Bundesregierung besucht das Bundesverfassungsgericht. „Staatsmodernisierung“ als Hauptthema beim gemeinsamen Abendessen

Rechtsstaat zum Dinner

Mitglieder der Bundesregierung und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) trafen sich am Mittwoch letzter Woche in Karlsruhe zu einem „nichtöffentlichen Gedankenaustausch“. Offiziell war das Treffen nicht angekündigt worden. Erst nachdem die Information vorab an die Presse durchgesickert war, sah sich die Pressestelle des BVerfG am 9. November bemüßigt, das gemeinsame Dinner mit Vortragsprogramm im Nachhinein zu bestätigen. In der Presseerklärung betonten die Karlsruher Richter, dass die „Treffen der beiden Verfassungsorgane eine seit vielen Jahren bestehende Tradition“ seien. Das sollte wohl die Normalität solcher Konsultationen unterstreichen, klang aber eher nach einem „Was lange währt, wird endlich gut“.

Zwei „Verfassungsorgane“ im ungezwungenen Dialog – wo bitte liegt das Problem? Gegenfrage: Kann ein gekündigter Arbeiter, der auf dem Weg zum Arbeitsgerichtstermin seinen Chef in der Gerichtskantine bei Speis’ und Trank im angeregten Gespräch mit dem für seine Kündigungsschutzklage zuständigen Arbeitsrichter sieht, noch auf eine objektive Entscheidung hoffen? Die zwei Senate des höchsten Gerichts sind mit fast nichts anderem als Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze befasst, der Verfahrensgegner des Bürgers ist immer der Staat. Im Kern geht es um die gerichtliche Kontrolle des Regierungshandelns. Und diese Kontrolle fußt auf der richterlichen Unabhängigkeit (Artikel 97 Absatz 1 Grundgesetz), für die sich der Rechtsstaat so gern und häufig feiert. Ein Stelldichein zum Dinner oder, wie das BVerfG es nennt, „der Dialog der Staatsorgane“, wirkt da mehr als befremdlich.

In den wohlklingenden Karlsruher „Verhaltensleitlinien“, die sich das Gericht selbst verschrieben hat, ist zu lesen, ein Richter des BVerfG habe sich innerhalb und außerhalb des Dienstes so zu verhalten, „dass das Ansehen des Gerichts, die Würde des Amtes und das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Neutralität und Integrität nicht beeinträchtigt werden“. Wer als Richter Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit provoziert, ist befangen, wird abgelehnt und darf nicht entscheiden. Insider wissen: Dabei zählt nicht, ob ein Richter sich selbst für befangen hält, sondern allein, ob sein Verhalten den Eindruck der Parteilichkeit vermittelt.

Als sich im Juni 2021 die Verfassungsrichter in Berlin zum Tête-à-Tête mit Ex-Kanzlerin Angela Merkel einfanden, kam hinterher heraus, dass die Verfassungsrichter auch schon in den Vorjahren nur allzu gern auf die Flugbereitschaft der Luftwaffe zurückgriffen, wenn Reisen nach Berlin anstanden. Es wäre ja auch zu viel verlangt, den ICE oder die Linienflüge von den 35 beziehungsweise 60 Kilometer entfernten Flughäfen Baden oder Stuttgart zu nehmen; erst recht bei einem Jahresetat des Gerichts von 41,31 Millionen Euro und einem Richtergehalt (ohne Zulagen) von 14.571,96 Euro monatlich.

Dieses Mal flog die Flugbereitschaft in umgekehrter Richtung, das BVerfG hatte eingeladen. Auf der Tagesordnung stand das Thema „Krise als Motor der Staatsmodernisierung“, referiert von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Das Koreferat hielt Verfassungsrichterin Astrid Wallrabenstein. Da musste Buschmann nur ins Handgepäck greifen: Wie die Krise die „Staatsmodernisierung“ ganz konkret bereits befeuert hat, ist dem tags zuvor ins Parlament eingebrachten „Entschließungsantrag“ der „Ampel“ zu entnehmen. 18 Selbstbelobigungen, jeweils eingeleitet mit der Floskel „Der Deutsche Bundestag begrüßt …“ und mitunter an der Grenze der Nachvollziehbarkeit, wie zum Beispiel: „Die wissenschaftliche und politische Anerkennung der beunruhigenden strukturellen Verknüpfung von Verschwörungsideologien und Antisemitismus“.

Danach folgten 51 durchnummerierte Absichtserklärungen, die ahnen lassen, was in Karlsruhe so dringend zu besprechen war. Innenpolitisch: Die Ausdehnung der Strafverfolgung auf den „anti-israelischen Hintergrund“ laufender Proteste; Erweiterung des Volksverhetzungsparagrafen 130 StGB; Verschärfung der Ausweisungs- und Abschiebepraxis; Arbeitsverbot und Kürzung der Bezüge nach dem „Asylbewerberleistungsgesetz“; ein neu konzipierter Einbürgerungsfragebogen zum Schwerpunkt „freiheitlich-demokratische Grundordnung“. Außenpolitisch: Die Stärkung der militärischen Partnerschaft mit den israelischen Streitkräften, die Verbesserung der Zusammenarbeit der Nachrichtendienste, die Intensivierung gemeinsamer deutsch-israelischer Militärübungen und die Verstärkung der Rüstungskooperation.

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"Rechtsstaat zum Dinner", UZ vom 17. November 2023



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