Saudi-Arabien vor der BRICS-Erweiterung

Öl-Großmacht am Golf

Anfang des 7. Jahrhunderts, in einer Zeit großer Umbrüche, begründete Mohammed in Mekka eine Religion, welche eine rasche Eroberung großer Teile des maroden oströmischen und des untergegangenen weströmischen Reiches ideologisch legitimierte. Den „rechtgeleiteten Kalifen“ und nachfolgend den Umayyaden gelang es bis Ende des 8. Jahrhunderts Spanien, den Maghreb, Ägypten, Arabien, Syrien, Persien und Teile Zentralasiens bis hin zum Pandschab zu erobern. Damit war das Ende der spätantiken Ordnung auch im südwestasiatischen Raum eingeleitet und eine neue politisch-militärische, insbesondere aber auch ideologische Großmacht etabliert.

Ab dem 14. Jahrhundert hatten die Osmanen begonnen, sich in Kleinasien auszudehnen. Mit ihrer Eroberung von Konstantinopel im Jahr 1453 ging Ostrom endgültig unter. Nach dem Sieg über die Mamelucken in Ägypten 1516/17 gelangten sie auch zur Herrschaft über Mekka und Medina. Sie etablierten sich damit für vier Jahrhunderte als Vormacht der islamischen Welt. Dies war die Lage, als die industrialisierten europäischen Kolonialmächte ab Mitte des 19. Jahrhunderts begannen, die Welt unter sich aufzuteilen. Im Mai 1908 hatten die Briten in Persien Öl gefunden – damit begann der Aufstieg Südwestasiens zu einer der wichtigsten Regionen der Welt.

Während des Ersten Weltkriegs war das mit den Mittelmächten verbündete – ökonomisch rückständige – Osmanische Reich allerdings nur noch ein Schatten seiner selbst, gegen das die Ententemächte erfolgreich bis zum letzten Araber kämpfen konnten.

Entstehung Saudi-Arabiens

Mitte des 18. Jahrhunderts hatte der Aufstieg des Saud-Clans begonnen. Der islamische Extremist Muhammad ibn Abd-al Wahhab hatte sich 1744 mit Mohammed ibn Saud verbündet und damit dem saudischen Expansionismus die notwendige ideologische Unterfütterung verschafft. Allerdings konnten die frühen saudischen Versuche von den Osmanen noch erfolgreich zurückgeworfen werden. Zwar gelang den Sauds zwischen 1824 und 1891 die Etablierung eines eigenen Staates, der allerdings auf das zentrale Binnenland begrenzt blieb. Er ging 1891 im Krieg gegen den rivalisierenden Clan der Raschids unter. Dschidda, Mekka und Medina blieben in osmanischer Hand, bis Briten und Franzosen den beduinischen Truppen der vom Scherif von Mekka, Ali bin Hussein, geleiteten Arabischen Revolte die nötige Feuerkraft verschafften.

Nach dem Sieg über die Osmanen 1918 booteten die Briten Hussein und seine panarabischen Pläne aus. Sie setzten auf den aus seinem Kuwaiter Exil zurückgekehrten Abd al-Aziz ibn Saud, der sich nicht an der Arabischen Revolte beteiligt hatte. Dieser ging dank der Briten siegreich aus den zahlreichen innerarabischen Grabenkämpfen der 1920er-Jahre hervor. 1933 kann die Herrschaft des Saud-Clans über das Gebiet des heutigen Saudi-Arabien als gesichert gelten. 1938 konnte in der Al-Hasa-Region am Persischen Golf zum ersten Mal Öl kommerziell gefördert werden. Im Februar 1945 trafen sich Abd al-Aziz und US-Präsident Franklin Delano Roosevelt an Bord der „USS Quincy“ im Suezkanal. Die Sauds standen seither unter dem Protektorat der USA und lieferten dafür Öl. 1946 begann die Ölförderung unter der Federführung der Arabian-American Oil Company (ARAMCO) im großen Stil.

