssen aus einer Maschinenpistole. Thorsten H., der mutmaßliche Schütze Fabian S. und drei weitere Polizisten müssen sich seit Ende Dezember für den Tod von Dramé vor dem Landgericht Dortmund verantworten. Der Wortlaut des Einsatzbefehls war schon von Zeugen erwähnt worden. Jetzt darf er als gesichert gelten: Der Vorsitzende Richter Thomas Kelm verlas ihn am 22. April, dem zwölften Prozesstag, aus einem Transkript des polizeilichen Funkverkehrs.

Dieser zwölfte Verhandlungstag ist ein „Schiebetermin“, also ein kurzer Hauptverhandlungstermin, der die fristgerechte Fortsetzung der Hauptverhandlung nach Paragraph 229 der Strafprozessordnung gewährleisten soll. Richter Kelm füllte ihn mit der Verlesung des Funkprotokolls – und zweier Erfassungsbögen für den Einsatz von Distanzelektroimpulsgeräten (DEIG), landläufig Taser genannt.

Aus denen geht hervor, dass die Polizeibeamten Markus B. und Pia Katharina B., die Mouhamed Dramé getasert haben sollen, angaben, „drei bis vier Meter“ von dem Jugendlichen entfernt gestanden haben wollen und die Einsatzlage als „dynamisch“ bewerteten. In der „Dienstanweisung für den Einsatz von Distanzelektroimpulsgeräten (DEIG) der Polizei NRW“ heißt es: „Grundsätzlich nicht geeignet sind DEIG zur Bewältigung von dynamischen Lagen im Kontext von Bedrohungen oder Angriffen mit Hieb-, Stich-, Schnitt- oder Schusswaffen.“ Die Dienstanweisung liegt UZ vor.

Das Interesse von Medien und Besuchern ist an diesem Verhandlungstermin deutlich geringer als sonst. So geht die Behauptung des Richters Kelm, es sei Zuhörern verboten, mitzuschreiben, beinahe unter. Das ist falsch, und ein erneuter Angriff Kelms auf den Grundsatz der Öffentlichkeit in Strafprozessen. Zwar regelt die Strafprozessordnung das Recht von Zuschauern nicht, eine Gerichtsverhandlung zu protokollieren. Juristen gehen aber davon aus, dass Mitschriften vor Gericht generell erlaubt sind und leiten das aus der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes ab. Eine Einschränkung dieses Rechts müsste gesetzlich normiert sein oder wenigstens anhand eines konkreten Einzelfalls explizit begründet sein. Eine solche Begründung lieferte Kelm nicht.

Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed kritisierte in einem Beitrag auf seiner Website: „Der Eindruck, dass die Öffentlichkeit beim Prozess nicht erwünscht ist, verfestigt sich weiter“. Das zeige sich etwa in weit auseinander liegenden Verhandlungsterminen, langen Wartezeiten am Besuchereingang, intensiven Sicherheitskontrollen, schroff auftretendem Justizpersonal, keinem Zugang zu Toiletten und einer Prozessführung, die es Besuchern teilweise unmöglich macht, der Verhandlung zu folgen.

Der Solidaritätskreis erklärte, sich mit „langem Atem und viel Unterstützung im Rücken“ gegen Versuche des Gerichts zu wehren, das öffentliche Interesse an dem Prozess abflauen zu lassen.

Der Prozess wird am 22. Mai fortgeführt. Fabian S. hat angekündigt, sich dann erstmals zu den Vorwürfen gegen ihn äußern zu wollen.

Unsere bisherige Berichterstattung über den Prozess haben wir hier zusammengestellt.

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