Mit dem „USS Quincy“-Deal durchbrachen die USA das San-Remo-Abkommen von 1920, mit dem Briten und Franzosen Südwestasien definitiv unter sich aufteilten. Britannien bekam Palästina, Jordanien, Irak und Mesopotamien; Frankreich Syrien, Libanon und Teile der heutigen Türkei. Die Briten garantierten Frankreich 25 Prozent der damaligen Ölproduktion. Die USA hatten in San Remo nur Beobachterstatus und blieben bei der Ressourcenverteilung außen vor. Die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs und die Funde in Al-Hasa änderten allerdings alles: Das aufsteigende US-Imperium begann die europäischen Kolonialmächte auch in Westasien abzulösen – und die Sauds wurden durch den Verkauf ihrer Fossilvorräte reich.

Vasall der USA

Washington nutzte seinen Einfluss auf seinen neuen religiös-fundamentalistischen Vasallen am Golf, um die panarabisch-sozialistischen Pläne Gamal Abdel Nassers und der den Kommunisten nahestehenden Baath-Parteien in Syrien, Jordanien, Jemen und Irak zu hintertreiben. Eine umfassende und funktionsfähige Vereinigte Arabische Republik (VAR) mit Zugang zu den wichtigsten Energieressourcen des Planeten, wie sie von Nasser und seinen Mitstreitern angestrebt wurde, hätte sich zu einem geopolitisch wichtigen – um nicht zu sagen entscheidenden – Gegengewicht zur westlichen Dominanz in der Region entwickeln können. Tatsächlich blieb die VAR auf Ägypten und Syrien beschränkt und existierte nur drei Jahre – von 1958 bis 1961. Saudi-Arabien – und seit dem Sechstagekrieg 1967 auch Israel – waren die wichtigsten Verbündeten des US-Imperiums zur Beherrschung Südwestasiens.

Die Sauds wurden im Gefolge des arabisch-israelischen Kriegs 1973 das einflussreichste Gründungsmitglied der OPEC, wodurch der Ölpreis bis 1981 auf über 100 US-Dollar pro Barrel nach oben gehievt wurde. Danach – in den 1980er Jahren – ließen die zutiefst antikommunistischen Sauds in Zusammenarbeit mit Washington den Ölpreis auf unter 20 Dollar pro Barrel fallen und halfen damit, die Finanzbasis der Sowjetunion zu zerstören. Die Sauds beteiligten sich gleichzeitig an der massiven Regime-Change-Operation, welche die CIA ab 1979 in Afghanistan inszenierte. Washington konnte mithilfe der Sauds den Ölpreis weitgehend nach seinen geostrategischen Interessen steuern. 1973 hatte die Regierung Nixon – nachdem sie 1971 die Goldbindung ihrer Währung hatte aufkündigen müssen – den Sauds klargemacht, dass Öl künftig nur noch gegen Dollar verkauft werden durfte. Somit wurde das US-amerikanische Zahlungsmittel zur Weltreservewährung und die Sauds durften ihre Dollar in US-Bonds und US-Aktien recyceln – ohne allerdings auf strategisch wichtige Industrien zugreifen zu dürfen

Neuausrichtung

Schon der 2001 ausgerufene „Global War on Terror“ (GWoT), der zum militärischen Eingreifen der US-Kriegsmaschinerie in der Region führte, zwang nicht nur die Sauds zum Nachdenken. Die 2017 verkündete „Great Power Competition“ (GPC) – ausgerichtet nach dem biblischen Atavismus „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich“ – stellte nach der Wirtschaftskrise des neoliberal zugerichteten Westens den nächsten Knackpunkt dar. Der Wendepunkt waren schließlich der Raub der russischen Devisenguthaben von 300 Milliarden Dollar durch Washington und der seit 2022 offen verfochtene Regime-Change-Ansatz gegen die russische Führung. Die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines machte zudem klar, dass auch engste Verbündete ins Visier geraten konnten. Die Zeit zur Neuorientierung war gekommen.

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"Öl-Großmacht am Golf", UZ vom 15. Dezember 2023



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